30 Jahre Gemeindepartnerschaft:Aus Erzfeinden sind Freunde geworden

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2012 konnte man noch gemeinsam im Röhrmooser Rathaus feiern, zum 30-jährigen Jubiläum müssen die Feierlichkeiten online stattfinden. (Foto: oh)

30 Jahre besteht die Partnerschaft zwischen Röhrmoos und Taradeau. Doch ein Treffen wird trotz Jubiläum dieses Jahr wohl höchstens via Video möglich sein

Von Sophie Kobel, Röhrmoos

Wenn Helmuth Rumrich Jugendlichen aus seiner Heimatgemeinde Röhrmoos vorschlägt, doch mal mit in die Provence zur Partnergemeinde Taradeau zu kommen, kommt er immer wieder zu demselben Fazit: "Vielen ist nicht wirklich bewusst, dass wir mal Erzfeinde waren", sagt der 71-Jährige und seufzt. "Gott sei Dank, da hat die Zeit Wunden geheilt". Denn was für viele junge Menschen selbstverständlich erscheint, war für viele Menschen aus Rumrichs Generation ein bewusster Entschluss. "Nie mehr Krieg", das ist das Motto, unter dem 1991 die Gründung der Partnerschaft zwischen Röhrmoos und der französischen Gemeinde Taradeau stand. Seitdem setzen sich jedes Jahr knapp 30 Taradeauer oder Röhrmooser in Bus und Auto und besuchen sich abwechselnd gegenseitig. Über die Jahre wurde aus diesen Treffen eine Freundschaft. Dieses Jahr feiert sie ihr 30-jähriges Bestehen. Umso trauriger ist man, dass die Zusammenkunft diesen Sommer coronabedingt vermutlich zum zweiten Mal in Folge ausfallen muss. Eine Videokonferenz wird sie wohl ersetzen müssen.

"Wir warten alle schon sehr sehnlich darauf dass wir wieder runterfahren können" sagt Rumrich, und fügt hinzu "allein schon weil unsere Weinvorräte aufgebraucht sind." Für ihn wäre es in etwa sein fünfzehnter Besuch, der Röhrmooser ist seit der Geburtsstunde der Partnerschaft dabei. Der damals Zweite Bürgermeister von Taradeau, Henri Dussart, hatte die Partnerschaft initiiert.

Während des Zweiten Weltkriegs sollte Dussart als Widerstandskämpfer ins KZ Dachau deportiert werden. Dazu kam es durch glückliche Umstände nicht, für den Franzosen aber stand fest: Er wollte ein Friedensprojekt mit einer Gemeinde aus dem Landreis Dachau auf die Beine stellen. Mit Erfolg: Auf anfängliche Unsicherheit der Gemeinderäte, von denen niemand französisch sprechen konnte, folgte schließlich ein bayerisches "Na loss ma's hoid kema, na seng ma weida!". Ein paar Tage später standen eine Hand voll Taradeauer zum ersten Mal in Röhrmoos.

Mit der Familie, die seine Frau und er vor dreißig Jahren zum ersten Mal bei sich aufgenommen haben, hat Rumrich erst im Januar wieder telefoniert, denn die Geburtstage aller Familienmitglieder stehen in seinem Kalender. Auch Annemarie Pabst, Tochter des damaligen Bürgermeister Josef Westermayr, war beim ersten Besuch in Taradeau dabei. "Mein Vater meinte nur ,Du hast doch französisch gelernt, wir fahren da hin'", erzählt sie. "Wir sind also mit einer kleinen Delegation in dieses kleine Kaff in der Provence gefahren. Damals haben die Menschen dort noch sehr bescheiden gelebt, der Wein kam im Schlauch aus Kanistern. Heute gibt es tolle Verkaufsräume und der Wein wird in der ganzen Region vertrieben. Da sind wir schon stolz". Den Wein gibt es seitdem regelmäßig auf dem Markt und im Hofladen der Westermayrs zu kaufen. Im Gegenzug brachten die Röhrmooser Bier lokaler Brauereien in die Provence und luden auch mal ein Spanferkel in den Kofferraum ihres Reisebusses. Das musste sein, schließlich war der Maibaum via Spedition bereits auf dem Weg und was wäre ein Maibaumaufstellen ohne bayerische Verpflegung?

Wie wichtig die Gründung der Partnerschaft und all die bunten Feste doch für vieler Bürger Taradeaus ist, das wurde Rumrich schon beim ersten Besuch bewusst. Vor einer großen Messe in der dortigen Kirche schlug der Pfarrer vor, die angereisten Röhrmooser könnten doch als Friedensgruß jedem der anwesenden Franzosen die Hand geben. "Wir Bayern sind da ja etwas gehemmter. Aber der Westermayr sagte ,Des mach ma'. Und die Franzosen haben sich so sehr gefreut, dass sie uns alle spontan in der Kirche umarmt haben. Das war sehr ergreifend", erzählt er.

Auch über den ersten Besuch hinaus ist diese Verbindung keine, die nur auf dem Papier existiert. Als Taradeau vor gut fünf Jahren völlig überschwemmt wurde, veranstalteten die Röhrmooser ein Fest zu ihren Ehren und schickten die Einnahmen ihrer Partnergemeinde. Als im November 2015 ein Attentäter über hundert Menschen in Paris tötete, waren die Bayern gerade zu Besuch in Taradeau und standen ihren Gastfamilien bei. Und auch beim Tod der Bürgermeister beider Gemeinden stiegen die Freunde noch am selben Tag ins Flugzeug. Woran man in Zukunft noch arbeiten möchte, ist die Jugendarbeit. Zwar kommen jedes Jahr einige Kinder und Jugendliche bei den Besuchen mit, ein richtiger, schulischer Austausch war mit den Grundschülern aber nicht möglich. Durch den Bau des neuen Gymnasiums könnte aber auch diese französisch-deutsche Idee Realität werden.

© SZ vom 10.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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