Annalena Baerbock im Amerikahaus:Niger, Mali, München

Lesezeit: 3 min

Außenministerin Annalena Baerbock im Amerikahaus (Foto: Catherina Hess)

Außenministerin Annalena Baerbock hört zum Abschluss ihrer Bürgerdialog-Tour im Amerikahaus zu und erzählt von der weiten Welt. Einmal kommt sie dabei aus dem souveränen Tritt.

Von Philipp Crone

Draußen wird demonstriert, drinnen präsentiert. Draußen stehen 400 Demonstranten rund um den Obelisken am Karolinenplatz mit Ukraine-Flaggen und halten unter anderem Dankes-Schilder hoch, während sie sich einen verbalen Schlagabtausch mit einer kleinen Gruppe liefern, deren Plakate die Abschaffung der Bundeswehr fordern. Drinnen wird das mit keinem Wort erwähnt; denn wenn Annalena Baerbock, die am Freitagabend knapp eineinhalb Stunden lang 300 Münchnerinnen und Münchner zum gemeinsamen Nachdenken über die von der Regierung zu erarbeitende nationale Sicherheitsstrategie einlädt, geht es um die großen und eher allgemeinen Fragen. Dabei ist es bei solchen Auftritten ja immer die Kunst, beides zu verbinden. Das Große mit dem Kleinen, das individuelle Problem eines Transport-Unternehmers, der Baerbock etwas später einmal aus dem ansonsten ziemlich souveränen Tritt bringen wird, und die großen Probleme, mit denen die 41-jährige Grünen-Politikerin auf der ganzen Welt konfrontiert ist.

Baerbock tritt zum Abschluss ihrer Deutschlandtour, auf der sie bis ins Amerikahaus acht Tage und laut Moderator exakt 4111 Kilometer unterwegs war, nun also in den Saal und bekommt einen langen Applaus und die Möglichkeit zu einem ersten Statement, bei dem sie von den Stationen der Reise berichtet, etwa auch Besuchen bei der Feuerwehr und einem Medikamente-Hersteller. Bei der Erarbeitung einer Sicherheitsstrategie hänge eben mittlerweile alles mit allem zusammen. Dann beginnt das Frage-Antwort-Spiel, das Baerbock inhaltlich einwandfrei absolviert.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Natürlich sind die Bedingungen auch andere als etwa in einer Wahlkampf-Arena. Hier sind vor allem Fans zugegen, das Durchschnittsalter der Münchner Besucher liegt bei fast jugendlichen 35, und das Thema ist ja ohnehin vorgegeben, nämlich der Kernfrage, die Baerbock noch einmal so formuliert: "Wie können die Bürger sich sicher fühlen?"

Das kann sie, den großen Bogen

Die Ministerin spricht so schnell, dass man manchmal überlegen muss, an welcher Stelle sie zwischen "das europäische Haus wird angegriffen" und "ich bin vor allem zum Zuhören unterwegs" eigentlich Luft geholt hat.

Sie sagt: "Bedeutet es schon Frieden, wenn keine Bomben fallen?" Oder gehe es auch um eine individuelle und soziale Sicherheit, wozu dann eben die freie Meinungsäußerung, Demokratie, Energie- und Ernährungssicherheit genauso dazugehören würden? Da geht es dann konkret ums Gas. So führe aus ihrer Sicht "der russische Präsident", den Baerbock nicht beim Namen nennt, eben gerade Krieg: um die Gesellschaft zu spalten. Das kann sie, den großen Bogen.

Nur geht es in so einem Format ja auch darum, zwischen dem bewusst etwas unnahbar souveränen Auftritt einer Außenministerin und dem nahbaren Auftritt einer normalen 41-Jährigen aus Hannover zu wechseln. Da ist dann schon noch Luft nach oben. Allein ihr kontinuierliches Halblächeln kann auch irritieren, wenn es minutenlang im Gesicht festsitzt.

Baerbocks Mitarbeiter haben 40 Bürger in Workshops befragt und darüber nachdenken lassen, was bei so einer Sicherheitsstrategie wichtig ist, und als dann einige der Bürger ihre Ergebnisse vortragen, die zwischen Werten, Diplomatie und militärischem Einsatz zu finden sind, nickt Baerbock sehr viel. Es wird nicht ganz klar, ob das ein "Ich habe verstanden"-Nicken ist oder eher ein "Das ist richtig"-Nicken.

"Ich habe gespürt, was 50 Grad bedeuten"

Dann wiederum punktet die Ministerin, wenn sie von ihren Erfahrungen im Ausland berichtet. Man kann ja viel von der Gefahr des Klimawandels sprechen, aber wenn Baerbock von ihrem Besuch in Niger erzählt, "wo ich gespürt habe, was 50 Grad bedeuten" und nichts mehr angebaut werden kann, wodurch auch noch die sozialen Spannungen steigen, leuchtet das noch besser ein. Ob sie von den Schwierigkeiten mit der Türkei berichtet oder beim Umgang mit der Regierung in Mali, bei konkreten Beispielen ist die Nick-Quote im Saal am höchsten.

Und es gibt sogar Lacher, als einmal die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe nicht gleich auf den Beamern zu sehen sind, erzählt Baerbock von einem Besuch beim Software-Unternehmen SAP. Selbst diese Profis seien nicht vor Pannen gefeit, bei einer Präsentation sei auch auf einmal nur noch "Error" auf den Bildschirmen zu lesen gewesen.

Bei der offenen Fragerunde am Ende hört Baerbock dann eben einem bayerischen Transport-Unternehmer zu, der von den Schwierigkeiten der Hilfslieferungen an der polnisch-ukrainischen Grenze und langen Wartezeiten in beide Richtungen berichtet. Die Ministerin fragt nach, dann redet sie einfach noch schneller über die vereinbarten Absprachen bei der Ukraine-Hilfe und bittet den jungen Mann zum anschließenden persönlichen Austausch. Schnell allgemein drüberreden ist auch eine Lösung, wenn man aktuell keine gute Antwort hat.

Am Schluss nutzt Baerbock alle inhaltlichen Zutaten elegant für ein Fazit. Die zum Teil kontroversen Diskussionen in den Arbeitsgruppen, die verschiedenen Fragestellungen des Abends sowie vor allem die großen Krisen aktuell hätten doch auch immer gezeigt, dass bei Streit und Meinungsverschiedenheiten gerade in schwierigen Situationen auch viel möglich sei und bewegt werden könne, ganz gegen "das russische Narrativ: Wir können euch mit Gas so erpressen, dass ihr gar nicht mehr handlungsfähig seid". Sie nennt solche Situationen einfach "ein Momentum", das man ergreifen müsse. Und mit diesem verlassen dann die Zuhörer auch den Saal.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusTour durch Deutschland
:Baerbocks Busfahrt

Eine Woche lang reist die Außenministerin quer durchs Land, um den Menschen die Fragen der Sicherheitspolitik näherzubringen - und selber auch Antworten zu finden.

Von Stefan Kornelius

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: