Kurzkritik:Der Jazz-Muezzin ruft

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Dhafer Youssef mit grandiosem Quintett im Prinzregententheater.

Von Oliver Hochkeppel

Migration ist vielleicht der Schlüssel zur Musik von Dhafer Youssef. Der tunesische Sänger und Oud-Spieler wanderte mit 20 nach Österreich aus, war dann in der ganzen Welt unterwegs und lebt seit 2002 in Paris. Immer nahm er die Musiktradition seiner Heimat als Grundstock mit, düngte sie gewissermaßen mit dem, was er andernorts vorfand, und ließ so neue Triebe sprießen.

Weil er dabei immer offen blieb und das Risiko suchte, rissen sich schnell die maßgeblichen interdisziplinären Jazzer um ihn. Zuerst ein Wolfgang Muthspiel oder Dieter Ilg, dann Skandinavier wie Bugge Wesseltoft oder Nils Petter Molvaer, schließlich Amerikaner wie Mark Giuliana oder Aaron Parks. Mit enormer Resonanz beim Publikum. Und so hat Youssef für sein neues Album "Streets of Minarets" eine echte Jazz-Weltauswahl als Studioband versammeln können: Bei Herbie Hancock, Marcus Miller, Dave Holland, Nguyên Lê, Ambrose Akinmusire und Vinnie Colaiuta schnalzt jeder Jazzfreund mit der Zunge.

Humor scheint Oud-Spielern zu liegen

Mit so einem Star-Aufgebot kann man natürlich nicht auf Tour gehen. Doch auch das - mehrfach in anderen Besetzungen angekündigte - Quintett, das Youssef jetzt im Prinzregententheater bei einem von drei Deutschland-Auftritten aufbot, hatte es in sich, wie man schnell erleben durfte. Der iranische, in Österreich aufgewachsene, nun in Spanien lebende Schlagzeuger Shayan Fathi war solistisch am unauffälligsten, was bei einem Drummer oft ein gutes Zeichen ist. Am E-Bass mit wuchtigen Tiefsttönen und Funk-Slapping schon mehr glänzen durfte der Franzose Swaéli Mbappé, den man von China Moses, Mayra Andrade oder dem israelisch-französischen Popstar Tal kennt. Daniel Garcia am Klavier bewies, dass er nicht nur der aktuell wichtigste Flamenco-Pianist ist, sondern auch als Flächen- und Rhythmus-Zauberer an Keyboard und Syntheziser keine Konkurrenz fürchten muss.

Und dann war da noch der von Youssef - ein ebenso lustiger Ansager wie Rabih Abou Khalil, Humor scheint Oud-Spielern zu liegen - als "Jesus, Mohammed, Moses, nur besser: weil er da ist" angekündigte österreichische Trompeter Mario Rom, der mit Bands wie Interzone und Shake Stew seit Jahren seine internationale Extraklasse beweist. Zusammen ergab das die perfekte Mischung für Youssefs Konzept: Meist beginnen seine Songs kontemplativ, ruhig und ätherisch mit seiner in höchste Höhen vorstoßenden, sirenenhaften Muezzin-Stimme. Dann kommt die hörbar nicht schulmäßig, sondern autodidaktisch erlernte, unüblich E-Gitarren-artige Oud dazu, alles schaukelt sich auf und am Ende gibt sich die Band mit heftigem Jazzrock oder hymnischem Weltpop die Kante.

Mit fortschreitender Konzertdauer (und Youssef ließ mehr als zwei Stunden am Stück spielen) bekamen Improvisation und Soli immer mehr Raum. Womit das jubelnde Publikum wahre Weltmusik geboten bekam. Begeisternd und wegweisend, weil weltoffen und die Freiheit des Jazz atmend.

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