Chaos zum Ferienstart:Wie ein kleiner Vorfall den Münchner Flughafen lahmlegen konnte

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Viele Reisende konnten stundenlang nichts anderes machen als warten und auf Informationen hoffen. (Foto: Marco Einfeldt)
  • Weil eine Frau unkontrolliert in den Sicherheitsbereich von Terminal 2 gelangte, mussten am Samstag zwei Abflugshallen am Münchner Flughafen gesperrt und durchsucht werden.
  • Die Folgen am ersten Wochenende der Sommerferien sind verheerend: 330 und damit mehr als ein Drittel aller geplanten Flüge werden gestrichen, Zehntausende Menschen kommen verspätet oder gar nicht in den Urlaub.
  • Das Sicherheitspersonal löste zunächst keinen Alarm aus. Mehr als eine Stunde nach dem Vorfall wird die Abfertigung von Passagieren und Flugzeugen erst gestoppt.

Von Martin Bernstein und Kassian Stroh, München

Am Anfang ist da ein Fläschchen mit Flüssigkeit in einer Tasche. Sicherheitsleute am Münchner Flughafen machen einen Fehler, eine Frau verschwindet unkontrolliert im Terminal 2 - und am Ende werden etwa 330 Flüge gestrichen, Zehntausende Menschen kommen verspätet oder gar nicht in den Urlaub. Wegen einer gravierenden Sicherheitspanne hat die Bundespolizei am Samstag den größeren der beiden Terminals über Stunden gesperrt und alle Abflüge gestoppt. Auswirkungen werden wohl auch diesen Montag noch zu spüren sein.

Die Behörden geben sich wortkarg auf die Frage, was genau passiert ist am Samstag. Klar ist: Um 5.27 Uhr kommt eine etwa 40-jährige Frau an den Sicherheitscheck. Kontrolliert werden alle Passagiere des Airports von Mitarbeitern der Sicherheitsgesellschaft am Flughafen München mbH (SGM), einem staatlichen Unternehmen, das diese Aufgabe im Auftrag des Luftamts Südbayern übernimmt. Die Frau wird kontrolliert, ihr Handgepäck durchleuchtet. So stellt es die Regierung von Oberbayern dar, zu der das Luftamt gehört.

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Am Tag nach der Sperrung nimmt der Betrieb am Münchner Flughafen wieder Fahrt auf. Flugreisende müssen sich jedoch immer noch auf lange Wartezeiten einstellen.

Offenbar hat die Frau zwei Handgepäckstücke dabei. Eines, etwa so groß wie ein Kosmetikkoffer, wird beanstandet, weil beim Durchleuchten eine Flüssigkeit zu sehen ist, die sich wohl in einem Fläschchen befindet. Die Frau muss die kosmetikkoffergroße Tasche als Reisegepäck aufgeben. Sie geht zurück in den öffentlichen Teil des Terminals und kommt nach knapp 20 Minuten wieder, ohne die beanstandete Tasche.

Ein Vergleich der Röntgenbilder wird später zeigen: Sie ist unverändert aufgegeben worden. Man könne also ausschließen, dass die Passagierin heimlich umgepackt und "die beanstandeten Flüssigkeiten beim erneuten Passieren der Kontrollstelle in ihrer Handtasche dabeihatte", wird am Sonntagabend eine Sprecherin der Regierung sagen. Also alles in Ordnung, eigentlich. Doch dann passiert das bislang Unerklärliche. Ohne erneut überprüft zu werden, passiert die Frau mit ihrer Handtasche erneut die Kontrollstelle 11/12 und verschwindet im Terminal. Das ist gegen 5.45 Uhr.

"Entgegen der klaren Anweisungslage" löst das Sicherheitspersonal keinen Alarm aus, wie die Sprecherin sagt. "Es spricht vieles dafür, dass es sich um ein individuelles Versäumnis handelt." Wem, wann und wie dann doch auffällt, dass man einen Fehler gemacht hat - das ist offen. Um sechs Uhr verständigt der SMG-Vorgesetzte der Kontrollstelle jedenfalls die Luftsicherheitsstelle. Unmittelbar darauf wertet diese die Videoaufzeichnungen aus. Um 6.15 Uhr alarmiert laut Regierung die Luftsicherheitsstelle die Bundespolizei, dass eine nicht kontrollierte Unbekannte durch den Sicherheitsbereich des Flughafens läuft. Die Polizei ordnet um 6.47 Uhr an: Die Abfertigung von Passagieren und Flugzeugen wird gestoppt.

So sind die Vorschriften für derartige Fälle. Und so nimmt das Chaos seinen Lauf. Vor den Sicherheitsschleusen geht nichts voran, an Abfertigungs- und Infoschaltern wachsen die Schlangen. Betroffen sind Passagiere der Lufthansa und ihrer Partner-Gesellschaften, für die das Terminal 2 reserviert ist. Im Sicherheitsbereich setzt die Polizei eine riesige Maschinerie in Gang: Passagiere und Mitarbeiter müssen das Terminal und dessen Satellitenbau verlassen, die durch eine U-Bahn miteinander verbunden sind.

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Meter für Meter, Raum für Raum durchkämmen weit mehr als hundert Bundespolizisten die Gebäude - auf der Suche nach verdächtigen Gegenständen, aber auch nach der Frau, die alles ausgelöst und davon womöglich gar nichts mitbekommen hat. Auch bereits besetzte Flieger werden geräumt. Das müsse sein in so einem Fall, rechtfertigt die Polizei später ihr Vorgehen gegen den Vorwurf, überzogen reagiert zu haben. Sicherheitstechnisch stufe man das als "ernsthaft" ein, sagt ein Sprecher. Nach fast vier Stunden, gegen 10.30 Uhr, gibt die Bundespolizei den ersten Teil des Terminals wieder frei: den Abflugbereich für die innereuropäischen Flüge. Eine knappe Stunde später den Rest. Zu retten ist da für viele Passagiere nichts mehr.

Das Terminal 2 ist jetzt, am späten Vormittag, überfüllt, die Luft wird schlecht, die Klimaanlage ist überfordert - im Erdinger Moos brennt die Sonne vom Himmel. Irgendwann stellt die Feuerwehr ein kleines Zelt auf und beginnt, Getränke zu verteilen; später bläst sie mit einem Riesenventilator frische Luft in das verglaste Gebäude. Laut Flughafen müssen etwa 30 Menschen wegen Kreislaufproblemen behandelt werden. Wartende lassen sich in der Nähe der Toiletten nieder, füllen dort ihre Wasserflaschen auf.

Immer wieder kommt die Durchsage: "Aufgrund einer polizeilichen Ermittlung sind derzeit alle Abfertigungsschalter geschlossen." Auf den Abflugtafeln taucht immer häufiger das Wort "annulliert" auf. Viele Menschen beschweren sich über mangelnde Informationen; Einzelne schreien herum. Unruhe breitet sich aus. Der Flughafen reagiert mit der Durchsage: "Für Sie besteht keine Gefahr, bitte verhalten Sie sich ruhig."

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An einem der Gates entbrennt ein Streit um die letzten verbliebenen Sitze, in den auch eine Familie mit drei kleinen Kindern verwickelt ist. Manche Passagiere, deren Flüge gestrichen sind, suchen hektisch ihr Gepäck, das sie an den Automaten aufgegeben haben; andere, die früh dran waren am Morgen, werden auf Maschinen umgebucht, die am Sonntag oder Montag abheben sollen. Viele werden vertröstet - zum Ferienbeginn sind die meisten Flieger ausgebucht. Zwar heben am frühen Nachmittag die ersten Lufthansa-Maschinen wieder ab, doch der Flugplan ist völlig außer Takt. Allein bis dahin seien 104 Starts und 91 Landungen annulliert worden, meldet die Flughafen-Gesellschaft, etwa 60 Maschinen seien verspätet.

Am Sonntagvormittag teilt sie mit, von den Ausfällen seien mehr als 32 000 Passagiere betroffen. Es war ja auch der ungünstigste Tag dafür, den größten Teil des Münchner Flughafens zu sperren, am ersten Ferienwochenende in Bayern und Baden-Württemberg. Nie ist mehr los an Deutschlands zweitgrößtem Flughafen: Mit insgesamt mehr als 6,5 Millionen Passagieren und gut 52 000 Starts und Landungen rechnet er während der Sommerferien - besser: rechnete er. Vor diesem Samstag.

Am Sonntag entspannt sich die Lage nur langsam. Auf der Zufahrt zum Terminal 2 stauen sich Autos. Die Schlange derjenigen, die an den Serviceschaltern anstehen, reicht bis auf die Straße. Hunderte haben die Nacht in Hotels in Flughafennähe verbracht, etwa 2000 im Abfertigungsbereich des Terminals - oder gleich im Sicherheitsbereich. Dort stehen am Sonntag Dutzende Metallgerüste mit Matratzen, denen man ansieht, dass sie in aller Eile aufgestellt wurden: Bettbezüge mit Schlumpfmuster, Sonnenblumenkissen und FC-Bayern-Bettdecken. Malteser haben sie aus München, Traunstein und Rosenheim herbeigekarrt. Denn am Samstag gelangten nach Aufhebung der Sperrung offenbar viele Menschen durch die Sicherheitskontrollen in dem vermeintlichen Wissen, ihre Flüge würden gehen. Dann aber wurden sie doch gestrichen, die Reisenden saßen fest. Am Morgen lehnt die Hälfte der Feldbetten an der Wand, auf den übrigen liegen Menschen und lesen, schlafen, telefonieren.

Je länger die Ungewissheit dauert, desto größer wird der Unmut vor allem über die Lufthansa: Viel zu wenige und teils falsche Informationen bekomme man da, klagen viele Passagiere. An den Schaltern sei zu wenig Personal, die Hotline überlastet. Am Flughafen stehen am Sonntagvormittag Menschen, deren Flug gestrichen wurde, wiewohl sie am Morgen von der Lufthansa die Auskunft bekommen hatten, er gehe.

Und die Verursacher? Die SMG-Mitarbeiter, denen die Frau durchgeschlüpft ist, werden "ihren Dienst aktuell nicht fortsetzen", teilt die Regierung mit. Die 40-Jährige selbst soll am Samstag gegen 17.20 Uhr identifiziert worden sein. Wie und wo - das gehört zu den Fragen, die die Verantwortlichen nicht beantworten. Auch nicht, ob die Frau von dem Tumult vielleicht gar nichts mitbekam, weil sie im Flieger saß.

Mitarbeit: Fabian Heckenberger, Carsten Matthäus, Andreas Schubert

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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