Landrat Stefan Löwl:"Ich behaupte nicht, dass ich unfehlbar bin"

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Seit seiner Wiederwahl zum Landrat vor einem Jahr ist Stefan Löwl (CSU) neben seinen angestammten Aufgaben als Krisenmanager in der Corona-Pandemie gefordert. Im SZ-Gespräch erzählt er, wie die Seuchenbekämpfung sein politisches und privates Leben verändert hat.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Landrat Stefan Löwl (CSU) hat 2015 im sogenannten Flüchtlingsherbst bereits erste Erfahrung sammeln können im Krisenmanagement, doch die Corona-Pandemie hat nicht nur seinen beruflichen Alltag, sondern auch sein Privatleben auf den Kopf gestellt. Ein Jahr nach seiner Wiederwahl am 15. März 2020 zieht der 47-jährige Kommunalpolitiker Bilanz über zwölf Monate, in denen vieles nicht so gelaufen ist, wie er es geplant hatte.

SZ: Seit Beginn der Pandemie mussten Sie oft am Wochenende oder bis spät in die Nacht arbeiten, sogar im Urlaub saßen Sie am Laptop. Wie anstrengend war das vergangene Jahr für Sie?

Stefan Löwl: Für den Bürger Stefan Löwl hat sich das Leben dahingehend geändert, dass er auch Vater ist und mit seinen Kindern natürlich wie jeder Bürger vor ganz neuen Herausforderungen stand. Ich habe mich jahrelang geweigert, aber wir sind seit letztem Jahr nun auch Kunde bei Netflix und Disney +. Außerdem haben wir unsere digitale Ausrüstung noch einmal ausbauen müssen, zum einen für den Distanzunterricht und die Videokonferenzen, aber ebenso für die Freizeitgestaltung. Auch das normale Leben hat sich bei mir geändert, gerade an der Schnittstelle zwischen mir als Bürger und als Landrat. Die ganzen Abendtermine sind insbesondere zu Beginn der Pandemie ersatzlos weggefallen. Grundsätzlich bin ich, wie alle, deshalb mehr zuhause, aber das bedeutet nicht, dass ich auf der Couch liege.

Einfach mal nichts zu tun, liegt Ihnen also nicht so?

Vor allem zu Beginn, als im ersten Lockdown das Geschehen noch sehr dynamisch war und fast alle Menschen zuhause bleiben sollten, war ich tatsächlich froh, agieren zu können. Immer samstags, wenn der Laborfahrer nicht gefahren ist, habe ich beispielsweise die Tests von der Teststrecke in Indersdorf zum Labor gefahren. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Fahrt kurz vor Ostern nach Augsburg, wo das Labor war. Da habe ich auf der Autobahn kein einziges Auto gesehen. In dieser Zeit war ich schon froh, raus zu können und aktiv zu sein. Außerdem habe ich als Landrat den Vorteil, immer nahe an den Informationen zu sein, Entwicklungen und Entscheidungsprozesse direkt mitzubekommen und vor Ort auch mit entscheiden zu können.

Wäre es Ihnen denn lieber gewesen, wenn Sie mehr eigene Entscheidungen hätten treffen können oder waren Sie manchmal ganz froh, dass die Bundeskanzlerin und der Bayerische Ministerpräsident das für Sie übernommen haben?

Viele Menschen machen gerne andere verantwortlich, wenn etwas nicht so läuft, wie sie sich das vorstellen, oder sie haben keine Vorstellung von der Komplexität der Vorgänge beziehungsweise dem Mut, den es braucht, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen oder zu vertreten. Zum Teil kann ich das natürlich nachvollziehen, aber die Frage ist doch, welchen Gestaltungsspielraum man vor Ort hat und wie man ihn verantwortlich nutzt. Für mich als Politiker ist es zum Beispiel entscheidend, dass ich vor Ort gestalten kann. Aber manche Dinge kann man lokal einfach nicht lösen. Ich meine deshalb: Bei der Pandemiebekämpfung muss es einen einheitlichen Rahmen geben. Trotzdem kann und muss man vor Ort entscheiden und gestalten.

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Was genau meinen Sie damit?

Der Landkreis Dachau hat zum Beispiel sehr früh mit den Impfungen bei den über 80-Jährigen angefangen. Es gab anfangs viele Probleme, die Kommunikation war schwierig, weil sich gerade zu Beginn vieles immer wieder geändert hat und der Impfstoff nicht wie zugesagt kam. Aber wir haben es geschafft und jetzt eine der höchsten Impfquoten in Bayern. Mir ist dabei die Feststellung wichtig, dass ich solche Entscheidungen nie alleine treffe, sondern immer gemeinsam mit unseren lokalen Experten und meinem Team. Am schwierigsten ist in dieser Pandemie aber nicht das Treffen von Entscheidungen, sondern die Kommunikation, weil sich alles ständig ändert.

Sie haben sich ja anders als viele Kommunalpolitiker dafür entschieden, zum Beispiel auch via Facebook mit den Landkreisbewohnern zu kommunizieren. Hat sich das in der Krisenkommunikation als hilfreich erwiesen?

Ich habe mich tatsächlich bewusst für diese Art der Kommunikation entschieden, weil ich davon überzeugt bin, dass man nur mit schneller, transparenter Kommunikation Leute mitnehmen kann. Ich bekomme auch unzählige Rückmeldungen, die dankbar sind und mich dafür loben. Aber klar ist auch: Das kann man nur eine gewisse Zeit durchhalten. Derzeit mache ich häufig meinen letzten Post kurz vor Mitternacht und meinen ersten um sechs Uhr morgens, und das auch am Wochenende. Nicht immer schaffe ich es, allen oder schnell zu antworten, aber ich probiere es - auch wenn es natürlich Menschen gibt, mit denen man nicht diskutieren kann oder die Fragen stellen, auf die ich keine Antwort habe.

Kommen wir zur Kommunalwahl vor einem Jahr. Bei der haben Sie sich ja gegen fünf Mitbewerber durchgesetzt. Konnten Sie das überhaupt feiern?

Eine richtige Feier gab es nicht: Ich habe mit meiner Frau ein Glas Sekt getrunken und mich haben viele Glückwünsche erreicht. Am Tag vor der Wahl war ich in Markt Indersdorf, um gemeinsam mit dem THW und unserer Kreisbrandinspektion den Aufbau der Teststrecke zu besprechen und am Tag nach der Wahl tagte der Krisenstab. Dass ich trotz vieler Gegenkandidaten in allen Gemeinden mit über 50 Prozent gewonnen habe, nahm ich aber auf jeden Fall als Bestätigung meiner Arbeit. Dafür war ich dankbar, und ich war froh, dass ich nicht in eine Stichwahl musste. Zum einen wäre ein Wahlkampf in den zwei Wochen bis zur Stichwahl generell schwierig gewesen, zum anderen hatte ich in dieser Zeit, wirklich viele wichtige Entscheidungen zu treffen und hätte kaum Zeit für einen Wahlendspurt erübrigen können.

Durch die Kommunalwahl sind deutlich mehr Parteien und Gruppierungen in den Kreistag eingezogen, insgesamt ist die Zahl der Mandatsträger von 60 auf 70 angewachsen. Wie läuft es mit der Arbeit im neuen Gremium?

Die konstituierende Sitzung, die Vorgespräche, das war noch relativ normal. Aber die Sacharbeit ist jetzt schwieriger. Zum einen, weil es coronabedingt andere Rahmenbedingungen gibt und der Fokus dadurch auf anderen Bereichen liegt. Aber auch, weil man sich nicht so einfach treffen kann. Diesbezüglich bin ich sehr froh, dass wir es zumindest geschafft haben, im Herbst eine Kreistagsklausur zu machen, bei der wir die grundlegenden und wichtigen Themen für den Landkreis besprochen haben. Dabei haben wir auch die neuen Kreisrätinnen und -räte auf den aktuellen Stand bei verschiedenen Projekten bringen können. Außerdem haben wir dann vor wenigen Wochen einstimmig den Kreishaushalt 2021 beschlossen, das ist in diesen Zeiten keine Selbstverständlichkeit.

Einstimmig ja, diskutiert wurde im Vorfeld aber schon viel.

Natürlich ist so ein Haushalt immer ein Kompromiss - Wünsche und Ideen gibt es ja immer unendlich viele, die Ressourcen sind aber endlich. Aber es gab, wie schon früher, im Kreistag immer einen sehr großen Konsens. Ich denke, wir können deshalb froh und stolz sein, dass wir so sachgerecht gemeinsam voranschreiten, für den Landkreis und die Bürgerinnen und Bürger, und nicht dogmatisch im Streit verharren oder Parteipolitik über alles stellen. Bislang funktioniert das gut, hoffentlich bleibt es so.

Also hat die Pandemie gar keinen Einfluss auf die politische Arbeit auf Kreisebene?

Corona hat zumindest mit unseren fachlichen Themen unmittelbar wenig zu tun. Wir werden aber sicherlich schwere Diskussionen führen müssen, wenn es um das Thema Kommunalfinanzen geht. Das Thema hat auch nicht erst mit Corona angefangen, die Pandemie ist hier aber ein Beschleuniger. Wobei ich auch glaube, dass Corona ein großes Thema - zumindest aus bayerischer Sicht - ganz neu aufstellen wird, und das ist die Verschuldung. Das Ziel der schwarzen Null ist weg und die öffentlichen Finanzen haben sich von der realen Entwicklung entkoppelt, das werden wir auch in den Kommunen spüren.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Das sieht man etwa an aktuellen Finanzierungskonditionen. Wir haben jetzt zehnjährige Anleihen, wo wir am Ende weniger zurückbezahlen müssen als wir aufnehmen. Das bedeutet, wir leihen uns das Geld nicht nur zinsfrei, sondern müssen am Ende sogar weniger tilgen. Das ist realwirtschaftlich eigentlich nicht nachvollziehbar. Trotzdem muss klar sein, dass wir keine Gelddruckmaschine im Keller haben. Wir müssen uns deshalb sehr gut überlegen, was wir brauchen und wann wir es brauchen.

Kreiskämmerer Michael Mair hat bei der Haushaltsberatung gesagt, der Landkreis müsse sich Gedanken darüber machen, ob es nicht in manchen Fällen reiche, den Status quo zu erhalten, statt immer besser werden zu wollen. Sehen Sie das auch so?

Natürlich wollen wir immer besser werden, das ist zumindest mein politischer Anspruch. Aber man muss auch akzeptieren, dass man nicht immer überall gleichzeitig der Beste sein kann. Außerdem werden wir keine neuen Projekte machen können ohne mehr Ressourcen, insbesondere auch im personellen Bereich. Für Dinge, die wir neu machen wollen, müssen wir also an anderer Stelle einsparen; finanziell und personell. Das werden in den kommenden Monaten und Jahren sicherlich spannende Diskussionen werden.

Ein Punkt, der ja schon in den diesjährigen Haushaltsdebatten für Diskussionen gesorgt hat, war die Erhöhung der Kreisumlage. Sie haben gesagt, dass sie trotz aller Kritik verlässlicher Partner bleiben werden. Wie ist das zu verstehen?

Verlässlicher Partner sind wir hinsichtlich der Planung. Man muss hier zuerst einmal nüchtern die Rechtslage sehen: Der Bezirk bekommt seine Aufgaben von Bund und Land, holt sich das Geld, das er dafür braucht, bei den Landkreisen. Genauso machen wir es als Landkreis. Den Beträgen, welche der Bezirk oder wir als Landkreis benötigen, liegen ja gesetzliche Ansprüche oder Entscheidungen der kommunalen Gremien zugrunde. Das ist also insoweit keine Überraschung - es ist von Anfang an klar, dass dieses Geld gebraucht wird. Und dies haben wir über Jahre so auch kommuniziert - darin liegt die Verlässlichkeit.

Allerdings haben die Gemeinden ja auch nicht kommen sehen, dass eine Pandemie das Land lahmlegt und sie dadurch weniger Geld haben.

Das hat der Landkreis auch nicht kommen sehen. Aber es ist ein Missverständnis, dass das Geld, das die Gemeinden und die Stadt durch Gewerbe- und Einnahmesteuern einnehmen, ausschließlich ihnen gehört. Das Geld gehört der ganzen kommunalen Familie.

Unabhängig davon haben aber auch Sie gesagt, dass man dieses Finanzierungssystem überdenken sollte.

Dieses Problem bestand schon vor der Pandemie: Als Kommunen haben wir zu hohe Pflichtaufgaben, um - gerade hier im Ballungsraum - gestalterisch wirken zu können. Aktuell können wir die Diskussion darüber vor dem Hintergrund der Pandemie nicht wirklich führen, aber dass sie geführt werden muss, ist klar. Die Frage ist nur: Diskutiert man das auf der Einnahmeseite, pumpt man also mehr Geld in das Finanzsystem, etwa durch noch höhere staatliche Direktzuweisungen oder größere Steueranteile.

Was wäre die andere Möglichkeit?

Die wäre es, auf der Ausgabenseite zu überlegen, welche Standards wir uns noch leisten können. Und glauben Sie mir: Die letzten zehn Prozent kosten oft 50 Prozent des Geldes. Wenn wir uns also mit 90 statt mit 100 Prozent zufriedengäben, würden wir oft halb so viel Geld ausgeben. Im Übrigen ist aber auch die Bürokratie ein großer Kostenfaktor. Allein durch einen Bürokratieabbau könnte man viel erreichen. Aber das würde eine erhöhte Eigenverantwortung des Einzelnen nach sich ziehen, inklusive einer gewissen Fehlertoleranz. Eigenverantwortung und Fehlertoleranz kennen wir als Gesellschaft leider gar nicht mehr, das sieht man auch in der derzeitigen Situation.

Als Landrat wird Ihnen ganz genau auf die Finger geschaut. Warum haben Sie sich trotzdem etwa dafür entschieden, als einer der ersten mit dem Impfen loszulegen, statt erst einmal abzuwarten, ob überhaupt genug Impfstoff kommt?

Weil es in einer Krise mein Job ist, wichtige Entscheidungen rechtzeitig zu treffen und nicht erst einmal abzuwarten. Ich bin überzeugt davon: Das einzig Falsche ist, gar nichts zu tun. Natürlich bedeutet das auch, dass es Nächte gibt, in denen man nicht gut schläft, weil man nicht weiß, ob die Entscheidung, die man getroffen hat, die richtige war, aber das gehört dazu. Ich nehme für mich auch nicht in Anspruch, dass ich allwissend oder unfehlbar bin, aber ich nehme für mich in Anspruch, dass ich immer das Beste nach bestem Wissen und Gewissen und im Rahmen der Gesetze für die Bürgerinnen und Bürger im Landkreis tue.

© SZ vom 26.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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