SZ-Serie: "Influencer im Landkreis", Folge 5:Schöner Schein

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Auch die Karlsfelderin Sophia Kohler setzt sich im Netz bewusst in Szene, doch sie setzt sich auch für mehr Realität in den sozialen Netzwerken ein und zeigt sich deshalb gelegentlich auch mal ungeschminkt. (Foto: privat)

Angefangen hat Sophia Kohler mit TikTok aus Langeweile, mittlerweile verdient sie damit Geld. Doch auch sexuelle Belästigung gehört zu ihrer Arbeit im Netz

Von Eva Waltl, Karlsfeld

Es sind 15-Sekunden-Videos, in denen sich Sophia Kohler aus Karlsfeld rhythmisch bewegt, den Text verschiedener Songs mitsingt oder mit Katze auf dem Arm durch das Wohnzimmer tänzelt. Die 22-Jährige betreibt einen Kanal auf Tiktok und auf Instagram. Ihr Instagram-Account zählt bislang 1600 Abonnenten, bei Tiktok sind es 1100. Inszenieren tut die junge Frau, die 2018 den Schönheitswettbewerb "Schöne Münchnerin" gewann, vor allem eines: sich selbst.

Es bedarf viel Disziplin und Arbeit, die Kanäle auf dem aktuellem Stand zu halten. Videos postet Kohler mehrmals täglich, Fotos alle ein bis zwei Tage. Sie tue das aus Spaß, aber auch um bei ihren Abonnenten im Gedächtnis zu bleiben, wie sie sagt. Ihr Tiktok-Kanal ist ein Kind des ersten Lockdowns: "Ich hatte Langeweile und fand mit Tiktok ein Hobby." Die Video-App, die vor allem von Teenagern genutzt wird, besteht aus Tanzvideos und kurzen Sketchen. Die Besonderheit: Videos erreichen immens schnell eine beträchtliche Reichweite. Wie ein solches Video konzipiert sein muss, um "viral zu gehen", hat die 22-Jährige noch nicht so ganz durchschaut. Eines fällt ihr jedoch schon nach einigen Monaten Tiktok-Erfahrung auf: "Umso mehr Haut man zeigt, umso viraler geht das Video." Weniger Kleidung, mehr Reichweite. "Bei Tiktok geht es dann extrem schnell. Auf einmal hat man 500 Follower mehr."

Sich in den von Filtern und Effekten überladenen Apps zurechtzufinden, ist oftmals gar nicht so einfach. Den Nutzern von Instagram und Tiktok steht die volle Bandbreite an Optimierungsmöglichkeiten für Bilder und Videos zur Verfügung. Im Handumdrehen kreiert der Nutzer das perfekte Gesicht, den perfekten Körper, um dem aktuellen Schönheitsideal zu entsprechen. Eine Verlockung, der vor allem viele der jungen Nutzer nur schwer widerstehen können.

Die 22-jährige Karlsfelderin hält allerdings, wie sie betont, wenig von dieser Art der Bildbearbeitung. Sie sehe den Hang zur Selbstoptimierung kritisch und finde diese Entwicklung bedenklich: "Diese Scheinwelt hat nichts mehr mit der Realität zu tun." Auch sie ließ sich im Alter von 16 Jahren von perfekt getrimmten Fotos beeinflussen, erzählt sie heute: "Ich sah die Bilder und wollte genauso aussehen." Die Inhalte auf Instagram hätten auf jeden Fall einen Teil ihres Alltags mitbestimmt, gibt sie zu. "Damals wusste ich nicht, dass ein Großteil der Bilder bearbeitet ist." Mit den Jahren aber erkannte sie, dass es eher darauf ankomme, "sich selbst treu zu bleiben" - auch in den sozialen Netzwerken. Die Fotos von Kohler sind ästhetisch, sie setzt sich in Szene, trägt makelloses Make-up und "retuschiert hin und wieder einen Pickel weg". Aber eben nicht nur: "Ich zeige mich auch ungeschminkt und in Jogginghose", erzählt sie. Dies sei nämlich auch sie - und Authentizität komme bei ihrer Community gut an. Ein Wandel sei bemerkbar, sagt Kohler: "Natürlichkeit wird immer beliebter."

Doch das ist nur die eine Seite der sozialen Medien: Neben dem vielen positiven Feedback bekommt die Karlsfelderin immer häufiger auch unangemessene Kommentare - vor allem von männlichen Usern. Ihr Account ist öffentlich. Jeder, der ein Instagramkonto besitzt, ist mit nur wenigen Clicks auf ihrem Profil, kann ihre Bilder sehen, sie liken - sie aber eben auch sexuell belästigen. Kohler erhält jede Menge Anfragen und Nachrichten. Der Großteil sei positiv, sagt sie. Aber darunter versteckten sich auch beleidigende und sexistische Kommentare. "Einmal wurde ich als Mülleimer bezeichnet", so Kohler. Sie lacht ein wenig, als sie davon erzählt. "Es ist absurd." Vor allem männliche Nutzer treten vermehrt mit der 22-Jährigen in Kontakt. Es handelt sich dabei mitunter auch um übergriffige Nachrichten. "Ich habe auch schon Penisbilder zugeschickt bekommen", das sei verstörend gewesen, sagt sie. "Mir fällt dazu gar nichts ein." Die virtuelle Belästigung bleibt meist folgenlos. "Ich ignoriere diese Art von Anfragen. Im realen Leben würde ich ja auch nicht mit jedem Menschen in Kontakt treten." Dennoch ist jedes gepostete Bild wohlüberlegt, denn ein öffentlicher Account ermöglicht eben allen Nutzern unbegrenzten Zugriff auf ihre Inhalte.

Ihr reales Leben lässt sie davon aber nicht bestimmen. Sie ist auf dem Boden geblieben, trotz Schönheitspreis und Vertrag bei einer Modelagentur. Gerade befindet Kohler sich in der finalen Phase ihrer Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten. Dies sei auch ihre Hauptverdienstquelle, sagt sie: "Die Ausbildung hat Priorität." Sicherheit ist ihr wichtig. In der Schönheitswelt verdient sie sich lediglich ein kleines Taschengeld dazu. Das Modelbusiness ist aber keineswegs ein leichtes Pflaster: "Man ist ein Objekt und muss durchgehend auf seinen Körper achten." Dies sei ein enormer Druck, sagt sie. In ihrer Ausbildung erfährt sie Sicherheit. "Ich will ein festes Standbein in meinem Leben haben", sagt Kohler. Für die Zeit nach ihrer Ausbildung wünscht sich die 22-Jährige, beides vereinen zu können, den Spaß am Modeln und die Sicherheit in ihrer juristischen Tätigkeit.

© SZ vom 06.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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