Kunst:Das Böse im Spiegel

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Gegen die Mystifizierung: "Es gibt keine Monster" hat Michael Müller seine Arbeit genannt, die Hitler mal mit, mal ohne Schnurrbart zeigt. (Foto: Studio Michael Müller)

Eine Ausstellung im Würzburger Kulturspeicher stellt sich der belasteten Geschichte des Hauses.

Von Florian Welle, Würzburg

Das Gesicht ist ausgemergelt, die Nase lang und spitz. Die Frau hat ihre großen Augen geschlossen, horcht in sich hinein. Sie ist schwanger, beschützend liegen ihre Arme auf dem runden Bauch. Eine Geste, die in ihrer schlichten Anmut unmittelbar anrührt.

Einer Figur von Emy Roeder in den Sammlungsräumen des Würzburger Museums im Kulturspeicher zu begegnen, verwundert erst einmal nicht. Schließlich besitzt die Städtische Sammlung den umfangreichen Nachlass der gebürtigen Würzburgerin und außerordentlichen Bildhauerin der Moderne. Doch so, wie man derzeit in der großen, auf zwei Stockwerke verteilten Sonderausstellung "Die Errettung des Bösen" das von Roeder kurz nach dem Ersten Weltkrieg aus Nussbaumholz gefertigte Bildnis der "Schwangeren" gezeigt bekommt, hat man es gewiss noch nicht gesehen.

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Auf der hell ausgeleuchteten Seite des ersten von drei Ausstellungsräumen ist es von Arbeiten der 1975 in Paris geborenen Bildhauerin Elsa Sahal umgeben. Auf der fast vollständig in Dunkelheit getauchten gegenüberliegenden Seite hingegen von Zeichnungen des Würzburger Kunstmalers Ferdinand Spiegel, einer zweifelhaften Größe der NS-Kunstelite. Ein größerer Gegensatz ist kaum denkbar.

Elsa Sahals aus Keramik gefertigte Plastiken geben den weiblichen Körper nicht mehr als Einheit wieder, sondern als dekonstruiertes Stückwerk. Da bilden bizarr verbogene Füße und übertrieben in die Länge gezogene Brüste noch nie zuvor gesehene korporale Kraftbündel, die spielerisch das Frausein feiern. Eine erfreulich lebensbejahende Sicht, die ebenso etwas Archaisches wie Anarchisches hat und die ästhetischen Positionen Emy Roeders in die Gegenwart führt. Roeder zielte in ihrer Kunst auf die Einheit von Ausdruck und Form und ebnete damit nachfolgenden Generationen den Weg in die Abstraktion. Ihre Figur der "Schwangeren" von 1920 zeigt das eindrucksvoll.

Der weibliche Körper als Stückwerk: Elsa Sahal Arbeit "Trukula Baubo" von 2015. (Foto: Hans-Georg Gaul/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Damit aber war Roeder den Nazis ein Dorn im Auge. 1937 konfiszierten diese die Terrakotta-Ausführung ihrer "Schwangeren" und stellten sie in der Ausstellung "Entartete Kunst" diffamierend zur Schau. Roeder hielt sich zu der Zeit glücklicherweise schon im Ausland auf und sollte erst 1949 nach Deutschland zurückkehren.

Wer um diesen Hintergrund weiß, der ahnt, warum Ausstellungskurator Michael Müller die Plastiken von Roeder und Sahal ausgerechnet mit Entwürfen von Ferdinand Spiegel für das in den Dreißigerjahren neu erbaute Berliner Reichsbankgebäude konfrontiert. Sie zeigen in Reinform ein ganz anderes Frauenbild: Heroinen mit blondem Haar, kantigem Gesicht, eiskaltem Blick.

Die Zeichnungen stammen aus Spiegels Nachlass, der ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg Eingang in die Städtische Sammlung gefunden hat. Ein vergiftetes Erbe, dem sich die heutige Museumsleitung der von den Nazis 1941 gegründeten Sammlung immer wieder stellen muss. Vor zehn Jahren geschah dies in der Ausstellung "Tradition und Propaganda". Danach wurde die Provenienzforschung angeschoben.

"Die Errettung des Bösen" ist nun der Versuch der Museumsdirektorin Luisa Heese, sich mit der belasteten Vergangenheit ihrer Institution einmal nicht auf wissenschaftliche, sondern auf künstlerische Weise auseinanderzusetzen. Dazu lud sie den in Berlin lebenden deutsch-britischen Künstler Michael Müller ein, der zuvor bereits die Sammlung der Städtischen Galerie Wolfsburg gegen den Strich gebürstet hatte.

Emy Roeders Kunst wurde von den Nationalsozialisten diffamiert. Hier ihre Arbeit "Nackter Knabe, ein Kind emporhebend" aus dem Jahr 1928. (Foto: Andreas Bestle/MiK)

Hinter dem Motto "An- und abwesende Schatten", das der 52-Jährige für den ersten Ausstellungsteil gewählt hat, steht die brisante und aktuell in vielen Kunstsammlungen gestellte Frage, wie wir heute mit der NS-Kunst umgehen sollen. Soll sie überhaupt gezeigt werden? Wenn ja, wie? Oder soll man sie einfach im Depot verstauben lassen? Spontan fällt einem beim Rundgang das Buch "Der lange Schatten der Vergangenheit" von Aleida Assmann ein, in dem die renommierte Anglistin über unsere Erinnerungskultur nachdenkt.

Was ursprünglich von Michael Müller als überschaubare Intervention in den Sammlungsräumen geplant war, wuchs sich im Laufe der Zeit zu einer komplexen Sonderausstellung über das Böse an sich aus. Sie umfasst nun auch Werke von Albrecht Becker über Andy Warhol bis Gerhard Richter und verlangt dem Betrachter viel ab. Vor allem Michael Müllers eigene Installationen, mit denen er in den Ausstellungsteilen zwei ("Vergleichen >, =") und drei ("Mögliche und unmögliche Bilder") auf die genannten Künstler reagiert, beziehen die Besucher direkt mit ein. So tauchen in seinen Arbeiten immer wieder Spiegelflächen auf, in denen man sich unweigerlich selbst begegnet.

Für Müller sind es immer wir Menschen, die andere Menschen stigmatisieren und ausgrenzen, einsperren und töten

Der arg kryptische Obertitel "Die Errettung des Bösen" ergibt dann Sinn, wenn man ihn nicht wörtlich nimmt. Sondern als Aufforderung, sich dem Bösen zu stellen. Auch wenn viele das gerne hätten, weil es entlastend wirkt: Das Böse existiert nicht außerhalb von uns. In den Worten der bis heute unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommenen Performance-Künstlerin Ana Mendieta, die Müller an einer Stelle zitiert: "There is a devil inside me."

Müllers 2010 entstandenes Werk "Es gibt keine Monster", für das er Hitler einmal mit und einmal ohne Schnurrbart gezeichnet hat, ist zentral für die gesamte Ausstellung. Der Künstler opponiert damit gegen jede Form einer Mystifizierung des Bösen. Stattdessen hält er es mit Hannah Arendt und ihrem berühmten Diktum von der "Banalität des Bösen".

Dieses hat Müller auch in seiner Auseinandersetzung mit Gerhard Richters "Birkenau-Zyklus" geleitet, die den gesamten dritten Raum einnimmt. Müller bezieht in seiner 16-teiligen Installation "Mögliche und unmögliche Bilder" von 2022 gegen Richter Position, dem er vorhält, den Holocaust in ein nebulöses Geschehen verwandelt zu haben. Damit aber wird es unmöglich, konkret zu sagen, was damals wirklich passiert ist.

Für Müller sind es immer wir Menschen, die andere Menschen stigmatisieren und ausgrenzen, einsperren und töten. Damit besitzen all seine Werke ein ethisches Moment, das sich wie ein roter Faden durch die facettenreiche Schau zieht.

Michael Müller: Die Errettung des Bösen/Mögliche und unmögliche Bilder. Museum im Kulturspeicher , bis 19. März

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