#MeTwo:"Sie sprechen aber gut Deutsch!"

Ali Can, a 24-year-old Twitter activist shows his social media #MeTwo hashtag in Cologne

Ali Can, 24, ist der Initiator von #MeTwo.

(Foto: REUTERS)

Unter #MeTwo teilen Twitter-Nutzer ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus - und füllen einen abstrakten Begriff mit Leben. Fünf Tweets und ihre Geschichten.

Von Carolin Gasteiger, Kathleen Hildebrand und Benjamin Reibert

Im schlechtesten Fall sind soziale Netzwerke alles andere als sozial. Dann wird auf Facebook, Twitter und Reddit angeprangert, gehetzt, kritisiert. Im besten Fall aber wird dort aus dem Gefühl, allein und irrelevant zu sein, kollektiver Mut. Dann kommen Menschen zu Wort, die sonst nicht gehört werden und aus abstrakten Begriffen werden ganz konkrete, berührende Erfahrungsberichte. Das war im Februar so, als Hunderte Pflegerinnen und Pfleger im Land in kurzen Tweets beschrieben, was Pflegenotstand heißt. Und das ist gerade wieder so. Unter #MeTwo teilen Tausende ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus in Deutschland.

Erfinder des Hashtags ist Ali Can, 24. Er unterrichtet interkulturelle Kommunikation und hat vor zwei Jahren eine "Hotline für besorgte Bürger" eingerichtet. In der vom Rücktritt Mesut Özils aus der Fußball-Nationalmannschaft ausgelösten Rassismus-Debatte müsse nun die andere Seite zu Wort kommen. "Wir brauchen sozusagen eine ,Me Too'-Debatte für Menschen mit Migrationshintergrund", sagte er in einem Twitter-Video. Tausende antworteten, die Geschichten hinter ihren Tweets sind kleine Lehrstücke über Rassismus.

Ein paar Beispiele.

Giorgina Kazungu-Haß, 40, Politikerin in Rheinland-Pfalz

"Leider höre ich Sätze wie ,Du siehst ja nicht so schwarz aus, zumindest checkt bestimmt niemand, dass du halb aus Afrika kommst' total oft. Das trifft mich. Ich war in meinem ganzen Leben nur drei Wochen in dem Land meines Vaters. Viele Menschen denken, dass Halbschwarze nur die Hälfte an Problemen hätten wie Komplettschwarze. Diese Menschen, die nicht immer Rechte oder Rassisten sind, verstehen nicht, dass sie das Problem manifestieren. Es fällt ihnen extrem schwer zu verstehen, dass mich solche Sprüche verletzen. Und die Diskussionen enden immer mit: 'Ich bin aber kein Rassist.' Ich nehme solche Sprüche als Makel an mir selbst wahr, geht ja nicht anders. Seit Pegida, Sarrazin und der Flüchtlingsdebatte hat sich alles verschlechtert. Aus diesen Gründen habe ich mich 2016 erfolgreich um ein Landtagsmandat in Rheinland-Pfalz bemüht. Als Mutter sind diese Sätze für mich nun noch schlimmer zu ertragen: Mein Sohn erfährt in der Schule auch Rassismus, obwohl er den Nachnamen seines Vaters trägt und nicht schwarz ist. Mir tut es weh, dass wir in einem Land leben, in dem man wegen seiner Hautfarbe Angst haben muss."

Aylin Arkac, 29, Außendienst-Angestellte aus Augsburg

"Mein Großvater war einer der ersten Gastarbeiter in Augsburg, ich gehöre zur ersten Generation unserer Familie, die in Deutschland geboren wurde. Trotzdem erlebe ich immer wieder, dass ich anscheinend nicht dazu gehöre. Als ich als Flugbegleiterin gearbeitet habe, sagte mal ein älterer Passagier zu mir: ,Darf ich Ihnen ein Kompliment machen? Sie sind ein gelungenes Beispiel der Integration.' Und ein Personaler rief mich einmal an, nur um meine Deutschkenntnisse nachzuprüfen. Als ich antwortete: ,Haben Sie meinen Lebenslauf nicht gelesen? Ich wurde hier geboren, bin hier zur Schule gegangen', erwiderte er: ,Ihr Name ist aber ausländisch.' Mich macht fassungslos, dass immer noch so unterschieden wird. Dass der Name mehr zählt als der Lebenslauf, das Aussehen mehr als alles andere. Im Freundeskreis heißt es oft nur: Stell dich nicht so an, nimm das nicht so persönlich. Der Hashtag #MeTwo öffnet einen Weg, meine Erfahrungen mit anderen zu teilen."

Fatih Zingal, 39, Rechtsanwalt und Politiker aus Solingen

"Als Jurastudent musste ich ein Praktikum bei der Polizei absolvieren. In der ersten von fünf Wochen war ich mit zwei Beamten auf Streife, einem jungen Kommissar und einem älteren Kollegen. Ich saß auf dem Rücksitz, wir sprachen über die Probleme bei der Polizeiarbeit. Es mangele immer mehr an Respekt den Beamten gegenüber, meinte der Ältere. Dann kam die Diskussion auf Ausländer. Da sagte er: ,Du siehst auch nicht deutsch aus.' Ob ich denn Spanier sei? Nein. Türke. Dann folgte der Satz: ,Wir haben mit Nazis keine Probleme, aber mit Türken.' Das saß. Ich stand unter Schock, konnte nichts erwidern. Gemeint hatte er, dass Rechtsradikale anscheinend weniger gewaltbereit gegenüber Polizisten waren als Türken. Mit solchen Äußerungen habe ich aber immer das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Wie ich später erfuhr, galt er als Außenseiter, und seine Kollegen hatten auch einen liebevollen Spitznamen für ihn: Kotze. Beruhigend. Aber über meinen Schock half mir das nur bedingt hinweg."

Vanessa Vu, 26, Redakteurin bei "Zeit Online" in Berlin

"Sprüche über mein gutes Deutsch habe ich immer gehört, gerade auch von Menschen, die wissen, dass ich hier geboren und aufgewachsen bin, auch meine Deutschlehrerin wusste das. Wegen meines Aussehens gehen die Leute davon aus, dass ich nicht in der Lage dazu bin, die Sprache wie alle anderen zu lernen. Der Kommentar meiner Deutschlehrerin hat mich verletzt. Eigentlich hatten wir ein gutes Verhältnis, ich war eine der Klassenbesten im Leistungskurs Deutsch und habe eine Einser-Abiturprüfung geschrieben. Im Arbeitsleben ging es dann ähnlich weiter. Nach dem Kommentar dieses Kollegen war ich als Praktikantin völlig aufgelöst. Ich dachte: Warum ich? Natürlich muss man im Journalismus die deutsche Sprache besonders präzise einsetzen. Da machen alle Anfänger Fehler. Mir gegenüber erschien mir der Tonfall aber anders, belehrender. Ich hatte den Eindruck: Man geht härter mit mir ins Gericht. Mir wurde auch unterstellt, dass ich bei Themen wie Rassismus und Integration befangen sei. Dabei gehört es zum journalistischen Handwerkszeug, sich distanzieren zu können. Es war nie so, dass ich aufgegeben hätte, dazu bin ich zu störrisch. Das kann man aber nicht von allen Menschen mit Migrationshintergrund verlangen.

Hasnain Kazim, 43, "Spiegel"-Auslandskorrespondent in Wien

"Diese Geschichte rührt mich bis heute. Es war 1987, ich war in der siebten Klasse. In Stade, wo ich zur Schule gegangen bin, war es nichts Ungewöhnliches, eine Klassenfahrt nach Dänemark zu machen. Aber ich musste mich melden und sagen: Ich kann nicht mit, weil meine Familie damals nur geduldet war. Ich habe das unter #MeTwo geteilt, weil es nichts Positives ist, dass es überhaupt notwendig ist, dass eine Schulklasse sich so entscheiden muss. Oder dass mein Dorf sich später mit meiner Familie solidarisieren musste, um unsere Abschiebung zu verhindern. Solche Geschichten sind das Positive im Schlimmen. Sie zeigen, dass die Leute Empathie empfinden und nicht alles akzeptieren, was die Behörden entscheiden. Es hat mir Halt gegeben, dass Leute auf meiner Seite standen."

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