Kolumne: Das ist schön:Riesenrad statt Riesenzoff

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Die Kultur ist wieder frei, die vergangenen Beschränkungen reizten die Kulturschaffenden aber zu vielen kreativen Lösungen.

Von Michael Zirnstein, München

Mit der wiedererlangten Freiheit in der Kultur ist es wie nach dem Aus in einer quälenden Beziehung. Erst atmet man durch, dann, in schwachen Momenten, sehnt man sich zurück. Freilich, wer die Antikörperkontrollstationen passiert hat und drin ist in der 3-G-plus-Party darf Musik und Schauspiel und Alkoholika wieder mit allen Sinnen genießen. Und da fängt es an: Den sauren Prosecco-Atem des feixenden Nachbarn in der Nase, erkennt man den Zusatznutzen abdichtender FFP-Masken. Beim Ellbogengerangel mit dem Fremden nebenan um die Armlehne erscheinen zwei freigelassene Sitze angenehm.

Vom Finden neuer Orte

Gut zehn Meter Luftlinie lagen beim allerersten Konzert in Bayern nach dem Lockdown 2020 zwischen den 30 Gästen - die Band Django 3000 spielte, um ganz sicher zu gehen, auf einem Segelflugplatz in Unterwössen. Die Pandemie hat die Kreativität und Renitenz vieler Kreativen angestachelt, wenn man die schönen Momente mal Revue passieren lässt: Der Kulturlieferdienst, der mit seinen als Demos getarnten Flatterbandkonzerten (inzwischen 170) Musik auf Straßen und Plätze in allen Stadtvierteln Münchens brachte; Musiker des Sinfonieorchesters des BR spielten eins zu eins für die Getreuen; die Philharmoniker riefen persönlich ihre Abonnenten an; die Hochzeitskapelle rumpelte auf Hinterhofdächer; Rea Garvey hielt beim Riesenradkonzert im Werksviertel zunächst die ausgelosten Fans in den rotierenden Gondeln auf Sicherheitsabstand, am Ende hatte er dann so eine Gaudi, dass er am liebsten zu den kreischenden Mädelsrunden eingestiegen wäre. Beim Augsburger Italo-Schlagerfuzzi Roy Bianco hörten Freunde mit Sprizz in Dutzenden Whirlpools zu, bis die Haut schrumpelte.

Gut, vieles war doch "grässlich", beruhigen einen gute Freunde bei all der Schwelgerei. Da müssen sie nur "Stream" sagen. Aber was Kulturagenten wie Till Hofmann mit Hilfe des plötzlich so flexiblen Kulturministeriums und der lokalen Behörden für neue Spielstätten aus der Not geboren haben: das Deutsche Museum, den englischen Garten, eine Waldorfschulaula, das Schloss Suresnes, den Olympiastadionumgriff... Bei all dem aktuellen Zoff, ob fortan Großkonzerte in der Messe München steigen sollen oder nicht, wäre solch Denkfreiheit beim Finden neuer Kulturorte und -formen schön.

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