"Dachau liest":Joachim Gauck spricht über die Gefahren für die Demokratie

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Freiheit ist für Joachim Gauck ein hohes Gut, gut ein Drittel der Deutschen setzt die Prioritäten anders. (Foto: J. Denzel/S. Kugler)

Zum Literaturfestival der Stadtbücherei Dachau kommen wieder prominente Autorinnen und Autoren, darunter gleich zwei Bachmann-Preisträgerinnen - und ein ehemaliger Bundespräsident im Gespräch mit SZ-Politik-Chef Stefan Kornelius. Auch die Unterhaltung kommt nicht zu kurz.

Von Gregor Schiegl, Dachau

In einem Interview mit der Zeit stellte die slowenische Literatin Ana Marwan mal etwas ganz Grundsätzliches über ihren Berufsstand klar: "Wir sind nur gut darin, aufzuzeigen, wo es wehtut. Wir können Symptome beschreiben, aber keine Lösungen anbieten. Schriftsteller können nur dabei helfen, Empathie zu pflegen." Trotzdem dürfte sie mit ihrem Auftritt beim Literaturfestival "Dachau liest" wieder auf hohe Erwartungen treffen: Sie ist hochdekorierte Literatin, die Zeiten sind unübersichtlich, da sehnen sich die Leser nach Orientierung, nach klugem Rat oder wenigstens ein bisschen Trost.

Dichtung und Wahrheit

Wer nach einfachen Antworten sucht, ist bei Ana Marwan an der falschen Adresse. (Foto: Una Rebic)

Ana Marwan wird ihnen all dies nicht geben, stattdessen führt sie ihr Publikum in ein verschlungenes Spiegellabyrinth, der Boden schwankt, die Erzählfäden verweben sich zu einem undurchsichtigen Gespinst, eindeutig ist nichts in ihrem Roman "Verpuppt". Im Mittelpunkt der Geschichte steht Rita, eine junge Frau an der Schwelle zum Erwachsenwerden: Rita ist scheu, kommt mit Büchern besser zurecht als mit Menschen, aus der Sprache schöpft sie ihre eigene Realität. Über weite Strecken bleibt unklar, ob ihre Darstellung der Ereignisse erlebte oder nur erzählte Wirklichkeit ist. Die Brüche, die Widersprüche, die Ungewissheiten - Anna Marwan überwindet sie nicht, sie spaziert mitten hinein in die zerklüftete Welt der Verunsicherung, die man nicht ohne Schwindelgefühle verlässt.

Bei solchen literarischen Extremtouren ist man froh um eine fachkundige Reisebegleitung. Moderatorin Hana Stojić ist mit dabei, wenn Ana Marwan ihren versponnenen Coming-of-Age-Roman am 4. Oktober im Thoma-Haus vorstellt.

Schon in den vorangegangenen neun Ausgaben sparte das Dachauer Literaturfestival nicht mit Hochkarätern: Helga Schubert, Helmut Krausser, Edgar Selge - sie alle haben schon hier gelesen, Alice Schwarzers zweiter Teil ihrer Autobiografie hatte in Dachau sogar Premiere. Und die zehnte Auflage von "Dachau liest" funkelt noch ein bisschen mehr: Mit Ana Marwan und Tanja Maljartschuk ist es der Stadtbücherei gelungen, gleich zwei Bachmann-Preisträgerinnen ins Thoma-Haus zu holen. Ein ebenso großer Coup ist mit dem Engagement des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck gelungen.

Freiheit als Zumutung

SZ-Politik-Chef Stefan Kornelius hat Joachim Gauck schon öfter interviewt. (Foto: Friedrich Bungert)

Die heutige Zeit bezeichnete er als "Epoche der Konfusion", anders als seine Kollegen vom literarischen Fach hat er Thesen dazu im Gepäck, was sich da gerade in Gesellschaft und Politik abspielt - und was zu tun ist, damit dieses trudelnde Gemeinwesen in seiner liberalen Form weiter bestehen kann.

In seinem gemeinsam mit der Publizistin Helga Hirsch verfassten Sachbuch "Erschütterungen. Was unsere Demokratie von außen und innen bedroht" setzt sich der mittlerweile 83-Jährige mit den "Alterungserscheinungen" der demokratischen Ordnung auseinander. Als größte Bedrohung macht er - wenig überraschend - Putins Regime aus. Wiederholt habe Polen Deutschland davor gewarnt, sich zu sehr in die Abhängigkeit von russischen Gasimporten zu begeben. Ohne Erfolg. Gaucks ernüchterndes Resümee: "Sie sahen es - wir sahen es nicht."

Doch es gibt auch Demokratiefeinde im Inneren, Gruppen, die sich, von den großen Krisen der Gegenwart überfordert, zu "Misstrauensgemeinschaften" zusammentun, wie es Gauck formuliert; im Reden und Handeln radikalisierten sich diese bis zur Verfassungsfeindlichkeit. Beunruhigende Zahlen dazu liefert eine aktuelle Forsa-Erhebung für den Deutschen Beamtenbund. Demnach halten nur noch 27 Prozent der Befragten den Staat für fähig, seine Aufgaben zu erfüllen. Man müsse sich darauf einstellen, dass etwa ein Drittel der Menschen ein starkes Bedürfnis nach "Sicherheit, Gleichheit und Einheit" habe, so Gauck. Für ihn, den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler, war ein anderer Wert immer vorrangig: die Freiheit. Und die Demokratie sei die "einzig wahre Form der Freiheit". Am 6. Oktober spricht SZ-Politik-Chef Stefan Kornelius mit Joachim Gauck über sein Buch.

Ein leidgeprüftes Land

Die Ukrainerin Tanja Maljartschuk siedelte 2010 nach Wien um und schreibt in deutscher Sprache. (Foto: Michael Schwarz)

Mitten in der tosenden Brandungszone des Zeitgeschehens bewegt sich auch die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk. In ihrem 21 Texte umfassenden Essay-Band "Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus" schreibt sie gegen die völkerrechtswidrige Expansionspolitik Russlands an - wohlwissend, dass Worte allein nicht viel bewirken können. Sie sagte einmal: Wäre sie imstande, ein solches Buch zu schreiben, "das in der Lage wäre, diesen Krieg zu stoppen", sie täte es.

Den Blick zu schärfen und die Perspektive zu weiten, dazu tragen ihre oft sehr persönlich formulieren Texte aber sehr wohl bei. Die Besetzung des Donbass, die Annexion der Halbinsel Krim und der Vernichtungsfeldzug Russlands gegen die Ukraine setzt sie in Tradition einer weit in die Vergangenheit hineinreichenden Gewaltgeschichte. Beteiligt waren daran auch die Deutschen; ihrem Wüten fielen während des Zweiten Weltkriegs mehrere Millionen Menschen zum Opfer. Tanja Maljartschuk sitzt am 5. Oktober mit Moderatorin Tanja Graf auf der Lesebühne.

Wo die Liebe hinfällt

Ewald Arenz unterrichtet Englisch und Geschichte an einem Nürnberger Gymnasium, wenn er nicht gerade Bücher schreibt. (Foto: Ilka Birkenfeld)

Aber nicht nur schwere, ernste Themen haben ihren Platz auf diesem Lesefestival, sondern auch die Unterhaltung, das Vergnügen an guten Geschichten. Und ja, auch fürs Herz ist etwas mit dabei. Ewald Arenz, mittlerweile einer der erfolgreichsten Schriftsteller Deutschlands, präsentiert am 3. Oktober seinen Roman "Die Liebe an miesen Tagen", ein Buch von großen Gefühlen und romantischer Liebe. Können Clara und Elias, beide nicht mehr ganz jung und eigentlich auch gar nicht auf der Suche nach einer Beziehung, sich aufeinander einlassen? Und wollen sie das überhaupt? Moderiert wird der Abend von SZ-Kulturredakteur Bernhard Blöchl, der selbst Romanautor ist und, nebenbei gesagt, ein ziemlich witziger.

Jagd auf "La Joconde"

Tom Hillenbrand greift in seinem Detektivroman einen spektakulären Kunstraub auf. Vermisst wird die "Mona Lisa". (Foto: Bogenberger Autorenfotos)

Spannend wird es dann am 7. Oktober in der Lesung von Tom Hillenbrand. In seinem historischen Detektivroman "Die Erfindung des Lächelns" nimmt er sein Publikum mit in das Paris der ausgehenden Belle Époque. Kommissar Lenoir ist auf der Suche nach der "Mona Lisa". Im August 1911 wurde das Gemälde der Welt aus dem Ausstellungssaal des Louvre entwendet. Bei seinen Ermittlungen trifft Lenoir auf allerlei Verdächtige, darunter viel Prominenz: die Tänzerin Isadora Duncan, die Anarchisten-Bande um Jules Bonnot, den Erfinder des modernen Satanismus Aleister Crowley, den Dichter Guillaume Apollinaire und nicht zuletzt den berühmten Maler Pablo Picasso.

Kinderquatsch mit Mozart

Marko Simsa nimmt die Kinder mit in die Welt von Wolfgang Amadeus Mozart. (Foto: Beate Hofstadler)

Für Kinder ab fünf Jahren gibt es auch diesmal wieder einen eigenen Programmpunkt, "Mozart für Kinder", eine Lesung mit Tanz und Musik von Marko Simsa aus Wien. Mit Anekdoten, Musikbeispielen und Mitmach-Elementen nimmt der zweifache Vater sein Publikum mit in die Welt des jungen Wolfgang Amadeus Mozart. Die berühmte Oper "Die Zauberflöte" mit Papageno und Papagena darf darin natürlich auch nicht fehlen.

Vorverkauf und Abendkasse

Der Eintritt zu der Kinderveranstaltung (mit einer erwachsenen Begleitperson pro Kind) ist frei. Eine telefonische Anmeldung unter 08131/754840 oder persönliche Anmeldung in der Hauptstelle der Stadtbücherei-Dachau ist ab September möglich. Karten für die Lesungen um 20 Uhr im Thoma-Haus sind zum Preis von 15 Euro im Online-Vorverkauf über www.muenchenticket.de und in der Tourist-Information der Stadt Dachau erhältlich. An den Veranstaltungstagen gibt es auch Abendkasse.

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