20 Jahre "Circus Leopoldini":Der Funke springt über

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Yannick Novoa-Weber, 20, als Untermann bei der Partnerakrobatik mit Myria Wallraff, 16. (Foto: Robert Haas)

Von der kleinen AG zur großen Kinder- und Jugendzirkusschule: Der "Circus Leopoldini" feiert sein 20-jähriges Bestehen. Viele Nachwuchsartisten bleiben ihm über Jahre treu. Das Jubiläumsjahr beginnt mit einer Best-of-Show.

Von Barbara Hordych

Betritt man an diesem Donnerstagabend die Turnhalle in der Rudolf-Steiner-Schule in Schwabing, fühlt man sich schlagartig in eigene Schulzeiten zurückversetzt: zahlreiche Körper in Bewegung, Rufen, Rennen, Schwitzen und Atmen. Nur dass es keine Kinder oder Jugendlichen im Kontext des Schulunterrichts sind, die sich hier austoben, sondern die "Leopoldinis", Mitglieder von Doro Auers Verein "Circus Leopoldini". Der wird in diesem Jahr 20 Jahre alt, der Auftakt ins Jubiläumsjahr beginnt am 15. und 16. März mit der Show "Frühlingserwachen" im Theater Leo 17.

Die 160 Mitglieder der Zirkusschule sind altersgerecht in drei Kategorien gestaffelt, heute Abend trainieren die Ältesten, sie sind 16 bis 21 Jahre alt und gehören zum "Leopoldini Variete". Mehrere von ihnen agieren bereits in einer Doppelfunktion als Trainer oder Trainerinnen. So wie der 20-jährige Yannick Novoa-Weber mit den dunklen Locken, der seit der fünften Klasse der Zirkusschule angehört, mit Jonglage solo und im Akrobatik-Duo mit seiner Partnerin Myria Wallraff auftritt - daneben aber auch an anderen Tagen die Jüngsten, die "Leopoldinchen" trainiert.

Was fasziniert ihn so an Doro Auers Verein, dass er regelmäßig seine Abende in einer Turnhalle verbringt? "Die gesamte Organisation und die Gemeinschaft in der Gruppe, aber natürlich auch der Zirkus an sich", sagt Novoa-Weber. Im Sommersemester nimmt er sein Studium als Wirtschaftsingenieur auf, doch parallel will er weiter der Zirkusschule angehören. Andere wie die 19-jährige Valerie Weindel haben sich vorgenommen, die Zirkuskünste hauptberuflich weiterzuverfolgen.

Die Keulen fest im Blick: Valerie Weindel, 19, hier bei der Jonglage, ist mit ihrer Bewerbung in der Endrunde für die Zirkusschule Rotterdam. (Foto: Robert Haas)

"Ende Februar habe ich die Nachricht erhalten, dass ich die erste Bewerbungsrunde an der Zirkusschule in Rotterdam bestanden habe". In ihrem Bewerbervideo überzeugte sie mit Duo-Jonglage und Bodenakrobatik. Jetzt wird sie im April für eine Woche zur zweiten Runde nach Rotterdam fahren. "Das wird sehr spannend, nach dieser Woche entscheidet sich, ob ich angenommen bin", sagt sie. Also heißt es weiter üben, üben, üben, sie nimmt ihre Keulen auf und enteilt zu einem freien Platz auf einer der blauen Bodenmatten. "Valerie ist eine derjenigen, die vor drei Jahren von einer anderen Schule zu mir kamen", erzählt Auer. Das passiere häufiger, denn Zirkuskünste werden zwar in vielen Schulen unterrichtet, aber meistens sei dort mit der achten Klasse Schluss. "Wer dann weitermachen möchte, muss sich woanders hin orientieren - und kann beispielsweise bei uns Mitglied werden."

Zwei Drittel des Zirkusnachwuchses kommen zwar gleich von der Schwabinger Waldorfschule, insbesondere die Jüngeren, die direkt im Anschluss an den Schulunterricht zu Auer gehen. Das andere Drittel tritt jedoch von außen an ihren Verein heran. "Ein Neuzugang ist beispielsweise eine finnische Austauschschülerin, die für ein Jahr in München ist und in Helsinki schon eine Zirkusschule besucht hat; natürlich haben wir sie sofort aufgenommen", sagt Auer.

Matthias Eder bleibt dem Circus Leopoldini von Doro Auer auch nach seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten als Trainer verbunden und zeigt bei "Frühlingserwachen" sein Akrobatik-Solo. (Foto: Robert Haas)

Vor 20 Jahren startete sie ihr Projekt - "eigentlich der ältesten von meinen vier Töchtern zuliebe" als kleine Schulzirkus-AG, sagt die gelernte Herrenschneiderin, die nach ihrer Tätigkeit als Kostümbildnerin auch noch Theater- und Erziehungswissenschaften studierte. "Wir arbeiten nicht nach dem kurzfristigen Workshop-Prinzip", betont die Direktorin. Stattdessen durchlaufen ihre Leopoldinis unter Anleitung von mittlerweile 28 Trainern und Trainerinnen von der vierten bis zur achten Klasse alle Zirkusdisziplinen, von den Bewegungskünsten Akrobatik, Jonglage und Balance bis zu Theaterelementen, Musik und Tanz. Erst nach der achten Klasse spezialisieren sich die jungen Talente auf einem Gebiet.

Hannah-Lea Baumannn, 18, ist Spezialistin am Flying Pole - und trainiert nebenbei die jüngeren "Leopoldinchen". (Foto: Robert Haas)

Die 18-jährige Hannah-Lea Baumann hat sich beispielsweise für den Flying Pole entschieden, hangelt sich gerade an dem von der Decke hängenden Mast elegant in die Höhe, um dort ihre Figuren zu drehen. Sie ist seit der vierten Klasse mit Leidenschaft dabei, und ja, auch sie besitzt die Trainer-Lizenz, um mit den Jüngeren zu arbeiten. Wenn auch ihr Berufswunsch nach dem Abitur in Richtung Schauspiel geht, "die Leidenschaft für die Bühne, die ist bei mir definitiv geweckt", sagt sie.

Der Zirzensische Funke scheint also überzuspringen auf die nächste Generation. Denkt man an die 4 minus, die Deutschland 2022 im sogenannten Bewegungszeugnis erhalten hat, dann beweist Doro Auer von Jahr zu Jahr, dass Kinder sich sehr wohl bewegen könnten - wenn man sie nur ließe und ihnen Gelegenheit dazu gäbe.

Wobei es Auer sehr wichtig ist, "ihre Kinder" nicht einfach zu sportlichen Leistungen anzutreiben. "Wenn sie ihre Nummern kreieren, sollen sie eine Verbindung zu ihren eigenen Gefühlen herstellen und diese auch ausdrücken können mit ihrer Darbietung", sagt Auer. Sowieso sei für sie die Förderung der sozialen Fähigkeiten zentral: Dazu zähle der Respekt vor dem Körper des anderen, denn es komme darauf an, "sich nicht grob anzufassen oder zu verletzen", erklärt Auer. "Oft bekomme ich von den Lehrern die Rückmeldung, wie gut es sich auf ihre Klasse auswirkt, wenn einige meiner Leopoldinchen darin sind." Ihre Zirkuskinder wüssten einfach, dass andere darunter zu leiden hätten, wenn sie sich nicht an Regeln oder Absprachen hielten und dadurch ein gemeinsames Projekt scheitere.

Und schon taucht Auer wieder ein in das Gewusel in der Halle, das sich bei näherem Hinsehen als ein Zusammenspiel von vielen Individuen entpuppt, die hoch konzentriert an ihren jeweiligen Nummern arbeiten. Denn auch wer nicht im Best-of-Programm "Frühlingserwachen" mitwirkt, wird spätestens im Sommer bei der Show im großen Zelt im Westpark dabei sein.

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