Brauereien in der Corona-Krise:Historische Durststrecke

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Der "Operator", Markenzeichen der Schlossbrauerei Odelzhausen, wurde erstmals zur Wiederöffnung des Nationaltheaters nach dem Krieg gebraut. Jetzt lässt der Ausfall der Starkbierzeit die Umsätze einbrechen

Von Benjamin Emonts, Odelzhausen

An Bierfässern herrscht derzeit kein Mangel in der Schlossbrauerei Odelzhausen. (Foto: Toni Heigl)

Großvater Hans Eser war zunächst skeptisch, als im Herbst 1963 zwei feine Herren aus München in der Odelzhausener Schlossbrauerei vorsprachen. Die beiden Vorstandsmitglieder vom Verein "Freunde des Nationaltheaters" baten sie darum, ein Starkbier namens "Operator" zur Wiederöffnung des im Krieg zerstörten Nationaltheaters zu brauen. Eser glaubte, an Hochstapler geraten zu sein. "Werst segn, des san Gangster", soll er gesagt haben. Die Vereinbarung kam dennoch zustande. Zur Bürgerpremiere am Nationaltheater am 29. November 1963 wurde Starkbier aus Odelzhausen gereicht. Für den Familienbetrieb war dies ein sagenhafter Erfolg, von dem er bis heute profitiert. Der Operator ist das Markenzeichen der Brauerei.

Rund 60 Jahre später, kurz vor Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch, setzt die Corona-Pandemie dem robusten, süffigen Operator jedoch schwer zu. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Brauereichef Hans Eser, der Enkel des skeptischen Großvaters, erzählt seine Anekdoten im verwaisten Brauereigasthof, in dem lediglich ein ausgestopfter Auerhahn Aufsehen erregt. In normalen Zeiten wurden im Bräustüberl rund 15 Prozent des eigenen Bieres an Restaurantbesucher und Hotelgäste ausgeschenkt - doch nun steht die Zapfanlage schon seit Wochen still. Auch andere Gasthäuser, die Esers Starkbier gekauft haben, sind geschlossen. Hinzu kommt, dass wegen der Pandemie die Starkbierfeste auf den Dörfern ausfallen. Wie kaum ein anderes alkoholisches Getränk ist das Starkbier saisonabhängig - es lebt von der Fastenzeit wie der Glühwein vom Winter. Hans Eser, der das Familienunternehmen seit bald 40 Jahren führt, rechnet in diesem wie im vorigen Jahr mit einem Absatzrückgang von 25 bis 30 Prozent beim Operator im Vergleich zu 2019. "So ein krasses Tief haben wir noch nicht erlebt", bilanziert er. Die Starkbiersaison, die von Brauern gerne als fünfte Jahreszeit bezeichnet wird, droht heuer ein Saisönchen zu werden.

Braumeister Hans Eser leitet die Schlossbrauerei seit fast vier Jahrzehnten. (Foto: Toni Heigl)

Live zu beobachten wird das auch am Münchner Nockherberg sein, wo am 3. März der berühmte Salvator-Anstich ohne Publikum stattfinden wird. Das Singspiel fällt aus, das obligatorische Politiker-Derblecken übernimmt Kabarettist Maxi Schafroth, zu sehen als eine Art Geisterspiel im Bayerischen Fernsehen. In den Landkreis werden sich keine TV-Kameras verirren. Das traditionelle Starkbierfest des Technischen Hilfswerks (THW), das 1983 erstmalig ausgerichtet wurde, fällt ersatzlos aus, ebenso das Starkbierfest der Theatergruppe Vierkirchen, bei dem Kommunalpolitiker nach Münchner Vorbild derbleckt wurden. Die Absagen sind wohl auch gut so. Im vergangenen Jahr gerieten Starkbierfeste in die Schlagzeilen, weil Menschen dort zügellos feierten und sich mit dem Coronavirus infizierten. Der Spiegel betitelte einen Online-Artikel: "Bayerns fatale Liebe zum Starkbier."

Braumeister Hans Eser hofft, dass trotz aller Probleme mit der Fastenzeit die Lust auf Starkbier wieder steigt. Schon im Mittelalter hatten Mönche das Bier zur Fastenzeit sehr geschätzt. Ihren Hunger stillten sie mit eigens gebrautem Starkbier, das deutlich mehr Nährstoffe und einen höhren Alkoholgehalt aufweist. "Flüssiges bricht das Fasten nicht", lautete das Motto in den Klöstern. Ein Liter Starkbier ersetzte eine vollständige Mahlzeit. Und nebenbei machte das "flüssige Brot" die Mönche reichlich betrunken.

Das Operator-Bier ist das Markenzeichen der Schlossbrauerei Odelzhausen. (Foto: Toni Heigl)

Im Freistaat gehören Starkbierfeste zum Brauchtum, sie sind Teil einer jahrhundertelangen Tradition. In Odelzhausen, wo nachweislich schon um 1450 Bier gebraut wurde, sind sie deshalb stolz, als einzige der verbliebenen drei Brauereien des Landkreises ein Starkbier herzustellen. Der dunkle Operator hat eine Stammwürze von 19 Prozent, er ist ein sogenanntes Doppelbock-Bier. Erst ab einer Stammwürze von 18 Prozent darf ein Starkbier sich die Endung "-ator" geben. Das vermutlich älteste und bekannteste Starkbier ist der Salvator, den Paulaner-Mönche gebraut haben. Der Alkoholgehalt beim Operator liegt mit 7,5 Prozent etwas niedriger als beim Salvator. Das Brauen von Starkbier ist kostspieliger, weil deutlich mehr Gerstenmalz verwendet wird und das Bier länger gären und lagern muss. In diesem Jahr produziert die Schlossbrauerei etwa 100 Hektoliter, das entspricht 1000 Kästen Flaschenbier. Ohne Gastronomie spielt Bier vom Fass derzeit keinerlei Rolle.

Generell geht der Absatz von Starkbier zurück, weil die Menschen mehr auf ihre Gesundheit achten. Reichlich Alkohol und Kalorien sind nicht mehr angesagt. Hans Eser wirkt dennoch relativ gefasst, wenn er über die Krise seines Betriebes spricht, er weiß, dass sie andere deutlich härter getroffen hat als ihn. Der Flaschenverkauf ist in der Pandemie leicht angestiegen, der Absatzeinbruch beim Hellen liegt bei verkraftbaren zehn Prozent. In existenzielle Not bringt die Krise die gut betuchte Familie nicht, obwohl der Brauereigasthof und die Pension seit Monaten massive Verluste einfahren.

Hans Esers einziger Mitarbeiter, der Geselle Roman Eidelsburger, zapft eine frische Kostprobe vom Operator aus dem großen Tank - natürlich mit Schaumkrone. (Foto: Toni Heigl)

Bei einer Bierprobe erzählt Eser die Episode von damals schließlich zu Ende. Dass eine Brauerei außerhalb Münchens vom Nationaltheater den Zuschlag bekam, sei kein Zufall gewesen: Man wollte vermeiden, dass zwischen den großen Münchner Brauereien Streitigkeiten wegen der Auftragsvergabe entstehen. Die Herkunft des Festbieres wurde deshalb streng geheimgehalten, die Esers mussten die rund 200 Kisten Flaschenbier mit einem Milchlastwagen nach München transportieren. Als die Herkunft später bekannt wurde, war der Operator im Handumdrehen ausverkauft. Bis heute wird das Starkbier (außer im Lockdown) im Nationaltheater in den Pausen serviert.

© SZ vom 13.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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