Kritik:Erst schnell, dann fein

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Kaleidoskop des Streicherklangs: Das Apollon Musagète Quartett beim Nymphenburger Sommer.

Von Michael Stallknecht, München

"Zur Nahmensfeyer meines Vaters" hat Franz Schubert in die Stimmen seines sechsten Streichquartetts in D-Dur (D 74) geschrieben. Ob dem strengen Papa gefallen hätte, wie das Apollon Musagète Quartett es nun im Hubertussaal von Schloss Nymphenburg spielt? Man weiß es nicht. Aber was man weiß, ist, dass beim Nymphenburger Sommer tatsächlich das Werk eines 16-Jährigen zu hören ist. Das polnische Streichquartett, 2008 beim ARD-Musikwettbewerb mit dem ersten Preis ausgezeichnet, lässt es fetzen, ein Stück Unterhaltungsmusik aus dem frühen 19. Jahrhundert. Tempo ist Trumpf, Intonation und Zusammenspiel sind erst mal zweitrangig. Dafür baut Primgeiger Paweł Zalejski ein paar Schleifer und derbe Akzente ein, wie sie jeder ordentlichen Schrammelmusik zur Ehre gereichen.

Das ist umso faszinierender, als das Apollon Musagète auch ganz anders kann, wie es danach mit Karol Szymanowskis zweitem Streichquartett op. 56 beweist. Nun ist Millimeterarbeit angesagt, maximale Präzision, Feinstabstimmung in der klanglichen Binnendifferenzierung. So entsteht der ganz eigene, hierzulande leider viel zu selten zu hörende Ton des polnischen Komponisten aus dem frühen 20. Jahrhundert: der einer süßen Gefährlichkeit oder gefährdeten Süße. Zalejskis Violine schimmert nun sanft auch in höchsten Höhen, die Stimmen umschlingen sich im Pianissimo-Bereich, im Schlusssatz klingt dennoch Katastrophisches an.

Noch stärker kommen Bartosz Zachlod, Piotr Szumiel und Piotr Skweres, die drei übrigen Streicher des Apollon Musagète, nach der Pause zur Geltung. Antonín Dvořáks d-Moll-Streichquartett op. 34 kann ziemlich fett klingen. Doch die Vier geben sich gegenseitig Raum, verschieben blitzschnell den Fokus von der einen zur anderen Stimme. Behände Leichtigkeit entschlackt zuverlässig die dichte Partitur. Den schönen, aber kitschgefährdeten langsamen Satz nehmen sie immer wieder ins Leise zurück, entspinnen daraus einen großen, organischen Bogen. Gleichzeitig kehren die tänzerischen Impulse vom Beginn des Abends zurück, in der Polka des zweiten Satzes, aber auch im furiosen Finale. Doch sie erscheinen nun ins Elegante, Kunstmusikalische gewendet - also wolle dieses Konzert ein Kaleidoskop des Streichquartettmöglichen bieten.

Wie man sowas beendet? Am besten mit Bach, dem Vater aller Musik. Zur Zugabe also der erste Kontrapunkt aus der "Kunst der Fuge".

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