Normalerweise betreibt Tobias Lintz zwei Bars in München. Seit 24 Jahren gibt es das Holy Home am Gärtnerplatz, 2013 kam unweit davon das Unter Deck am Oberanger dazu. Bars und Kneipen müssen aber in Bayern vorerst geschlossen bleiben. Ein Gespräch über Alibi-Schinken-Käse-Toasts, Corona-Zeitschleifen und wie schnell München unattraktiv für junge Leute werden könnte.
SZ: Herr Lintz, das Leben läuft langsam wieder an, Ihnen als Barbetreiber sind aber noch die Hände gebunden. Wie geht es Ihnen gerade damit?
Dafür, wie die Lage gerade ist, geht es mir erstaunlich gut. Ich bin durch diese Zeit gekommen, weil ich Schritt für Schritt gedacht habe. Immer nur bis zum nächsten Punkt. Langsam wird es etwas anstrengend. Du hast das Fünffache zu tun, verdienst aber höchstens die Hälfte, die Zeit dehnt sich ins Ewige. Ein komischer Corona-Timeloop. Mittlerweile ist die Bedrohung eine andere, nicht mehr so konkret. Wir sind zurück auf dem Weg in die Normalität, aber noch lange nicht da. Und das ist glaube ich auch das, was ich so anstrengend finde momentan, dieses Hängen in der Luft.
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Im Gärtnerplatzviertel sind durch die Corona-Krise viele Schanigärten entstanden. So einen will Wirt Beppi Bachmaier jetzt auch.
Sind Ihre beiden Bars noch komplett dicht?
Das Unter Deck schon. Das Holy ist als reine Schönwetter-Notlösung als To-Go-Bar offen. Aber es reißt schnell ein krasses Loch in die Wochenbilanz, wenn es zum Beispiel abends gewittert. Wir haben eine kleine Bar aus den 50ern oder 60ern vor dem Laden stehen, die aussieht wie der Bug von einem kleinen Schiff, das kommt ganz gut an.
Das Holy Home liegt direkt am Gärtnerplatz, der gerade wegen dem spätabendlichen Trubel wieder im Gespräch ist.
Am Gärtnerplatz ist momentan ein komplett anderes Klientel unterwegs. Leute, die sich normalerweise nicht in die Quere kommen, die Mischung ist speziell. Die Menschen wissen einfach nicht wohin mit sich nachts, wenn die Klubs zu sind. Daran sieht man auch, was die Klubs normalerweise leisten. Aber das ist alles eine vorübergehende Ausnahmesituation. Wir kämpfen hier um unsere nackte Existenz, und es ist ausschließlich ein Sommerproblem, das wieder vorbeigehen wird.
Einige Bars haben Speisen in ihr Repertoire aufgenommen und wieder geöffnet.
Gerade serviert jede Bar einen Alibi-Schinken-Käse-Toast und Oliven, und so ähnlich werden wir es im Holy jetzt auch machen. Das ist schon eine schildbürgerartige Regelung momentan, aber wir haben im Holy ohnehin eine Speisen- und Schanklizenz. Es hat vier Wochen gedauert, bis wir dort die beiden Parkplätze vor der Tür als Terrasse bewilligt bekommen haben. So viel Sommer bleibt nicht mehr. Und mit der Terrasse müssen wir die Leute ohnehin wieder reinlassen, damit sie die Toilette nutzen können. Vielleicht finden wir dann drinnen mit Stehtischen eine gute Lösung.
Und in Ihrer anderen Bar ist das nicht denkbar?
Das Unter Deck wegen seiner kleinen Terrasse oder für To-Go aufzumachen hat keinen Sinn. Es ist billiger, den Laden zuzulassen, als dafür Leute aus der Kurzarbeit zu holen. Gerade hatte sich das Unter Deck wirklich schön etabliert, auch mittwochs und donnerstags war was los, hauptsächlich aber natürlich am Wochenende. Und da muss es auch drin knallen, damit sich das rechnet, die Pacht ist hoch.
Könnte man das Unter Deck nicht einfach mit Stühlen und Tischen vollstellen und dort, sagen wir, Schinken-Käse-Toasts servieren?
Bestuhlen, den Laden, das funktioniert nicht. Das Unter Deck ist eine beinahe fensterlose Feierhöhle. Im Sommer ist es da drin heiß und stickig. Im Herbst vielleicht, Livemusik und Sandwiches, irgendsoetwas. Für den Herbst müssen wir uns im Zweifel schon etwas überlegen. Wir spielen hier auf Zeit.
Wann sollten Ihrer Meinung denn Kneipen und Bars wieder öffnen dürfen?
Ich finde, es gibt keinen besseren Zeitpunkt, um die Kneipen aufzumachen, als jetzt. Da sind sie wegen des Sommerwetters nicht so voll. Im Unter Deck ließe sich auch Abstand halten. Bei Regen müssten wir das mit einem Silencer regeln, aber ansonsten kannst du im Sommer bei uns ganz genauso auf Abstand stehen, wie man anderswo an einem Tisch sitzt. Es entsagt mittlerweile jeder Grundlage und Logik, dass wir nicht öffnen dürfen. Ich gehe davon aus, dass es Anfang August soweit ist. Wenn nicht jetzt, wann dann?
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Gerade erst wurde von Gerichten noch einmal bestätigt, dass Bars in Bayern vorerst geschlossen bleiben müssen.
Wenn wir wenigstens im Herbst wieder aufmachen dürfen, okay. Aber erst im Frühjahr? Auf keinen Fall. Das Holy ist nicht das Problem. Mein Problem ist das Unter Deck. Der Hausbesitzer kommt uns nicht entgegen mit der Pacht, das ist ein Riesenkonsortium. Wir brauchen da weitere Hilfen. Und es muss langsam etwas passieren. Ich denke, man müsste einfach Listen in den Läden führen, um Ansteckungsketten nachvollziehen zu können.
Ansonsten...?
Wenn die Stadt München nicht will, dass hier reihenweise die Klubs an die Wand genagelt werden, werden sie den Klubs die Miete zahlen müssen. Sonst wird München bald das Dorf, als das es immer verschrien wird. Es gab ja schon vor Corona das Problem, dass sich hier keine Start-ups ansiedeln wollen, weil es wenig und immer weniger Nachtleben gibt. Das war schon lange Thema. Für junge Touristen ist das auch nicht der größte Anreiz, hierher zu kommen.
Wie ist bei Ihnen die finanzielle Lage?
Das Holy habe ich erst mit Rücklagen, dann mit der Soforthilfe und jetzt mit dem bisschen To-Go-Geschäft über Wasser gehalten. Aber selbst als beide Läden zu waren und wir die Fixkosten auf das absolute Minimum gesenkt hatten, waren das immer noch monatliche Kosten im niedrigeren fünfstelligen Bereich. Ich lese immer, Gastronomen sollten doch ihre Rücklagen nutzen. Aber ich glaube, die Leute machen sich keine Vorstellung davon, was für ein Rattenschwanz an Kosten in der Gastronomie dranhängt. Von einer Münchner Pacht über Sozialbeiträge bis zur Gebühr für die Glastonne. Und ich habe zwei Kinder zu versorgen, in München.
Können Sie den letzten Wochen auch etwas Positives abgewinnen?
Spannend ist es schon. Alle müssen sich neu aufstellen, und ein bisschen was wird sicher hängenbleiben. Aber der Mensch ist ein Sozialwesen und ein Verdränger, und es ist auch nicht die erste Pandemie, die die Menschheit heimgesucht hat. Ich hatte mehr Zeit mit meinen beiden Kindern, wenn auch mit anstrengendem Home-Schooling und komplettem Home-Office für meine Frau. Zeit, meinen Keller zu entrümpeln, war da nicht. Die ganzen Anträge, die ganzen Leute beruhigen; ich hing sechs bis acht Stunden pro Tag am Telefon. Das war eine grenzwertige Zeit. Aber es hat uns als Familie auch Zusammenhalt gegeben. Und wir Pächter von Läden und Lokalen aus der Gegend haben uns viel besser kennengelernt. Nur auf die Art hätte das jetzt nicht unbedingt sein müssen.