Auszeichnung:"Vom Staatsfeind zum Ehrenbürger Deutschlands"

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Ernst Grube (l.) erhält das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, überreicht von Bayerns Kultusminister Michael Piazolo. (Foto: Alexandra Beier)

Der Shoah-Überlebende Ernst Grube wurde lange staatlich verfolgt. Jetzt erhält er das Bundesverdienstkreuz für sein Engagement für die Erinnerungskultur.

Von Thomas Radlmaier, München/Dachau

Das Bundesverdienstkreuz ist die höchste Anerkennung, welche die Bundesrepublik Deutschland für Verdienste um das Gemeinwohl ausspricht. Jetzt hat der Holocaust-Überlebende Ernst Grube diese Auszeichnung von Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) erhalten. Ausgerechnet Grube - diesen Zusatz muss machen, wer die Geschichte des 90-Jährigen kennt. Die Verfolgung durch staatliche Behörden zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Auf die Auszeichnung angesprochen sagte Grube kürzlich dem Evangelischen Pressedienst: "Ich habe den Weg vom Staatsfeind zum Ehrenbürger Deutschlands gemacht - das ist kaum zu fassen."

Ernst Grube ist einer der letzten noch lebenden Zeitzeugen der Shoah. Er ist Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, gehört dem politischen Beirat des NS-Dokumentationszentrums München an und ist Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Im vergangenen Jahr ernannte ihn die Stadt München zu ihrem Ehrenbürger. Unermüdlich erzählt er in Schulen oder Bildungseinrichtungen von seiner Verfolgungserfahrung, um die Erinnerung lebendig zu halten. Das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens gehe an einen Mann, "der sich in besonderer Weise um die politische Kultur und die Erinnerungskultur in Bayern und in Deutschland verdient gemacht hat", so das Kultusministerium.

Seinen alten Judenstern legte er den Beamten im Rathaus auf den Tisch

In der NS-Zeit erlebt Grube, der 1932 in München geboren wird, als Kind Ausgrenzung und offenen antisemitischen Hass. Seine Mutter, eine Krankenschwester, kommt aus einer strenggläubigen jüdischen Familie. Der Vater ist Malermeister. Beide sind Kommunisten. Die Familie lebt in einer Wohnung nahe der Hauptsynagoge am Stachus. Als Fünfjähriger sieht Grube, wie diese im Juni 1938 als eine der ersten Synagogen in Deutschland zerstört wird. Kurz vor Kriegsende wird er mit seinen Geschwistern und seiner Mutter ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie überleben - seine Tanten und Onkel mütterlicherseits werden ermordet.

Nach der Befreiung Deutschlands kommen die Grubes zurück nach München. Ernst Grube wird Maler und später Berufsschullehrer. In der Nachkriegszeit geht er als Kommunist und Friedensaktivist auf die Straße. Er kämpft gegen die Verdrängung deutscher Schuld und um die Anerkennung des Leids der NS-Opfer, seines Leids. Doch ähnlich wie vor 1945 bekommt er nur Ablehnung und Ausgrenzung zu spüren. Wegen seiner Mitgliedschaft in der seit 1956 verbotenen Kommunistischen Partei muss er zwei Mal ins Gefängnis. Grube habe miterleben müssen, "wie nach dem Krieg ehemalige Nationalsozialisten in hohe Ämter aufstiegen, während er aufgrund seiner damals als verfassungsfeindlich eingestuften politischen Überzeugungen Sanktionen ausgesetzt war", so das Kultusministerium.

Ernst Grube wird 2010 namentlich im Verfassungsschutzbericht erwähnt

Der SZ Dachau sagte Grube einmal, er lebe ein Leben der Verfolgung, aber auch der Erfolge. Fast schon legendär ist in diesem Zusammenhang diese Geschichte: In den Siebzigern unterrichtet Grube an einer Berufsschule. Doch wegen des sogenannten Radikalenerlasses, mit dem die Bundesregierung "linksextremistische" Lehrer im öffentlichen Dienst verhindern will, droht ihm Berufsverbot. Zu einem Anhörungsgespräch im Münchner Rathaus nimmt er damals seinen alten "Judenstern" mit, den er als Kind tragen musste. Er legt den gelben Aufnäher den zuständigen Beamten auf den Tisch. Anschließend darf er als Lehrer weiter unterrichten.

Der Staat verfolgt Grube politisch fast bis in die Gegenwart. Er engagiert sich seit Jahrzehnten bei der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN), die seit den Fünfzigern vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Grube wird 2010 namentlich im Verfassungsschutzbericht erwähnt und als "Linksextremist" eingestuft. Der Verfassungsschutz unterstellt dem Theresienstadt-Überlebenden und anderen ehemaligen KZ-Häftlingen gar, mit öffentlichen "Zeitzeugen-Auftritten" der VVN einen "demokratischen Anstrich" zu verleihen. Nach zahlreichen Protesten gegen Grubes Nennung im Bericht taucht sein Name in folgenden Berichten nicht mehr auf, der Verfassungsschutz beobachtet ihn dennoch weiter. Erst 2022 wird der VVN aus dem bayerischen Verfassungsschutzbericht gestrichen.

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Jetzt, ein Jahr später erhält Grube von einem bayerischen Staatsminister das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens ausgehändigt. "Menschen wie Ihnen ist es zu verdanken, dass unsere Gesellschaft heute ein demokratisches und tolerantes Gesicht zeigt", sagte Piazolo bei der Verleihung. Grube sei mit seinem "wachen Blick für gesellschaftliche Missstände" ein Vorbild für Jugendliche.

Erst vor Kurzem meldete sich Grube wieder zu Wort. In der Jüdischen Allgemeinen schrieb er einen Gastkommentar zur Flugblatt-Affäre um Piazolos Parteifreund, Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Dieser sei nicht mehr glaubwürdig, so Grube, "und nach meiner Auffassung für das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten politisch und moralisch überhaupt nicht mehr geeignet".

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