Umstrittener Auftritt:Ukrainer stimmt auf dem Münchner CSD Hymne auf Nazi-Kollaborateur an

Lesezeit: 2 min

Mélovin bei seinem Auftritt auf der Bühne am Marienplatz. (Foto: Kornelija Rade/CSD)

Der ukrainische Sänger Mélovin wird beim Christopher Street Day auf dem Marienplatz bejubelt - doch nun distanzieren sich die Veranstalter von seinem Auftritt. Denn er sang ein Lied, das einen radikalen Nationalisten verherrlicht.

Von Martin Bernstein

Eine Hymne auf den ukrainischen Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera vor Zehntausenden Besuchern des Münchner Christopher Street Day (CSD): Nicht nur die Macher des CSD sind empört. Sie haben sich nun vom Auftritt des aus der Ukraine stammenden Sängers Mélovin (eigentlich Kostjantyn Botscharow) mit deutlichen Worten distanziert. Der Song "Bandera ist unser Vater, die Ukraine ist unsere Mutter" sei nicht abgesprochen gewesen.

Videoaufnahmen vom Marienplatz zeigen, wie der 25 Jahre alte Mélovin am Samstag vor einer Woche zu einem Marschrhythmus seines Schlagzeugers den Refrain des Liedes anstimmt - und viele offenkundig ukrainischsprachige Menschen in den ersten Reihen der Zuhörermenge Fähnchen schwenkend einstimmen. Etwa eine Minute dauert die Szene.

"Wir haben Mélovin als queeren Sänger und Aktivisten nach München eingeladen, der sich mutig für die LGBTIQ*-Community seines Landes einsetzt", erklären die CSD-Macher Diversity München, Sub, Les Community, Rosa Liste und Münchner Aids-Hilfe. Mélovin bezeichnet sich seit zwei Jahren offen als bisexuell. Die Liste der Songs sei vorab abgesprochen worden; das Bandera verherrlichende Lied sei nicht darunter gewesen: "Wir hätten es sonst nicht zugelassen."

Die Veranstalter des Münchner CSD wollen erst fünf Tage nach dem Auftritt Hinweise erhalten haben, dass Mélovin diesen Song gesungen und welchen Inhalt das Lied habe. Daraufhin habe man Kontakt mit Mélovin und der Stadt München aufgenommen und ein Statement verfasst, das am Sonntag auf der CSD-Website veröffentlicht wurde - "aus Transparenzgründen und weil uns die Distanzierung von Stepan Bandera wichtig ist".

Stepan Bandera stehe als historische Person, zentrale Führungsfigur einer radikalnationalistischen Organisation und wegen seiner Verantwortung für Massenmorde an jüdischen und polnischen Menschen "den Werten, für die der CSD München steht, maximal entgegen", betonen die Veranstalter. Daran könne auch die Tatsache nichts ändern, dass in der Ukraine aktuell in erster Linie die Rolle Banderas "als Kämpfer für die Unabhängigkeit seines Landes im Mittelpunkt" stehe.

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Der Krieg in der Ukraine offenbart, wie vieles aus der Geschichte des Zweiten Weltkriegs noch unverstanden ist. Das gilt auch für seine widersprüchliche Nachgeschichte - und den Nationalisten Stepan Bandera.

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"Der CSD München steht für Weltoffenheit, gleiche Rechte und Akzeptanz gegenüber allen Menschen", heißt es in der Erklärung weiter. Seit Jahren stehe man solidarisch hinter der queeren Community in der Münchner Partnerstadt Kiew und der Ukraine; seit 2022 gedenke man der Kriegsopfer: "Wir distanzieren uns deshalb von der Songwahl" - trotz "unserer unverbrüchlichen Solidarität mit dem ukrainischen Widerstand gegen den menschenverachtenden russischen Angriffskrieg".

Es waren viele blau-gelbe Flaggen zu sehen: Solidarität mit der Ukraine auf dem Münchner CSD. (Foto: IMAGO/Smith)

Dass die Szene auf dem Marienplatz kein spontaner Ausrutscher war, macht der Sänger auf seinem Instagram-Kanal deutlich. In einem Video ist er zu sehen, wie er das umstrittene Grab des 1959 in München von einem KGB-Agenten ermordeten Bandera auf dem Waldfriedhof besucht. Die Grabstätte ist derzeit mit Kerzen, Bildern und ukrainischen Fahnen geschmückt. "Ich bin hier nicht zufällig", schreibt Mélovin dazu in seiner Muttersprache. Dafür bekommt er mehr als 6400 Likes. Wenig später postet er auch den Bandera-Song von seinem Münchner Auftritt und schreibt: "Wer hat gesagt, dass Bandera homophob ist?"

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Banderas Milizen arbeiteten im Zweiten Weltkrieg zunächst mit der Wehrmacht zusammen und waren an der Vernichtung der jüdischen Bewohner von Lemberg (Lwiw) beteiligt. "Es gehört zu den Realitäten im heutigen Osteuropa", sagte der Münchner Historiker Michael Brenner noch vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, "dass Nationalisten und Faschisten, die während des Zweiten Weltkriegs den Kampf gegen die Sowjetunion geführt haben, heute zu Nationalhelden deklariert werden." Eine dramatische Fehleinschätzung, wie der Historiker Norbert Frei in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung deutlich machte: "Als der extreme Flügel des ukrainischen Nationalismus haben die ,Banderisten' den Weg der Ukraine zu einem modernen europäischen Nationalstaat nicht befördert." Das Land müsse sich "von falschen Mythen" trennen.

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