Nachruf:Tod eines neugierigen Musiksuchers

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Ob E-Gitarre, akustische Gitarre oder Oud: Chris Karrer liebte die Entdeckungen. (Foto: imago stock&people/imago/Rolf Zöllner)

Mit dem Gitarristen Chris Karrer stirbt ein Pionier der deutschen Rockmusik, der einst auch mit "Amon Düül II" neuen Tönen den Weg ebnete.

Von Dirk Wagner

Dienstagfrüh starb der im Allgäu aufgewachsene Münchner Multiinstrumentalist Chris Karrer infolge einer Corona-Erkrankung. Mit 76 Jahren ist damit eine der wichtigsten Persönlichkeiten der deutschen Rockkultur gestorben. In einem Nachkriegsdeutschland nämlich, in welchem deutsche Popmusiker entweder ihre anglo-amerikanischen Vorbilder kopiert hatten oder sich einer reaktionären Schlagerkultur hingaben, experimentierte Karrer bereits mit neuen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten, die von der englischen Presse dann dem sogenannten Krautrock zugerechnet wurden.

Besonders nett war das freilich nicht. "Wir nannten die Musik der Engländer schließlich auch nicht Tommi-Rock", kritisierte Karrer. Mit dem Kraut im Krautrock war nämlich nicht das gemeint, was in den einschlägigen Szenen damals geraucht wurde, sondern eben die Deutschen, die von englischen Soldaten abfällig als "Krauts" beschimpft wurden.

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Doch die Musik, die Karrer sowohl mit Amon Düül II als auch mit Embryo entfaltete, suchte ja gerade nach einer neuen Identität, die sich auch von einer immer noch nationalsozialistisch vergifteten Deutschtümelei im Nachkriegsdeutschland distanzierte.

Christian Burchard von Embryo hatte Karrer darum auch mal als den "Ur-Ethno" bezeichnet, weil dieser schon 1969 auf dem ersten Album "Phallus Dei" der von ihm mitbegründeten Rockband Amon Düül II den indischen Gesang nachgeahmt habe.

"Wir sind die Geburtshelfer für vieles gewesen. Aber davon kann man nicht leben", hatte Chris Karrer einmal in einem Interview mit dem Musikjournalisten Christoph Wagner für die taz gesagt. Gleichwohl nämlich finanziell erfolgreichere Musiker wie Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten oder der Dirigent und Komponist Eberhard Schoener schon mal kundtaten, dass sie die Musik von Amon Düül II inspiriert habe, hatte die weltweit gefeierte Band um Chris Karrer verhältnismäßig wenig am eigenen Erfolg verdient. Einmal mehr bestätigte sich hier wohl, was die Sonic-Youth-Bassistin Kim Gordon einmal über die Pioniere in der Musikgeschichte gesagt hatte. Demnach würden nämlich nicht diejenigen, die einen neuen Stil auf den Weg gebracht hätten, an diesem verdienen, sondern erst deren Nachfolger, die einen bereits abgesteckten Weg nur noch festigen müssten.

Für solche Wegbefestigungen war Karrer allerdings bis zum Schluss viel zu neugierig im Sinne von "gierig nach Neuem". Kaum hatte er sich nämlich auch solo als "sufisticated" Oud-Spieler mit einer vom Sufismus beeinflussten orientalischen Musik behaupten können, entdeckte er als Gitarrist den Flamenco als weitere Spielart einer improvisierten Musik. Zugleich liebte er das Zusammenspiel mit anderen Musikern ohne jede Hierarchie. Damit gelang ihm oft genug ein musikalisches Miteinander, das selbst aufmerksam hinzuhören schien.

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