KZ-Gedenkstätte Dachau:Erdrutsch am KZ-Friedhof Leitenberg

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Kurz vor Weihnachten stürzten Erdmassen auf den Radweg neben der Freisinger Straße am Fuße des Bergs. (Foto: Toni Heigl)

Auf dem Dachauer Leitenberg liegt ein Friedhof für mehr als 7400 Opfer des Konzentrationslagers. Seit Jahrzehnten wird vergeblich davor gewarnt, dass der Hügel abrutschen könnte. Jetzt ist es passiert.

Von Helmut Zeller, Dachau

An Appellen hat es nicht gefehlt - doch geschehen ist nichts. Jetzt kam es zu einem Erdrutsch am Leitenberg. Auch wenn es noch glimpflich ausgegangen ist, genau davor warnen Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Dachau seit Jahren. Auf dem Berg an der Freisinger Straße liegt ein Friedhof für mehr als 7400 Opfer des Konzentrationslagers - die Anlage mit Gräbern, Wegen und einer Gedächtniskapelle ist in einem miserablen Zustand.

Zuständig für die Erhaltung dieses Gedenkorts ist der Freistaat Bayern. Auf eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Gabriele Triebel (Grüne) im Februar 2021 antwortete das Kultusministerium: "Eine zeitliche Perspektive für die Behebung dieses Problems gibt es derzeit nicht." Die geologische Instabilität des Leitenbergs ist jedoch bereits seit den 1980er-Jahren bekannt. Nun aber: Bis 28. Februar sollen 50 bis 60 kleinere Bäume gefällt werden, um immerhin die Abbruchkante zu stabilisieren. Kurz vor Weihnachten stürzten Erdmassen auf den Radweg neben der Freisinger Straße am Fuße des Bergs.

Das Gestein im Inneren des kleinen Berges im Norden Dachaus ist extrem brüchig

Vor zwei Wochen etwa trafen sich Experten der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt Dachau und des Staatlichen Bauamts in Freising am Leitenberg. Sie kamen überein, die vorderste Baumreihe an der Abbruchkante zu fällen, die sich vor Weihnachten aufgetan hatte. Es gilt zu verhindern, dass weiteres Erdreich abrutscht und auf den Radweg oder gar die vielbefahrene Freisinger Straße stürzt. Wie Sina Török, Pressesprecherin des Landratsamtes, der SZ weiter sagte, werden die Arbeiten so ausgeführt, dass die Fledermauspopulation am Berg und die Wildbienen in seinem unteren Bereich nicht zu Schaden kommen. Zugleich soll einer der beiden Zugangswege zum Ehrenfriedhof, der bereits seit 2010 gesperrt ist, wieder instand gesetzt werden. Auf dem Weg liegt ein umgestürzter Baum; aber auch der Aufstieg auf dem zweiten, glitschigen Weg ist nicht ganz ungefährlich.

Der Grund für die desolate Lage: Das Gestein im Inneren des kleinen Berges im Norden Dachaus ist extrem brüchig, der Hang rutscht langsam ab. Die direkt an der Südostseite entlang führende, viel befahrene Bahntrasse sowie die Staatsstraße nach Hebertshausen verstärken diesen Prozess noch. Bekannt ist dieses Problem zwar spätestens seit einem geologischen Gutachten aus den 1980er Jahren - doch passiert ist seitdem nichts. Auch der Gedenkort selbst verfällt. Was genau sich dort eigentlich ereignet hat, erfährt man auf einer einzigen Informationstafel, die sich am Parkplatz befindet. Die KZ-Gedenkstätte plante zwar einen neuen barrierefreien Weg samt Informationstafeln vom Nordosten. Das scheiterte aber an einem privaten Grundstückseigentümer, die Finanzierung wäre ohnehin nicht geklärt.

Der KZ-Friedhof Leitenberg. (Foto: Toni Heigl)

Das Gelände, auf dem sich die Wege, der Ehrenfriedhof, eine Gedächtnishalle und eine Gedenkkapelle befinden, ist Eigentum der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Doch über die Finanzierung solcher Projekte der Erinnerungskultur entscheidet letztlich das Kultusministerium. Warum für diesen zentralen Gedenkort nicht ausreichend Geld zur Verfügung gestellt wird, wissen die Dachauer Kommunalpolitiker nicht. Aber vor einem Jahr appellierten Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) und die Stadträte parteiübergreifend an den Freistaat, endlich etwas zu tun. Die Reaktion: gleich null. Vor Monaten hatte das Kultusministerium auf Triebels Anfrage geantwortet: "Der Friedhof selbst ist nicht gefährdet." Eine generelle Sanierung des Südhangs? Das würde "unabsehbare Kosten" verursachen, teilte das Ministerium der Grünen-Abgeordneten mit.

Auf dem KZ-Ehrenfriedhof im Dachauer Stadtteil Etzenhausen ließ die Kommandantur des Konzentrationslagers zwischen 28. Februar und 27. April 1945 acht Massengräber anlegen. Bis zur Befreiung des KZ am 29. April durch Einheiten der 7. US-Armee wurden auf dem Leitenberg nachweislich 4318 KZ-Häftlinge begraben, bis Mitte Mai kamen noch zwei weitere Massengräber mit 1 879 Häftlingen sowie etwa 40 Wehrmachtsangehörigen dazu, die bei den Kämpfen in der Nähe Dachaus getötet worden waren. Nach der Befreiung zwangen amerikanische Soldaten Dachauer, die Toten, die im KZ vorgefunden worden waren, mit Fuhrwerken zur Leiten zu bringen. Franzosen, Norweger, Belgier und Holländer ließen die sterblichen Überreste ihrer Landsleute in den 1950er Jahren exhumieren und in ihre Heimat bringen. Heute sind auf dem Leitenberg noch 7439 KZ-Opfer bestattet. Im Sommer 1949, nach einem Knochenfund am Fuße des Berges, wurde der vernachlässigte Zustand der Gräber international bekannt. Das führte damals zu weltweiten Protesten. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich auf dem Leitenberg nur ein Holzkreuz und ein verborgener Davidstern. Der Ehrenfriedhof wurde am 16. Dezember 1949 eingeweiht.

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