Legendäre Band:Embryo - ein Gefäß, das ständig neu gefüllt wird

Lesezeit: 4 min

Jazz trifft bei "Embryo" auf Krautrock. (Foto: Enid Valu)

Die Münchner Band Embryo lebt weiter nach dem Tod ihres Gründers Christian Burchard. Tochter Marja setzt sein Erbe fort. Jetzt stellt die Band ihr neues Album vor.

Christian Jooß-Bernau , München

Papa war ein Underground-Punk. Sagt Marja Burchard. Wenn es um Musik ging, galten seine Regeln. Und, man muss sagen, Musik ist doch eigentlich immer. Gerne nahm Papa Tramper mit. Verneinten sie allerdings die Frage, ob sie John Coltrane kennen, schmiss er sie wieder aus dem Auto. Als der Rapper und Produzent Madlib aus Los Angeles nach München kam, um endlich einmal die von ihm verehrte Band Embryo kennenzulernen, sah er sich mit einem misstrauischen Christian Burchard konfrontiert. Papa Christian hatte einen Koffer mit Tapes dabei und unterzog Madlib einer gnadenlosen Prüfung. Band um Band wurde eingelegt. "Who's playing?" Madlib kannte sie alle. Glück gehabt. "Let's jam", sagte der Vater.

Am 17. Januar vor vier Jahren ist Christian Burchard gestorben. Auf Madlibs Label Madlib Invasion erschien vor kurzem das erste Embryo-Album seit seinem Tod. "Auf Auf" heißt es. Um die Bedeutung der Gruppe zu erkennen, hilft es einen Schritt aus der regionalen Szene herauszutreten und auf das Cover des Vinyl-Albums zu blicken. Mittig ein Aufkleber. Der feiert "The lauded Krautrocking, Global Groove ensemble's first album" auf dem amerikanischen Label. Und, egal ob den deutschen Bands der Szene, das Label Krautrock behagt, es markiert bis heute den genuin eigenständigen Beitrag Deutschlands zur internationalen Popmusik. Das ausgerechnet ein Hip-Hopper sich nun so für Embryos Jazz-Welt-Kosmos interessiert, scheint Marja sogar logisch. Für sie gibt es momentan keine andere Musikrichtung, die so offen ist, wie der Hip-Hop. Hier, sagt sie, trifft man die Interessiertesten, die ständig die Musikgeschichte auf der Suche nach neuen Samples für ihren Sound umgraben.

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1969 hat Burchard die Band gegründet, die über unzählige Umsetzungen und Erneuerungsphasen hindurch sein Lebensprojekt wurde. Embryo ist im Kern weniger Band als eher Gefäß, das ständig neu gefüllt wird. Ein Ort der Freiheit, wo der nostalgische Blick zurück nicht notwendig ist, um Zukunft zu schaffen. Tochter Marja trägt die erneuerte Band weiter, die jetzt aus dem Bassisten Maasl Maier, Gitarrist Jan Weissenfeldt, Bläser Sascha Lüer, Drummer Jakob Thun und dann und wann und auf dieser Platte dem Saxophonisten und Flötisten Wolfi Schlick besteht. Ihr Sound: trotz allem erstaunlich verhaftet in der Tradition popmusikalischer Welterkundung.

"Ich finde die Disziplin ganz wichtig, um dann wieder die Freiheit zu erlangen."

Abtauchen in "Yu Mala" - zweites Stück der Platte. Es umfängt einen die Stimme des Marokkaners Mohcine Ramdan, Freund der Band und Kopf von Jisr. Kaum merklich werden die runden Töne des E-Basses überblendet, und es übernimmt Rhamdans Ghembri, eine mit Kamelhaut bespannte Langhalslaute, Ritualinstrument der Gnawa. Hinter dem Beat des Schlagzeugs liegt das Klappern der Qaraqib, marokkanischer Kastagnetten aus Eisenblech. Das über die Skalen tanzende Vibraphon von Burchard... Und dann ist da ein analoger Synthesizer - Science-Fiction von gestern. Die Töne moduliert von einem tieffrequenten Oszillator. Ein Vibrieren des Frequenzspektrums, das alle Instrumente mit sich reißt. Die neuen Embryo-Stücke sind auch eine Meditation über Form und Auflösung.

Vater Christian hatte im Lauf der Zeit die Band immer mehr geöffnet, immer "unübersichtlicher" sei es geworden. Irgendwann habe er es gut gefunden, alle Menschen, unabhängig von ihrem Können auf die Bühne zu holen und "dieses weiße Rauschen" zu erleben. Er erzählte von den 70ern wo man auf Sessions kam und nicht mehr unterscheiden konnte, wer hier eigentlich spielt und verglich den Sound der ihm vorschwebte mit einem Jackson-Pollock-Bild. Tochter Marja mag es konzentrierter: "Ich finde die Disziplin ganz wichtig, um dann wieder die Freiheit zu erlangen." Das Münchner Alphorn Kollektiv liefert die Drone im letzten Stück, dem "Alphorn Prayer", das exemplarisch zeigt, wie man von in sich ruhender Schlichtheit zu melodiöser Komplexität zur Auflösung und wieder zurück gelang.

"Bahran" heißt auf Farsi Regen. Wieder das Flirren des Synthesizers und die erstaunliche Erkenntnis, wie futuristisch sich die von Parvis Ayan gespielte Tabla vor diesem Hintergrund ausnimmt. Mit dem Handballen moduliert und den Fingern gezupft, hat deren tiefe Trommel, die Bayan, so etwas wie kosmischen Schluckauf. Von überzeitlicher Erhabenheit: der metallische Klang der Rubab, einer Laute gezupft vom afghanischen Meister Abdul Samad Habibi. Mit Vater Christian hat der schon in den 70ern gespielt.

Am Küchentisch wurden Rhythmen zum Frühstück abgefragt, erzählt die Tochter

Aufgenommen haben sie auch in einem selbstverwalteten Kino im fränkischen Helmbrechts. Ermöglicht haben das - die Connections. Die Embryo-Welt ist riesig, ein über 50 Jahre gewachsenes Geflecht. Der Embryo-Sound war immer auch die Utopie eines Klanges, der die ganze Welt fasst. Und auf dem Weg dorthin wird das Umarmen der Unmöglichkeit zum Lebenssinn. Ganz am Anfang des Albums steht "Besh". Darin Roman Bunkas Oud. Bunka hat Embryos Reise über sehr große Wegstrecken seit Anfang der 70er begleitet. Marja selber spielt auf dem Album neben dem Vibraphon noch Orgel, Synthesizer, Fender Rhodes, Posaune - und Santur, ein iranisches Hackbrett, ihre jüngste Entdeckung. Verliebt hat sie sich in die Obertöne, die mitschwingenden Seiten. In "Januar" kann man erleben, welche schillernden Flächen die Santur möglich macht. Alles sei bei ihr daheim voller Instrumente. Wenn die länger ungenutzt herumstehen, wird sie unruhig: "Die haben ja auch eine Seele, das sind ja auch Lebewesen."

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Bei Embryo kommunizieren Lebewesen mit Lebewesen über Formen und Zeiten hinweg. "Auf Auf" hat Bassist Maasl Maier geschrieben und Christian Burchard gewidmet. Es hat einen 17er-Rhythmus. Der 17er war Burchards Lieblingsrhythmus. Er hatte am 17. Mai Geburtstag. Wer so etwas spielen will, zählt sich entweder in den Wahnsinn. Oder er fühlt es. Am Küchentisch wurden damals Rhythmen zum Frühstück abgefragt, sagt Marja. Ihr Lieblingsrhythmus ist der Siebener. Er trägt das epische Stück "Januar", eine Reise von der Kälte zur warmen Hoffnung. Im Januar ist ihr Vater gestorben. Man kann sagen, er ist auf diesem Album immer dabei.

Marja hat ihm Stücke des Albums noch vorgespielt, die ja doch anders sind, als das, was ihm in den letzten Jahren vorschwebte. Papa war begeistert. Sie hat ihn auch gefragt: "Was sollen wir machen, wenn Du stirbst?" Er gab dieselbe Antwort, mit der er auch bei Proben immer die Musiker anstupste: "Auf auf! Es geht weiter." Was ist der Tod schon anderes als eine kleine Pause im alles umfassenden Rhythmus. Kein Grund jedenfalls, um aus dem Takt zu fallen.

Embryo: "Auf Auf", Release Gala, Mi., 2. Februar und Do., 3. Februar, 19 Uhr, Kammerspiele (Therese-Giehse-Halle)

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