Dann kommt dieser Satz. Er ist Teil der Liturgie in der katholischen Messe. "Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung!" fordert der Priester die Gläubigen auf. Denn Gott, so hat es Papst Benedikt XVI. 2007 formuliert, könne "auch Völker und Einzelpersonen miteinander versöhnen ... , wo menschliche Versuche scheitern".
Wie das ist mit dem Scheitern von Frieden und Versöhnung, hat D. mehr als einmal erlebt, seitdem er aus Äthiopien nach Deutschland gekommen ist. D. ist katholischer Christ und regelmäßig in der Kirche. Dass man ihm nicht die Hand geben will, ist für D., so hat er es in einem Brief formuliert "gottesdienstlicher Alltag". Bei manchen, denen er den "Frieden des Herrn" wünschen will, spürt D. "den inneren Konflikt in der Handhaltung deutlich". In der Kirche? Seine Adoptivmutter habe das nicht glauben können, sagt D. Bis sie mit ihm in die Messe ging. Und selbst sah.
"Es wird auch nach Möglichkeit vermieden, neben Dunkelhäutigen zu sitzen", ergänzt D., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Das mit dem Sitzplatz, der neben Menschen mit dunklerer Hautfarbe frei bleibt, erlebt der 36-Jährige auch im Bus, in der Tram, in der U-Bahn. Wer mit offenen Augen den öffentlichen Nahverkehr benutzt, kann die Erfahrung selbst jederzeit machen: Ist nicht gerade Rush Hour, bleibt der Platz neben dem dunkelhäutigen Mann, neben der Frau mit dem Kopftuch lange frei. Nicht alle Münchner seien so, schränkt D. ein. Aber so viele, dass jeder dunkelhäutige Münchner die Erfahrung bestätigen könne. "Alltagsrassismus" nennt D. das. Ein Tabuthema, so hat er es erlebt.
Rassismus in München, der Stadt der Lichterkette und der Großdemonstrationen gegen Pegida. Man weiß, dass es ihn gibt. Und welche fürchterlichen Ausprägungen er haben kann. Die neun Morde am Olympia-Einkaufszentrum vom 22. Juli 2016 waren rassistisch motiviert. Der Täter schoss nicht wahllos um sich - er tötete Menschen, die er für Türken oder Albaner hielt. Dennoch gilt die Tat für die Sicherheitsbehörden bis heute offiziell als "Amoklauf". Der Täter war selbst ein Einwandererkind, Sohn iranischer Eltern. Und er war Rassist.
"Kanacken" hasste er, und seinen eigenen Namen "Ali" hasste er auch. Als er 18 war, ließ er den Namen in "David" ändern. Dann ging er zum OEZ, um zu morden. Zwei Morde verübte der NSU in München. Die Terrorgruppe erschoss den Obst- und Gemüsehändler Habil Kılıç am 29. August 2001, vier Jahre später - am 15. Juni 2005 - Theodoros Boulgarides, den Mitinhaber eines Schlüsseldienstes. Bei der Urteilsverkündung am 11. Juli 2018 feiern schwarz gekleidete Neonazis die milden Strafen für zwei ihrer Gesinnungsgenossen mit Beifall im Hochsicherheitssaal des Landgerichts. Auf Pegida-Kundgebungen werden die NSU-Opfer mit einem Paulchen-Panther-Bild verhöhnt.
Längst gibt es sie wieder, die Netzwerke der Münchner Rassisten. Oder ist es schon wieder ein einziges großes Spinnennetz? Sie geben sich wenig Mühe, ihre Kontakte zu verbergen. Auf Veranstaltungen, mehr aber noch in den sozialen Netzwerken bis hin zum - bei deutschen Rechtsradikalen besonders beliebten - russischen Portal "vk.com". Im Mai sagt der AfD-Politiker Uli Henkel in einem Video, Afrikaner seien "enthemmt, wenn es um die Ausübung körperlicher Gewalt geht", und "sie verticken wirklich überall Drogen". Migranten aus Afrika seien, so Henkel, "vermutlich sogar noch gefährlicher für uns als die Menschen aus den Ländern Allahs". Henkel sitzt mittlerweile im Landtag und gilt als eher gemäßigter Exponent der AfD.
Enthemmt, wenn es um die Ausübung körperlicher Gewalt geht, sind nicht selten ganz normale Münchnerinnen und Münchner. Wie der Mann, der vor einer Woche einen Taxifahrer tritt, ihn als "Sch... Kanaken" beschimpft und einem Polizisten mit Vergasung droht. Einfach mal so, weil er glaubt, im Streit um Fahrziel und Kosten im Recht zu sein. So wie die zwei Fahrgäste, die am 13. Juni einen dunkelhäutigen Taxifahrer rassistisch beschimpfen, ihn schlagen, zu Boden reißen und gegen seinen Kopf treten.
Oder die zwei Männer, die zwei Tage später einen Eritreer krankenhausreif prügeln. Oder der Mann, der in Schwabing nachts einen aus Spanien stammenden Münchner anbrüllt: "Sch... Migrant" und dem Opfer danach mit der Faust ins Gesicht schlägt. Oder die sechsköpfige Gruppe, die auf dem Oktoberfest drei Inder beleidigt, schlägt und tritt. Der 44-Jährige, der am Busbahnhof einen Italiener beschimpft und vor den Augen der Polizei umstößt. Der Mann, der in der S-Bahn zwei dunkelhäutige Menschen attackiert und einen Fahrgast, der helfen will, durch eine Trennscheibe rammt. Rund 40 derartige Fälle sind 2018 bekannt geworden.