Kompass:Tanzrituale im Frühling

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Sergej Prokofjews Oper "Krieg und Frieden" bewegt gerade das Münchner Opernpublikum, seine Musik zum Ballett "Romeo und Julia" ist vielen weit mehr vertraut, nicht zuletzt durch die Verwendung in einem Parfüm-Werbeclip. Bei der Ballettfestwoche ist John Crankos Choreografie nun wieder zu erleben, hier mit Madison Young als Julia und Sergio Navarro als Graf Paris. (Foto: Katja Lotter)

Viel Bewegung auf den Münchner Bühnen: Die Ballettfestwoche und die Dance-Biennale stehen an, auch die Freie Szene lockt mit spannenden Produktionen.

Von Jutta Czeguhn

Tanz und Stillstand, nichts lässt sich weniger miteinander vereinbaren. Tanz ist die wirksame Gegenkraft, um dem allgemeinen Gefühl von Erstarrung und Erschöpfung beizukommen. In diesem Frühjahr, im Mai, feiert beispielsweise "Dance", die Münchner Biennale für zeitgenössischen Tanz, ihr Auftauchen aus der Unsinnlichkeit des Digitalen, zu der sie 2021 verdammt war. Zuvor zeigt das Bayerische Staatsballett während seiner Festwoche traditionell Höhepunkte der laufenden Saison, nebst einer spannenden Hauspremiere eines Choreografen-Duos, das lange am Nederlands Dans Theater gewirkt hat. Und Münchens starke Freie Tanzszene, nun, die ist sowieso unablässig in Bewegung, energetisch und offen unterwegs zu Neuem.

Die Ballettfestwoche

Inspiriert vom Stummfilm: Das Stück "Silent Screen" der Choreografen Sol León und Paul Lightfoot ist bei der Ballettfestwoche zu sehen, hier ein Foto von den Proben am Bayerischen Staatsballett mit (v. l.) Severin Brunhuber, Ballettmeister Jorge Nozal und Eline Larrory. (Foto: niczeusmackay)

Im Griechenland der Antike sah man in ihnen die Seelen der Verstorbenen, unbeschwerte, transformierte Schönheiten, die sich mit unhörbaren Flügelschlägen in eine andere Welt davon machten . "Schmetterling" ist die einzige Hauspremiere (31. März) der Ballettfestwoche am Bayerischen Staatsballett überschrieben, nach dem gleichnamigen Stück des Choreografen-Paars Sol León und Paul Lightfoot. Uraufführung war 2010 am ehemaligen Stammhaus der beiden, am Nederlands Dans Theater (NDT), dem Mekka des zeitgenössische Tanzes. Eine traurige Geschichte lag dem Werk zu Grunde: Ein NDT-Solist hatte ein Sabbatical genommen, um seine todkranke Mutter zu pflegen.

In der Choreografie von León und Lightfoot tanzen Mutter und Sohn dem Tod entgegen, das ist herzzerreißend und berührend warmherzig gleichermaßen. Zur ikonischen Musik des 1999 erschienen Konzeptalbums "69 Love Songs" der Indie-Pop-Band Magnetic Fields gibt es in "Schmetterling" noch viele weitere Liebesgeschichten, erzählt in Pas de deux, Trios und Ensemblepassagen. Im zweiten Teil des Abends zeigen León/Lightfoot "Silent Screen", eine Choreografie aus dem Jahr 2005, zu der sich die beiden vom Stummfilm inspirieren ließen, in dem wie beim Tanz alles ohne Worte geschieht. Zur Musik von Philip Glass und Max Richter lassen die Choreografen nun Mitglieder des Staatsballetts wie Stummfilmstars agieren, sich still einschreiben in die Bilder, Szenen und Landschaften, die hinter ihnen auf großen Bildschirmen flimmern. So entsteht auf faszinierende Weise Dreidimensionalität, eine Art Tromp-l'oeil.

Ballettfestwoche des Bayerischen Staatsballetts vom 31. 3. bis 8. 4. , "Schmetterlinge", Premiere, Fr., 31.3., 19.30 Uhr, Nationaltheater, Karten und Infos zum Programm unter www.staatsoper.de , an der Tageskasse am Marstallplatz 5 und unter Tel. 21 85 19 20

Die Tanzbiennale Dance

"Life Traveler" ist eine Performance der New Yorkerin Jody Oberfelder. (Foto: Paula Court)

Während man bei der Ballettfestwoche mit John Crankos "Romeo und Julia", John Neumeiers "Ein Sommernachtstraum" oder Christopher Wheeldons "Cinderella" durchaus auch Handlungsballette auf Spitze zu sehen bekommt , und die Bosl-Stiftung bei ihren Frühlings-Matineen Altmeistern wie Hans van Manen oder Jiří Kylián huldigen , widmet sich das Internationale Festival "Dance" der Landeshauptstadt ausschließlich dem zeitgenössischen Tanz. Nachdem die Tanzbiennale 2021 pandemiebedingt rein digital stattfinden musste, soll laut Festivalleiterin Nina Hümpel die 18. Ausgabe vom 11. bis 21. Mai zum großen Tanz-Fest werden: indoor und outdoor in der gesamten Stadt, im Theater und im öffentlichen Raum, mit viel Begegnung, Diskussion.

Internationale und lokale Choreografen, Tanzschaffende und Tanzbegeisterte will sie in München zusammenzubringen: So darf der Münchner Choreograf Moritz Ostruschnjak das Festival mit einer Uraufführung in der Muffathalle eröffnen. Diese hat die Kanadierin Marie Chouinard, Ikone der zeitgenössischen Avantgarde, mit ihrem Stück "M" bereits hinter sich. An den Kammerspielen kommt es nun zu seiner europäischen Erstaufführung. Um das Gefühl des Eingesperrtseins nicht nur während des Lockdowns geht es in "Records" der französischen Choreografin Mathilde Monnier. Richard Siegal und sein Ballet of Difference am Schauspiel Köln sind dabei mit den Stücken "Triple" und "Xerrox Vol.2". Mehrmals verschoben sind nun endlich auch die Performances "Walking to Present" und "Life Traveler" der New Yorkerin Jody Oberfelder in München zu sehen.

Tanzbiennale Dance, vom 11. bis 21. 5. an diversen Orten in München, das ausführliche Festivalprogramm wird am 21. März bekanntgegeben unter www.dance-muenchen.de

Höhenrausch am Gärtnerplatz

Als der Hochleistungsalpinismus noch in ferner Zukunft lag: Seilschaft bei der Besteigung eines Eisturmes in den Zentralalpen. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Noch etwas warten müssen die Ballettfans auf die nächste Uraufführung am 1. Juni im Gärtnerplatztheater, die dem Titel nach eine schwindelige Angelegenheit werden könnte. Bewusstseinstrübungen, Schwindel, Atemnot nicht ausgeschlossen. Mit dem Stück "Höhenrausch" erkundet Georg Reischl die Bräuche und Rituale seiner Heimat, dem Salzburger Land. In seiner Choreografie will der kurzzeitige Regensburger Ballettchef und ehemalige Forsythe-Tänzer zusammenbringen, was nicht zusammengehört, nämlich alpenländische Tradition mit zeitgenössischem Tanz.

Ausgewählt hat er dazu die Musik eines anderen Österreichers und notorischen Lodenträgers, Anton Bruckners Sinfonie Nr. 4, auch "Die Romantische" genannt. Romantisch aber wird das Ganze wohl nicht werden, denn für Reischl und die Ballettkompanie des Gärtnerplatztheaters ist Höhenrausch ein Sinnbild für die Erfolgs- und Leistungsgesellschaft, die gnadenlos zum Schneller, Höher, Weiter antreibt.

"Höhenrausch", Premiere Do.1.6., 19.30 Uhr, Gärtnerplatztheater, Infos und Karten unter www.gaertnerplatztheater.de

Neues von Münchens freier Tanzszene

Der Weg zurück aus Isolation und Einsamkeit: Tanztheater "fear.less" von Johanna Richter im Schwere Reiter. (Foto: Ufuk Aslan)

Choreografin Johanna Richter öffnet im Schwere Reiter eine Woche lang einen "Common garden": An jeweils zwei Abenden sind ihre Tanzstücke "for you my love!" (18. und 19. April) und "fear.less" (21. und 22. April) zu sehen, mit diesen Arbeiten und in Diskussionen will sie ein Publikum ansprechen, dem Tanz oder Theater eher fremd sind. An professionelle Tänzer und Schauspieler wendet sich hingegen ihr Workshop, der die ganze Woche über immer vormittags stattfindet; mit ihnen zusammen will sie dem auf den Grund gehen, was Tanz-Theater bedeuten kann.

Common Garden, Johanna Richter: "for you my love!" (Di., 18. und Mi.,19. 4, jeweils 20 Uhr, "fear.less" (Fr., 21. und Sa., 22. 4., jeweils 20 Uhr), Workshop von Mo., 17., bis Sa, 22. 4., 10 bis 12 Uhr, Schwere Reiter, Karten und mehr zum Tanzprogramm unter www.schwerereiter.de

Spiegelt die Situation queerer Frauen in Europa: die Tanzproduktion "Glasshouse" im Einstein Kultur. (Foto: Mehmet Vanli)

Nicht nur, aber vor allem an ein junges Publikum (ab 14 Jahren) richten sich Eléonore Barbara Bovet und Wiebke Dobers mit ihrer Tanzperformance "Glasshouse" am 17. und 18 März im Einstein Kultur. Das Projekt, das in Kooperation mit dem Aufklärungsprojekt München e.V. entstanden ist, basiert auf persönlichen Erfahrungen der beiden Münchner Künstlerinnen sowie auf Befragungen queerer Menschen. Die Choreografinnen untersuchen, inwiefern queere Frauen stereotypisiert und marginalisiert werden. Es geht um Weiblichkeitsideale, Zuschreibungen, Gefühle. Mit ihrem Stück wollen sie beim Publikum ein Nachdenken über eigene Einstellungen zum Thema Gender und sexuelle Orientierung in Gang setzen.

Glasshouse, Tanzperformance, Fr., 17.3., 10 Uhr (Schulvorstellung) mit nachfolgenden Publikumsgesprächen und Workshops, Abendvorstellung 19.30 Uhr, Sa., 18. 3., 19.30 Uhr, Einstein Kultur, Halle 1, Einsteinstraße 42, Schulklassen per E-Mail über glasshouse-performance@outlook.com. Infos unter www.einsteinkultur.de

Tänzer Corey-Scott Gilbert in Ligia Lewis' Choreografie "Still Not Still" in der Muffathalle. (Foto: Moritz Freudenberg)

Um Zuschreibungen, vor allem aber um Ausgeschlossensein schwarzer und nicht-weißer und/oder queerer Menschen aus Geschichtsschreibung und Gesellschaft geht es der Choreografin und Tänzerin Ligia Lewis in ihrer Arbeit "Still Not Still", zu sehen am 23. und 24. März in der Muffathalle. Rastlos, aggressiv, aber zuweilen auch komisch sind die Bewegungen der sieben Performerinnen und Performer in dieser choreografischen Komposition. Zu diesem Werk inspiriert hat Lewis, die in der Dominikanischen Republik geboren und in den USA aufgewachsen ist, die Inschrift auf einer Schwarzen Madonna: "Nigra sum sed formosa" ("Schwarz bin ich, doch schön"), die aus dem Hohelied Salomons stammt.

"Still Not Still", 23. und 24.3., 20.30 Uhr, Muffathalle, Infos und Karten unter www.muffatwerk.de

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"Huabun" bedeutet "Topfpflanze" auf Koreanisch. So nennt das aus Südkorea stammende Choreografen- und Tänzer-Duo "Zinada" seine Debütproduktion, die am 30. und 31. März sowie am 1. April im Hoch X zu sehen ist. Jin Lee und Jihun Choi setzen sich in ihrer Tanztheater-Performance mit einem für sie auch sehr persönlichen Thema auseinander: Was bedeutet es, einer Topfpflanze gleich, aus seinem angestammten Lebensraum versetzt zu werden und in einer neuen Umgebung Wurzeln zu schlagen. Zinada haben ihr Bewegungsvokabular anhand des Buches "Die Intelligenz der Pflanzen" von Stefano Mancuso und Alessandra Viola entwickelt. Die Wissenschaftler entlarven darin die scheinbare Unbeweglichkeit der Pflanzen und beschreiben sie als Kommunikationswunder und meisterhafte Strategen. Den Pflanzen nämlich stehen, anders als den Menschen in ihrer Begrenztheit, mindestens 15 Sinne zur Verfügung.

"Huabun", Do., 30., und Fr., 31. 3. sowie Sa., 1. 4, HochX, Karten nd Infos unter www.theater-hochx.de

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