Karlsfeld:Isabella würde so gerne in die Schule gehen

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Isabella liest gerne. Gelernt hat sie das schon vor der Einschulung. Aber ihr fehlen andere Kinder, mit denen sie sich anfreunden könnte. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wegen einer seltenen Lungenkrankheit muss die Siebenjährige permanent beatmet werden. Ihre Eltern finden keine Pflegekraft, die sie begleitet und im Unterricht betreut, deshalb muss das quirlige Mädchen weiter zuhause bleiben. Eingeschult wurde sie schon vor einem Jahr.

Von Ayça Balcı, Karlsfeld

Wenn am nächsten Dienstag die Schule in Bayern wieder losgeht, kommt Isabella in die zweite Klasse. Dabei war sie seit ihrer Einschulung noch kein einziges Mal in einem Klassenzimmer. Isabella hat eine sehr seltene Lungenerkrankung, ohne zusätzlichen Sauerstoff kann sie nicht atmen. Deshalb ist die Siebenjährige rund um die Uhr an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Bei jedem Atemzug fließt Sauerstoff durch einen Schlauch und gelangt über einen Port am Hals in ihre Lungen. Ansonsten ist das quirlige Mädchen aus Karlsfeld fit. Sie bewegt sich gerne, liest, schreibt und rechnet - und wünscht sich nichts mehr, als in die Schule gehen zu dürfen.

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Isabella ist seit vergangenem Schuljahr zwar offiziell Schülerin der Verbandsgrundschule in Karlsfeld, zum Unterricht kann sie aber nicht gehen, weil sie keine Schulbegleitung hat. Schulbegleitungen unterstützen Kinder und Jugendliche mit geistigen oder körperlichen Behinderungen in ihrem Schulalltag. Die muss in Isabellas Fall eine Intensivpflegekraft sein, die ihre Sauerstoffzufuhr permanent kontrollieren und im Notfall schnell reagieren kann. "Bei dem Pflegekräftemangel, den wir seit Jahren haben, glaube ich, dass ich eher einen Sechser im Lotto bekomme, als einen qualifizierten Pfleger, der bereit ist, Isabella in die Schule zu begleiten", sagt Kristina P., die Mutter der Siebenjährigen.

Aktuell kümmern sich die Eltern allein um das Kind

Die Familie aus Karlsfeld sucht seit Jahren nach einer Pflegekraft, die sich mit der Beatmung von Kindern auskennt, findet aber keine. Auch zuhause bräuchte sie eigentlich Unterstützung, denn aktuell kümmern sich die Eltern allein um das Kind. "Es ist immer einer von uns beiden bei Isabella", erzählt Fritz P., "Den Dienst von eigentlich sechseinhalb Vollzeitpflegekräften machen wir nur zu zweit." In solchen Fällen sind die Krankenkassen eigentlich in der Versorgungspflicht. Sie müssen das Pflegepersonal suchen und stellen. "Sie bemühen sich auch, können es aber nicht, weil es kaum zu vermittelndes Personal gibt", so Fritz P.

Noch wichtiger als eine Entlastung ist den Eltern aber, dass Isabella endlich zur Schule gehen kann. Bis sich eine geeignete Schulbegleitung findet, will Fritz P. seine Tochter selbst in den Schulunterricht begleiten - das aber lehnen das Dachauer Schulamt sowie das Bayerische Kultusministerium ab. Die Begründung: Bei Schulbegleitern soll es sich nicht um Eltern oder Verwandte des Schülers oder der Schülerin handeln.

Die Schule stelle einen Raum dar, in dem sich Kinder in ihrer Persönlichkeit und Selbstständigkeit unabhängig von ihren Eltern entwickeln können. Als weitere Gründe nennen das Schulamt und Kultusministerium datenschutzrechtliche Bedenken und die Persönlichkeitsrechte der Mitschüler, die durch die Anwesenheit eines Elternteils gefährdet seien. "Klar, das ist in einem normalen Fall auch total verständlich", sagt Fritz P., auch er wolle und könne seine Tochter nicht dauerhaft in die Schule begleiten. Doch in Isabellas Fall sei es eine Notlösung, ohne die sie derzeit keine Möglichkeit habe, am Präsenzunterricht teilzunehmen.

Die Familie klagte vor Gericht

Einen Tag vor Beginn des vergangenen Schuljahres erhielt Familie P. die Nachricht vom Kultusministerium, dass Isabella ausnahmsweise eine Woche lang in Begleitung ihres Vaters in die Schule darf, danach aber nicht mehr. Das Angebot nahm die Familie nicht an. "Wie hätte ich das dem Kind erklären sollen?", fragt Fritz P., "Ich kann sie doch nicht mit ihrer Erwartungshaltung und Hoffnung, in die Schule gehen zu dürfen, ein paar Tage schnuppern lassen und ihr dann sagen, dass sie das ab jetzt nicht mehr darf." Das Warten und die Unsicherheit habe die Siebenjährige zermürbt, erzählt Kristina P. "Ich finde, es wird bei dieser ganzen Sache vergessen, dass man das mit einem kleinen Menschen macht."

Die Familie aus Karlsfeld ging vor Gericht. Nach einer ersten gescheiterten Klage entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit dem Verweis darauf, dass die Empfehlung über den Einsatz von Schulbegleitern in begründeten Einzelfällen Ausnahmen zulasse, dass Isabella so lange von ihrem Vater in die Schule begleitet werden darf, bis eine geeignete Pflegekraft gefunden ist. Allerdings beschränkte das Gericht die Genehmigung auf das Schuljahr 2021/2022.

Dieses ist seit knapp sechs Wochen vorbei, doch Isabella konnte an keinem Schultag den Präsenzunterricht ihrer ersten Klasse besuchen. Dafür sei, so Fritz P., die damalige Pandemiesituation für die lungenkranke Tochter zu riskant gewesen. Ihm sei nichts anderes übrig geblieben, als Isabella krankschreiben und vom Präsenzunterricht befreien zu lassen.

Sechs Stunden Hausunterricht statt 16 bis 23 Wochenstunden in Präsenz

Stattdessen erhielt Isabella ab dem zweiten Schulhalbjahr sechs Stunden in der Woche Hausunterricht. "Das ist doch viel zu wenig", meint der Vater. "Hätte sie nicht schon vorher lesen und schreiben können, wüsste ich nicht, wie sie das in nur zwei Unterrichtsstunden an drei Tagen pro Woche hätte schaffen sollen." Isabellas Mitschüler und alle anderen ersten Klassen in Bayern werden 16 bis 23 Stunden in der Woche unterrichtet. Außerdem erklärt der Vater, dass seine Tochter nur dann Hausunterricht bekomme, solange sie krankgeschrieben sei. Ein Arzt müsse fortlaufend bestätigen, dass sie aufgrund der herrschenden Pandemiesituation nicht am Präsenzunterricht teilnehmen könne.

Fritz P. wünscht sich Alternativlösungen: "Es muss doch eine Möglichkeit der Beschulung geben, mit einer vernünftigen Wochenstundenzahl für Schüler, die nicht akut krank sind, aber trotzdem nicht am Präsenzunterricht teilnehmen können" - etwa, weil eine Schulbegleitung fehlt. Auf Anfrage der SZ teilt das Dachauer Schulamt später mit, dass die zum Schuljahr 2022/2023 geänderten Gesetze der Bayerischen Schulordnung es Schülerinnen und Schülern wie Isabella erlauben werden, am Unterricht ihrer Klasse im vollen Umfang per Videoübertragung teilzunehmen - soweit das die jeweilige Lehrkraft unterstütze und die technischen Voraussetzungen dafür vorlägen.

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Eltern wünschen sich Sozialkontakte und Inklusion für Isabella

Am meisten aber wünschen sich die Eltern, dass Isabella nicht immer nur zuhause unterrichtet werden muss. Denn die Siebenjährige ist viel allein und hat keine Freunde. Über die meiste Zeit am Tag beschäftigt sie sich selbst. Sie liest, zeichnet und bastelt viel. Die Wände im Haus sind bunt bemalt, überall hängen Glückwunschkarten, die Isabella ihren Eltern gebastelt hat. Schulische Inklusion ist bei Kindern wie Isabella auch deshalb besonders wichtig, weil es ihnen an Sozialkontakten mangelt. "Man braucht viel Zeit, um Akzeptanz zu schaffen. Auf dem Spielplatz wird man angeschaut und nicht angesprochen. Mitspielen darf man sowieso nicht", sagt Fritz P. und erklärt, dass seine Tochter eine konstante Gruppe wie eine Schulklasse brauche, um leichter Kontakte zu Gleichaltrigen knüpfen zu können.

Der Pflegekräftemangel erschwert die Suche nach geeigneten Schulbegleitern

Um in die Schule gehen zu können, braucht Isabella aber nach wie vor eine Pflegekraft als Schulbegleitung. Die Familie suche weiter, aber die Hoffnung, eine zu finden, sei fast weg, sagt Fritz P. und meint: "Wenn es sowieso schon so viel Nachfrage bei zu wenig Pflegepersonal gibt, dann nehmen die ambulanten Pflegedienste nicht die gefährlichsten und anstrengendsten Fälle." Denn Isabella ist mobil, sehr aktiv. Sie will sich bewegen, tanzen und lachen. Dabei kann die Sauerstoffversorgung aber schnell unterbrechen. "Man muss aufpassen wie ein Luchs", sagt Kristina P.. Keine geeignete Pflegekraft habe die Verantwortung bisher auf sich nehmen wollen.

Deshalb läuft aktuell wieder ein Gerichtsverfahren, in dem geprüft wird, ob Isabella auch im kommenden Schuljahr von ihrem Vater in den Präsenzunterricht begleitet werden darf. "Wir haben unsere Handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft" sagt Fritz P. "Wenn das Gericht negativ entscheidet, dann haben wir auch in der zweiten Klasse einfach keine Schule." Zum Schulstart am kommenden Dienstag wird der Beschluss aber noch nicht vorliegen. Das heißt, Isabella wird auch dieses Mal ihre schon längst gepackte Schultasche nicht aufsetzen und in ihre Schule gehen können.

Pfleger, die der Familie helfen möchten, können sich per E-Mail an isabella.pro@gmx.de wenden.

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