Landkreispartnerschaft:"Nicht nur Geschichte, auch die Zukunft verbindet uns"

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Die Unterzeichnung der Partnerschaft zwischen dem Landkreis Dachau und dem Landkreis Oświęcim/Auschwitz jährt sich zum sechsten Mal. Die Kreisrätin und Partnerschaftsbeauftragte Marese Hoffmann will den Austausch zwischen Polen und Deutschen weiter intensivieren

Von Jacqueline Lang, Hebertshausen

Der Landkreis Dachau pflegt seit August 2015 eine Partnerschaft mit dem polnischen Landkreis Oświęcim. Seit Beginn dieser - nicht immer leichten - kommunalen Freundschaft ist die Kreisrätin Marese Hoffmann, 73, (Grüne) die Partnerschaftsbeauftragte des Landkreises Dachau. Im Interview spricht sie über die Vergangenheit und Zukunft, Probleme und Chancen, das Verbindende und Trennende.

SZ: Kürzlich fand die Veranstaltung "30 Jahre Zusammenarbeit zwischen deutschen und polnischen Kommunen Nachbarschaft verpflichtet" statt, an der auch Sie und Landrat Stefan Löwl teilgenommen haben. Ist dieses Jubiläum bei all den politischen Entwicklungen in Polen wirklich ein Grund zum Feiern?

Marese Hoffmann: Für mich war das ein sehr schönes Erlebnis und auch ungetrübt, denn es ging ja wirklich um kommunale Zusammenarbeit und nicht um die Probleme, die die beiden Staatsregierungen miteinander haben. Der Nachbarschaftsvertrag wäre ein totes Dokument geblieben, wenn nicht die Menschen in den Kommunen beider Länder Tausende Stunden in die Völkerverständigung investiert hätten. Das Problem besteht nur mit der PiS-Regierung, nicht mit allen kommunalen Vertretern. Mittlerweile hat Oświęcim übrigens auch keinen PiS-Landrat mehr. Wobei man sagen muss, dass auch der PiS-Landrat mit dem die Landkreispartnerschaft angefangen hat, ein Befürworter dieser Partnerschaft war und ein glühender Europäer. Dasselbe gilt im Übrigen für Marcin Niedziela, den jetzigen Landrat.

Gleichwohl gibt es in Polen mittlerweile zahlreiche LGBT-freie Zonen, um nur ein Beispiel zu nennen. War es nicht reines Glück, dass Oświęcim nicht dazu zählt?

Nein, ich glaube nicht, dass das Glück war. Oświęcim stellt als Stadt des Friedens einen Treffpunkt für Menschen verschiedener Nationalitäten, Überzeugungen und Glaubensrichtungen dar. Dort gibt es keinen Platz für Ausgrenzung. Grundsätzlich bin ich aber auch der Meinung, dass es gar nicht geht, dass man die Beziehungen einfach abbricht. Was hat man denn davon? Dann geht gar nichts mehr weiter. Der Versuch, Partnerschaft und Freundschaft zu erhalten, auch wenn es wirklich schwierig wird, und sich notfalls auch zu streiten, das lohnt sich allemal. Zumal ich sagen muss, dass ich immer noch manchmal verwundert bin, dass die Polen überhaupt mit uns reden wollen. Man muss nur einmal im Auschwitz gewesen sein, um sich zu fragen: Wie können die Bewohner von Oświęcim mit offenem Herzen auf uns Deutsche zu geben? Das ist für mich nach wie vor ein Wunder.

Marese Hoffmann ist davon überzeugt, dass es sich lohnt, an der Partnerschaft zum Landkreis Oświęcim festzuhalten. (Foto: Toni Heigl)

Aber was verbindet Polen und Deutschland denn überhaupt, mal abgesehen von dieser schrecklichen Vergangenheit für die die beiden ehemaligen Konzentrationslager in Auschwitz und Dachau zum Symbol geworden sind?

Uns verbindet natürlich die Geschichte, aber das, was uns noch viel mehr verbinden muss, ist die Gestaltung der Zukunft. Und natürlich verbindet uns das Geteilte-Werte-Projekt. Aber da wird es dann jetzt schon allmählich schwierig, denn Liberalität, Freiheit, das sind alles Begriffe, die die polnische Regierung heute anders deutet als wir.

Das trennt die beiden Länder also eher?

Die Vorstellung, dass die nationale Identität die Entscheidende ist, das trennt uns im Moment tatsächlich unglaublich stark. Die polnische Regierung möchte gerne, dass man sich als Pole identifiziert. Der Pole ist das Entscheidende und vor allem der katholische Pole, der wertkonservative Pole. Da liegen wir gemeinsam mit der polnischen Opposition mit unseren Vorstellungen deutlich auseinander. Aber gerade deshalb ist unser kommunales Projekt so wichtig: Wenn wir etwa Jugendaustausch machen, dann ist das eine der wenigen Möglichkeiten, wie Jugendliche erleben können, Europäer und gleichzeitig Deutsche oder Polen zu sein. Der Jugendaustausch ist für mich deshalb die Basis schlechthin - auch wenn die Umsetzung nicht unbedingt leicht ist.

Warum?

Deutschland wird von der PiS-Regierung gleichgesetzt mit Dekadenz, dem Untergang polnischer Werte. Die Stimmung ist in Teilen auch bei den jungen PiS-Anhängern antideutsch. Das propagieren auch die Medien sehr stark, die ja leider mittlerweile nahezu alle Regierungsmedien sind. Die Gazeta Wyborcza ist dabei eine große Ausnahme und ein Leuchtturm einer freien Berichterstattung. Uns muss daran gelegen sein, gerade diese liberal denkenden Menschen zu unterstützen. Zumal es auch in Deutschland ein Interesse daran gibt, ein negatives Bild von Deutschland zu propagieren.

An wen denken Sie da?

Natürlich an die AfD. Die Rechten sind da diesseits und jenseits der Oder ja völlig auf einer Linie - sowohl was das Bild von der deutschen Regierung anbelangt als auch im Hinblick auf die vermeintliche Islamisierung. Bei den Polen kommt noch hinzu, dass sie sich sozusagen von beiden Seiten eingequetscht fühlen: auf der einen Seite von Russland, aber auch von den muslimischen Staaten, auf der anderen Seite von Deutschland. Hier sitzt der Teufel, da sitzt die Dekadenz und dazwischen das heilige Polen. Da lohnt es sich sehr, all diejenigen zu unterstützen, die ein anderes Bild vermitteln.

Wie war denn eigentlich Ihr eigenes Bild von Polen, bevor sie Partnerschaftsbeauftragte geworden sind?

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass auch ich ein, ich will nicht sagen negatives Bild hatte, aber doch eines, das von Vorurteilen geprägt war. Als ich dann das erste Mal selbst in Polen war, war ich so was von überrascht. Vor allem die überschäumende Gastfreundschaft hat mich unglaublich bewegt und über die Jahre sind wirkliche Freundschaften entstanden. Leszek ( Anm. d. Red.: Leszek Szuster, Leiter der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz) zum Beispiel ist ein richtiger Freund geworden. Die Vergangenheit spielt natürlich immer eine Rolle, aber es gibt weit mehr, was uns verbindet. Nicht zuletzt ein freies, solidarisches und demokratisches Europa. Deshalb sehe ich es auch als meine Aufgabe als Partnerschaftsbeauftragte, dass sich nicht nur immer die Verwaltungen begegnen. So hat es angefangen und das ist am Anfang natürlich auch wichtig, aber jetzt müssen wir es schaffen, dass Bürgerinnen und Bürger aus den beiden Landkreisen zusammenkommen. Mein Wunsch wäre zum Beispiel Naturschutzorganisationen aus beiden Landkreisen zusammenzubringen, schließlich setzt der Klimawandel uns allen zu. Oder auch die vielen Chöre, Musik verbindet ja enorm. Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit gibt es ja bereits.

Aber lassen sich denn die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen wirklich von den politischen Problemen trennen? Die PiS-Regierung ist ja schließlich nicht ohne Zustimmung der Bevölkerung an die Macht gekommen.

Man kann natürlich nicht so tun, als ob das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte, das ist klar. Aber genauso wie es PiS-Befürworter gibt, gibt es eine ganz starke Gruppe im Land, die sagt, dieses nationalistische Polen wollen wir nicht. Die polnischen Demokraten, darunter Tausende Schüler und Studentinnen gehen seit Monaten auf die Straße. Diese Opposition müssen wir bestärken. Und wir dürfen nicht vergessen: Zuerst sollte man immer vor der eigenen Haustür kehren. Auch bei uns im Land gibt es gefährliche Entwicklungen. Die Konfliktlinie verläuft also nicht nur zwischen Deutschland und Polen, sondern durchaus auch innerhalb Deutschlands. Auch hier gibt es genug homophobe und rassistische, rechtsextreme Menschen, es gibt genügend menschenfeindliche Bestrebungen.

Eine Wandmalerei an der Greta-Fischer-Schule steht symbolisch für die Partnerschaft. (Foto: Toni Heigl)

Noch einmal zurück zu den Bürgerinnen und Bürgern. Wie wollen sie denn ganz konkret zusammenbringen?

Zum Beispiel gibt es in Brzeszcze so etwas wie solidarische Gärten. Diese Gemeinde könnte man zum Beispiel mit denen in Verbindung bringen, die etwas Ähnliches im Landkreis Dachau machen. Dann gibt es in der Nähe von Oświęcim einen unglaublichen tollen Erlebnispark. Wie den Europapark in Rust, nur viel, viel größer. Warum sollten also Landkreisbewohner nicht dorthin fahren, statt etwa ins Disneyland nach Paris? Was mir bislang leider auch noch nicht gelungen ist, was ich aber eine tolle Idee finde, ist, polnische Pflegerinnen in Deutschland auszubilden, aber eben umgekehrt auch deutsche Pflegerinnen nach Polen zu bringen. Man muss einfach findig sein und diejenigen zusammenbringen, die gleiche Interessen haben. Genau das wird meine Aufgabe für die kommenden zwei Jahre.

Würden Sie denn sagen, Ihr bisherige Arbeit als Partnerschaftsbeauftragte hat schon erste Früchte getragen?

Ein kleines Pflänzchen ist vielleicht gewachsen. Es wäre vermessen zu sagen, nach fünf Jahren - oder Corona-bedingt eher nach vier Jahren - ersten Anbahnens wären wir schon am Ziel. Aber bei dieser Veranstaltung zum 30. Jubiläum konnte man bei denen, die ihre Partnerschaft schon zehn Jahre oder länger pflegen, sehen, was daraus werden kann. Man muss sich einfach klarmachen, dass wir auf kommunaler Ebene ganz ähnliche Alltagssituationen haben, die uns beschäftigen: Sollen Schulen gebaut werden? Wie gehen wir damit um, dass der Verkehr uns immer mehr erdrückt und wie gehen wir mit rechten Tendenzen und Demokratiefeinden um? Das sind hier wie da die gleichen Probleme. Die kann und sollte man zusammen angehen. Die Planungen für die polnischen Kulturtage 2022 laufen übrigens bereits.

Wo sehen sie diesbezüglich die größten Herausforderungen?

Die größte Barriere ist natürlich die Sprache. Ich merke es ja an mir selber: Ich habe zwar polnisch gelernt und kann mittlerweile ganz gut lesen, aber ich spreche schlecht und zu wenig. Aber auch hier setze ich meine Hoffnungen auf die Jugend in beiden Ländern: Die können alle Englisch.

Aber bei aller Freundschaft: Wie schafft man den Spagat zwischen schönen, gemeinsamen Erlebnissen und einer Vergangenheit, die so grausam ist?

Das Niederlegen eines Kranzes an der KZ-Gedenkstätte Dachau festigte die Bindung der beiden Landkreise. (Foto: oh)

Da gibt es Momente, in denen es wirklich hart ist, und es gab auch schon Momente, da habe ich gedacht, ich halte es nicht mehr aus - aus Scham und Schande.

Zum Beispiel?

In Birkenau gibt es eine Baracke, in der Kinderzeichnungen ausgestellt sind. Eine Zeichnung zeigt ein Kind, das in die Schule geht, mit Schulranzen und allem. Und man selbst weiß: Ein paar Tage später hat man dieses Kind, das so gerne in die Schule gehen wollte, ins Gas geschickt.

Gab es auch Situationen, in denen Sie in Polen auf Ablehnung gestoßen ist, weil Sie eine Deutsche sind?

Ja, es gibt natürlich auch Menschen, die einem gegeben über negativ eingestellt sind. Zum Beispiel bei dem Life-Festival 2016: Da waren auch Menschen, die nichts mit der Partnerschaft zu tun hatten und da saß man dann neben fremden Polen und wenn man dann erzählt hat, dass man Deutsche ist und aus Dachau kommt, dann ist die Reaktion nicht immer freundlich gewesen. Aber das muss man aushalten.

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Sie haben anfangs gesagt, es sei ein Wunder, dass die Polen überhaupt mit den Deutschen eine Partnerschaft eingehen wollten. Ist es bei einer so einer Vergangenheit, wie Dachau sie hat, überhaupt möglich, Kritik an den polnischen Partnern zu äußern oder ist man lieber vorsichtig?

Nein, man musste sich gar nicht so sehr mit Samthandschuhen anfassen, weil die Polen uns von Anfang an signalisiert haben: Ihr seid nicht die Täter, mit denen wir nicht mehr reden können, sondern ihr seid die nachfolgende Generation und mit der wollen wir für eine friedliche Zukunft gerne zusammenarbeiten. Sie haben uns nie als die bösen Deutschen dargestellt. Dazu hat sicherlich auch die Arbeit an der KZ-Gedenkstätte oder an der Internationalen Jugendbegegnung beigetragen, denn die Menschen in Oświęcim haben gesehen, dass wir Dachauer wirklich ein Interesse daran haben, unsere Geschichte aufzuarbeiten. Und allen Kritikern sei gesagt: diese Partnerschaft ist ein Gewinn für alle.

© SZ vom 06.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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