Internationale Wochen gegen Rassismus:"Habet Sie in München au so viele Schwarze?"

Rassismus im Alltag, Illustration von Alper Özer für MRB Thema des Tages

Alltagsrassismus ist auch, wenn der Platz neben dem dunkelhäutigen Mann lange frei bleibt.

(Foto: Alper Özer)

München ist die Stadt der Lichterkette und Schauplatz großer Anti-Pegida-Demos. Doch Rassismus ist auch hier zu etwas Alltäglichem geworden - von abwertenden Bemerkungen bis hin zu brutaler Gewalt.

Von Martin Bernstein

Dann kommt dieser Satz. Er ist Teil der Liturgie in der katholischen Messe. "Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung!" fordert der Priester die Gläubigen auf. Denn Gott, so hat es Papst Benedikt XVI. 2007 formuliert, könne "auch Völker und Einzelpersonen miteinander versöhnen ... , wo menschliche Versuche scheitern".

Wie das ist mit dem Scheitern von Frieden und Versöhnung, hat D. mehr als einmal erlebt, seitdem er aus Äthiopien nach Deutschland gekommen ist. D. ist katholischer Christ und regelmäßig in der Kirche. Dass man ihm nicht die Hand geben will, ist für D., so hat er es in einem Brief formuliert "gottesdienstlicher Alltag". Bei manchen, denen er den "Frieden des Herrn" wünschen will, spürt D. "den inneren Konflikt in der Handhaltung deutlich". In der Kirche? Seine Adoptivmutter habe das nicht glauben können, sagt D. Bis sie mit ihm in die Messe ging. Und selbst sah.

"Es wird auch nach Möglichkeit vermieden, neben Dunkelhäutigen zu sitzen", ergänzt D., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Das mit dem Sitzplatz, der neben Menschen mit dunklerer Hautfarbe frei bleibt, erlebt der 36-Jährige auch im Bus, in der Tram, in der U-Bahn. Wer mit offenen Augen den öffentlichen Nahverkehr benutzt, kann die Erfahrung selbst jederzeit machen: Ist nicht gerade Rush Hour, bleibt der Platz neben dem dunkelhäutigen Mann, neben der Frau mit dem Kopftuch lange frei. Nicht alle Münchner seien so, schränkt D. ein. Aber so viele, dass jeder dunkelhäutige Münchner die Erfahrung bestätigen könne. "Alltagsrassismus" nennt D. das. Ein Tabuthema, so hat er es erlebt.

Rassismus in München, der Stadt der Lichterkette und der Großdemonstrationen gegen Pegida. Man weiß, dass es ihn gibt. Und welche fürchterlichen Ausprägungen er haben kann. Die neun Morde am Olympia-Einkaufszentrum vom 22. Juli 2016 waren rassistisch motiviert. Der Täter schoss nicht wahllos um sich - er tötete Menschen, die er für Türken oder Albaner hielt. Dennoch gilt die Tat für die Sicherheitsbehörden bis heute offiziell als "Amoklauf". Der Täter war selbst ein Einwandererkind, Sohn iranischer Eltern. Und er war Rassist.

"Kanacken" hasste er, und seinen eigenen Namen "Ali" hasste er auch. Als er 18 war, ließ er den Namen in "David" ändern. Dann ging er zum OEZ, um zu morden. Zwei Morde verübte der NSU in München. Die Terrorgruppe erschoss den Obst- und Gemüsehändler Habil Kılıç am 29. August 2001, vier Jahre später - am 15. Juni 2005 - Theodoros Boulgarides, den Mitinhaber eines Schlüsseldienstes. Bei der Urteilsverkündung am 11. Juli 2018 feiern schwarz gekleidete Neonazis die milden Strafen für zwei ihrer Gesinnungsgenossen mit Beifall im Hochsicherheitssaal des Landgerichts. Auf Pegida-Kundgebungen werden die NSU-Opfer mit einem Paulchen-Panther-Bild verhöhnt.

Längst gibt es sie wieder, die Netzwerke der Münchner Rassisten. Oder ist es schon wieder ein einziges großes Spinnennetz? Sie geben sich wenig Mühe, ihre Kontakte zu verbergen. Auf Veranstaltungen, mehr aber noch in den sozialen Netzwerken bis hin zum - bei deutschen Rechtsradikalen besonders beliebten - russischen Portal "vk.com". Im Mai sagt der AfD-Politiker Uli Henkel in einem Video, Afrikaner seien "enthemmt, wenn es um die Ausübung körperlicher Gewalt geht", und "sie verticken wirklich überall Drogen". Migranten aus Afrika seien, so Henkel, "vermutlich sogar noch gefährlicher für uns als die Menschen aus den Ländern Allahs". Henkel sitzt mittlerweile im Landtag und gilt als eher gemäßigter Exponent der AfD.

Enthemmt, wenn es um die Ausübung körperlicher Gewalt geht, sind nicht selten ganz normale Münchnerinnen und Münchner. Wie der Mann, der vor einer Woche einen Taxifahrer tritt, ihn als "Sch... Kanaken" beschimpft und einem Polizisten mit Vergasung droht. Einfach mal so, weil er glaubt, im Streit um Fahrziel und Kosten im Recht zu sein. So wie die zwei Fahrgäste, die am 13. Juni einen dunkelhäutigen Taxifahrer rassistisch beschimpfen, ihn schlagen, zu Boden reißen und gegen seinen Kopf treten.

Oder die zwei Männer, die zwei Tage später einen Eritreer krankenhausreif prügeln. Oder der Mann, der in Schwabing nachts einen aus Spanien stammenden Münchner anbrüllt: "Sch... Migrant" und dem Opfer danach mit der Faust ins Gesicht schlägt. Oder die sechsköpfige Gruppe, die auf dem Oktoberfest drei Inder beleidigt, schlägt und tritt. Der 44-Jährige, der am Busbahnhof einen Italiener beschimpft und vor den Augen der Polizei umstößt. Der Mann, der in der S-Bahn zwei dunkelhäutige Menschen attackiert und einen Fahrgast, der helfen will, durch eine Trennscheibe rammt. Rund 40 derartige Fälle sind 2018 bekannt geworden.

Diskriminierung beginnt nicht erst, wo Gewalt im Spiel ist

"Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit entsteht dort, wo Abwertung und Ausgrenzung anderer Anerkennung vermittelt", bilanzierten vor sechs Jahren in einer Studie Forscher des Instituts für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität. Sie hatten 3800 Münchner kontaktiert, 1139 Fragebögen kamen zurück. Das Ergebnis: Langzeitarbeitslose, Obdachlose und Muslime haben es in München besonders schwer. Die Sozialwissenschaftler stellten auch fest, dass Ausländerfeindlichkeit mit 10 Prozent etwas weniger ausgeprägt war als in anderen deutschen Metropolen. Münchner Rassisten sind laut der Studie überwiegend Männer über 50. Das war vor der AfD. Vor Pegida. Und bevor die Münchnerinnen und Münchner im Herbst 2015 die Flüchtlinge am Hauptbahnhof so offen empfingen. Eine Fortschreibung der Studie im Jahr 2016 ergab, dass Muslimenfeindlichkeit bei 49 Prozent der Befragten "mittel" oder "stark" ausgeprägt ist, bei 28 Prozent die Abwertung von Flüchtlingen und bei elf Prozent rassistische Einstellungen.

Wie kann man erklären, warum Dinge passieren wie am 9. Oktober 2018 in einem Supermarkt am Ostbahnhof? Unvermittelt beginnen zwei ältere Frauen, einen Kunden rassistisch zu beschimpfen. Eine packt einen Karton und schlägt damit auf den aus Nigeria stammenden Mann ein. Die Zunahme rechter Gewalt weist für Siegfried Benker von der Münchner Opferberatungsstelle "Before" auf ein verändertes gesellschaftliches Klima hin. "Unsere Arbeit ist ein Seismograf für das, was sich in der Stadt tut", sagt er. Diskriminierung beginnt nicht erst, wo Gewalt im Spiel ist. Ein vermeintlicher Witz am Arbeitsplatz, eine rassistische Bemerkung beim Behördengang, Ressentiments im Wohnumfeld - so fängt Ausgrenzung an. Rassisten und Rechtsextremisten entdecken in einem Klima, das so erzeugt wird, eine "Selbstermächtigung zur Gewalt", wie Benker sagt.

Da "das bisherige Schweigen und Wegschauen nach meiner Auffassung erheblichen Schaden angerichtet hat", hat D. im November das Erzbischöfliche Ordinariat angeschrieben. Er solle sich an den Leiter der muttersprachlichen Seelsorge wenden, rät man zwei Monate später dem Mann, der seit 18 Jahren in Deutschland lebt und druckreif formuliert. Auch die Münchner Verkehrsgesellschaft weicht aus: "Wir können Ihr Anliegen und Engagement für ein gesellschaftlich hoch relevantes Thema, das weit über den Bereich ÖPNV hinausgeht, sehr gut nachvollziehen, allerdings ist das Fahrgastfernsehen (...) nicht das geeignete Medium, unmissverständlich und überzeugend gegen Alltagsrassismus Stellung zu nehmen", heißt es im Januar. Als D. nachhakt, wird ihm erklärt: "Leider können wir die Erziehung der Fahrgäste nicht übernehmen und deren korrektes Verhalten sicherstellen."

Genau das wäre bei manchen Fahrgästen dringend nötig. Ein älteres Ehepaar steht zur Oktoberfestzeit am U-Bahnhof Laimer Platz. Man kommt ins Gespräch, plaudert, die hörbar aus dem Schwäbischen stammenden Besucher bekommen Tipps, welches Ticket für sie am günstigsten ist. Der Zug kommt, das Paar steigt ein. Im Gehen wendet sich der Mann um. Eine Frage muss er noch loswerden: "Habet Sie in München au so viele Schwarze?"

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