Corona-Proteste:Impfgegner-Demo entzweit Indersdorf

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Was übrig bleibt: Ein Bauhof-Mitarbeiter entfernt Impfgegner-Propaganda, die nach der unangekündigten Demo vom Sonntag an mehreren Stellen im Ort auftauchte. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nach einer unangemeldeten Versammlung in Markt Indersdorf mit mehr als 100 Menschen kleben impfkritische und demokratiefeindliche Sticker im Ort. Bürgermeister Franz Obesser fürchtet um das Image seiner Gemeinde.

Von Jessica Schober, Markt Indersdorf

Sie skandieren "Frieden, Freiheit und Demokratie", sie haben Lichter, Laternen und Taschenlampen dabei und sie ziehen in einer unangemeldeten Kundgebung Richtung Corona-Teststation. Dieses Bild bot sich am vergangenen Sonntag den rund zehn Polizeibeamten, die zum Marktplatz gerufen wurden. Nach Polizeiangaben hatten sich dort etwas mehr als 100 Demonstranten, darunter viele Familien mit Kindern, um 17 Uhr versammelt. "Es gab keinen Grund einzuschreiten, weil sich die Teilnehmenden friedlich und gesittet verhalten haben", sagt Polizeisprecher Björn Scheid über die unangemeldete Demonstration. Die Abstände zwischen den Teilnehmenden hätten bei der großen Menschenmenge allerdings nur schwer kontrolliert werden können, räumt Scheid ein.

Nach der Veranstaltung wurden nicht nur mehrere impfkritische Aufkleber wie "Impfzwang, nein Danke" im öffentlichen Raum sichtbar, sondern auch Schmierereien auf Schaukästen, beispielsweise der Schriftzug "Stoppt die Diktatur". Die Parole verhöhnt Opfer von Diktaturen und gilt als Schlachtruf der Corona-Leugner. Politik und Gastronomen zeigen sich nun überrumpelt von dem Ausmaß des Indersdorfer Impfprotests. Die bislang öffentlich führungslose Organisatorengruppe plant offenbar einen weiteren Umzug am kommenden Sonntag.

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Eine Teilnehmerin war Bettina Campisi, die den Bioladen "Luna Naturkost" am Indersdorfer Marktplatz betreibt. Sie habe über eine weitergeleitete Whatsapp-Nachricht von der Aktion erfahren. Nach ihrer Einschätzung sei die Polizei vor Ort nicht notwendig gewesen, bei dem Umzug habe sie "keine Aggressionen" verspürt. Zitieren lassen will sie sich nur mit der Aussage: "Egal ob geimpft oder ungeimpft, es ist klar, dass die Leute keine Impfpflicht wollen". Es gehe ihr um die "demokratisch freie Entscheidung."

"Wie schlimm muss es noch werden, dass die Deutschen auf die Straße gehen?", fragt eine andere Teilnehmerin des Aufmarsches, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Sie empört sich über eine mögliche Impfpflicht für das Pflegepersonal und darüber, dass lokale Geschäfte wie Boutiquen und Einrichtungsläden keine Ungeimpften mehr zum Shoppen hineinlassen dürften. Sie sei entsetzt über die Politik, sagt die Frau. Es sei ein "klarer Wunsch des Volkes, dass die Menschen keine Impfpflicht wollen". Tatsächlich belegt eine aktuelle Umfrage, dass 70 Prozent der Bayern eine Impfpflicht befürworten. In Bezug auf die Proteste fügt die Teilnehmerin hinzu: "Wir sind weit entfernt von Sachsen." Dort hatten zuletzt Fackelzüge von Impfgegnern für Aufsehen gesorgt.

Bürgermeister Franz Obesser (CSU) räumt ein, dass er von der unangemeldeten Aktion unmittelbar vorm Rathaus erst im Nachhinein erfahren habe. "Wer für Demokratie und Freiheit demonstrieren will, der muss sich auch an die demokratischen Regeln halten und eine Veranstaltung anmelden", sagt Obesser. Schon allein zur Verkehrssicherung sei dies notwendig. Er fürchte, dass womöglich "gut gemeinte Aktionen aus der Bürgerschaft" von Trittbrettfahrern aus der rechten Szene gekapert werden könnten. "Da schalten sich Leute drauf, die die Organisatoren im Hintergrund ursprünglich gar nicht im Sinn hatten", warnt Obesser.

Die CSU muss sich aus nächster Nähe mit den Impfgegnern auseinandersetzen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Mehrere impfkritische und demokratiefeindliche Sticker und Schmierereien am Indersdorfer Marktplatz ließ Obesser nun entfernen. "Solche Schmierereien im Ortsbild ärgern mich, egal aus welcher Richtung sie kommen." Inhaltlich stellt er klar: "Ich muss mich auf die Wissenschaft verlassen: Impfen ist das, was hilft" Bei einer Impfquote von knapp 70 Prozent und somit rund 30 Prozent verbliebenden Ungeimpften in der Gemeinde wolle er "keinen Keil zwischen die Lager treiben", wie er es ausdrückt. "Wir kriegen mit, dass die Diskussionen härter werden", sagt der Bürgermeister. Insgesamt sei die Versammlung vom Sonntag "nicht förderlich für das Image von Indersdorf" gewesen.

Peter Heller vom Dachauer Runden Tisch gegen Rassismus sagt zu den Schmähungen vor Ort: "Das ist schlicht demokratieverachtend. Ich hoffe, dass eine neuerliche unangemeldete Veranstaltung aufgelöst und nicht von der Polizei begleitet wird." Nach Recherchen seines Vereins wurden am Sonntag in Indersdorf auch Sticker der rechtsextremen Identitären Bewegung geklebt. Außerdem seien vergangenen Sonntag bayernweit mehr als 25 Veranstaltungen ähnlicher Art angemeldet gewesen. "Das ist kein Zufall, das sieht orchestriert aus."

Der Indersdorfer Gemeinderat Florian Ebner (EHW) hat ebenfalls an dem Umzug teilgenommen, als Privatperson, wie er festhalten möchte. Den Aufmarsch nennt er eine "zivilisierte, vernünftige Wanderung" - mit der Einschränkung, dass er sich gewünscht hätte, das mehr Teilnehmende Masken getragen hätten. Er selber wolle sich nicht impfen lassen und erlebe, wie "auf die Ungeimpften wie mit einer Fliegenklatsche draufgehauen wird", sagt der Kommunalpolitiker. Auch die kommende Testpflicht für Kitakinder habe nach seiner Beobachtung viele aufgebracht. Laut Ebner hatte es im Aufruf zum Umzug geheißen: "Wir haben keine Zeit mehr, wir starten jetzt auch" und "Wir dürfen uns das nicht mehr gefallen lassen".

Ebner selbst räumt inzwischen ein, dass er sich mit Aussagen über die angebliche Schwierigkeit, eine Demonstration anzumelden, "zu weit aus dem Fenster gelehnt habe". Veranstaltungen müssten natürlich beim Landratsamt angemeldet werden. Zu einem weiteren Umzug werde er nur gehen, wenn dieser offiziell angemeldet sei. Bürgermeister Obesser hatte sich über Ebners Auslassungen empört: Dass Demonstrationen in der Vergangenheit nicht genehmigt worden seien, das "weise ich weit von mir", sagte Obesser. Ihm sei keine einzige angemeldete Veranstaltung im Landkreis bekannt, die verhindert wurde.

Fragt man in den Tagen nach dem Umzug in der Marktgemeinde herum, warum ausgerechnet Indersdorf Versammlungspunkt so vieler Impfgegner wurde, blickt man in ratlose Gesichter. Eine der wenigen, die zu diesem Thema öffentlich sprechen, ist Maria Jost von "Marias Café", das bereits geschlossen hatte, als der Umzug direkt davor vorüberzog. "Ich erlebe die Indersdorfer Menschen so, dass sie bei den notwendigen Regeln gut mitmachen", sagt Maria Jost. In ihrem Café habe sie keine Schwierigkeiten, den Impf- oder Genesungsstatus zu kontrollieren. "Es hat mich überrascht, dass am Sonntag hier so viele Leute vorbeigezogen sein sollen."

Für kommenden Sonntag rechnet die Polizei mit einem erneuten Auflauf. Dass die Versammlung nicht beim Landratsamt angemeldet gewesen war, sei rückblickend kein Grund für eine Auflösung der Veranstaltung gewesen, sagt Polizeisprecher Scheid. "Erst wenn massive Störungen auftreten, die mit Belehrungen und Auflagen nicht behoben werden können, würden wir als letztes Mittel der Wahl eine Veranstaltung auflösen". Das sei jedoch nicht zu erwarten.

© SZ vom 10.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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