Bluttat vom Rotkreuzplatz:Ausbrecher wieder hinter Gittern

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Schlüssel zur Freiheit: Ein Strafvollzugsbeamter schließt eine Tür in Stadelheim. (Foto: Claus Schunk)
  • Während einer Behandlung im Krankenhaus gelang dem mutmaßlichen Messerstecher von Neuhausen die Flucht.
  • Die Freiheit währte aber nur 71 Stunden, dann schnappten ihn Fahnder in Tschechien.
  • Der Gefängnischef von Stadelheim sagt: "Früher oder später kriegen wir jeden."

Von Martin Bernstein, München

Seine Freiheit währte 71 Stunden: Der wegen versuchten Totschlags am Lebensgefährten seiner Mutter in Stadelheim inhaftierte Tscheche Zdenek Sch., der am Freitag während einer Krankenhausbehandlung getürmt war, ist am Montagabend in seinem Heimatland festgenommen worden. Die Münchner Staatsanwaltschaft wird beantragen, dass der 25-Jährige ausgeliefert wird, damit ihm in München der Prozess gemacht werden kann. Mit der Rückkehr des Tatverdächtigen in die Haftanstalt Stadelheim ist also zu rechnen. Deren Leiter Michael Stumpf erhofft sich dann Hinweise darauf, wie passieren konnte, "was eigentlich nicht passieren darf": die Flucht eines Gefangenen.

Lange Zeit ist laut Stumpf so etwas in seinem Gefängnis auch nicht passiert. Und dann gelang dem 25-jährigen Untersuchungshäftling am Freitag die Flucht, immerhin aus dem zweiten Stock der Helios-Klinik in Perlach. Dorthin war der Mann schon am Donnerstag zur ambulanten Behandlung gebracht worden. Bei der Bluttat am 20. August am Rotkreuzplatz, die zu seiner Verhaftung geführt hatte, hatte sich der Tscheche an der Hand verletzt.

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Weil die Wunde auf der Krankenstation in Stadelheim nicht ausreichend versorgt werden konnte, wurde Zdenek Sch. am Freitag ein weiteres Mal nach Perlach gebracht - diesmal wurde er stationär aufgenommen. Dabei sollte er "ständig und unmittelbar" bewacht werden, das heißt, ein Justizbeamter sollte jederzeit in seiner Nähe sein. Außerdem trug Sch. nach Auskunft von Anstaltsleiter Stumpf Fesseln. Diese wurden dem Patienten um 21 Uhr kurzzeitig abgenommen, damit er zur Toilette konnte. Anschließend wollte er sich noch ein Getränk aus der Stationsküche holen - dabei nutzte Sch. offenbar einen unbeobachteten Moment und sprang auf gut Glück aus dem Fenster.

Der Zufall half ihm: Unterhalb des Fensters befindet sich ein Glasdach, das die Höhe des Sprungs verringerte. Der Justizbeamte habe sofort die Verfolgung aufgenommen, sagt Stumpf, habe Sch. aber nicht mehr einholen können. Wie dem 25-Jährigen die weitere Flucht nach Tschechien gelang und ob er dabei möglicherweise Helfer hatte, muss die Kriminalpolizei noch klären.

Es sei zu früh für eine abschließende Bewertung, sagte Gefängnisleiter Stumpf. Man werde der Sache "sehr intensiv nachgehen". Sollte sich herausstellen, dass es Versäumnisse gegeben habe, dann werde das Konsequenzen haben. Eigentlich seien Justizbeamte für die schwierige Aufgabe der Bewachung sensibilisiert - die Flucht bei Arzt- oder Gerichtsterminen sei der "klassische Weg" für Ausbrecher geworden, seitdem die Haftanstalten mit modernsten Mitteln gesichert würden. Zur stationären Behandlung von Inhaftierten gebe es auch einige gesicherte Krankenzimmer in Münchner Kliniken. Im vergangenen Sommer hatte ein 32-jähriger Straftäter, der im Maßregelvollzug in Haar saß, einen Arztbesuch im Klinikum Schwabing genutzt, um sich aus dem Staub zu machen. Fahnder schnappten ihn vier Monate später in der Türkei vor der Haustür seiner Mutter. Der Fluchtversuch eines 17-Jährigen, der in Stadelheim einen einwöchigen Jugendarrest absaß, aber unbedingt auf die Wiesn wollte, endete im September bereits auf dem Anstaltsdach.

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"Früher oder später kriegen wir jeden", sagte Stumpf erleichtert, als er am Dienstagmittag von der erneuten Festnahme des 25-Jährigen erfuhr. Personenfahnder des Kommissariats 101 im Polizeipräsidium hatten sich an die Spur des Ausbrechers geheftet. In enger Zusammenarbeit mit den tschechischen Behörden gelang es am Montag gegen 20 Uhr, den Tatverdächtigen in einer Kleinstadt im Nachbarland festzunehmen.

Am Samstagabend vor elf Tagen hatte sich der im südböhmischen Pelhřimov geborene 25-Jährige mit seiner Mutter am Rotkreuzplatz getroffen. Gemeinsam gingen sie in die nahe gelegene Wohnung der Frau. Dort gerieten gegen 23.30 Uhr der 25-Jährige und der Lebensgefährte der Mutter, ein 62-jähriger Landsmann der beiden, aus bislang ungeklärten Gründen aneinander. Das Verhältnis der beiden polizeibekannten Männer soll jedenfalls schon längere Zeit nicht das beste gewesen sein. Im Verlauf der körperlichen Auseinandersetzung stach Sch. auf den 62-Jährigen ein und traf ihn dabei am Oberkörper, an der Brust und den Armen, ehe die Mutter ihrem Sohn das Tatmesser abnehmen konnte. Hausbewohner, die durch den Lärm auf die Bluttat aufmerksam geworden waren, riefen die Polizei. Der 62-Jährige wurde in eine Klinik gebracht, wo er noch in der Nacht operiert wurde.

Der 25-Jährige, der beim Eintreffen der Polizei bereits unbewaffnet war, wurde festgenommen und kam nach Stadelheim in Untersuchungshaft. Bis zum vergangenen Freitag.

© SZ vom 31.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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