Neuhausen-Nymphenburg:Ein Stück Münchner Geschichte soll abgerissen werden

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Ein Investor will eine Villa in der Savoyenstraße durch ein Mehrfamilienhaus ersetzen. Doch die war einst Pilgerstätte für Kakteenfreunde.

Von Anna Hoben

Gestern Nacht zogen Hunderte von Münchner Kakteenliebhabern und Naturfreunde zum Kakteen-Kaiser nach Nymphenburg", berichtete die Süddeutsche Zeitung am 13. Juli 1950. "Der tropische Kletterkaktus aus den Urwäldern Haitis Die Königin der Nacht öffnete für wenige Stunden ihre zarte, silberweiße, etwa 40 Zentimeter große Blüte. Schon in den Morgenstunden war Die Königin der Nacht verblüht, und ein unscheinbarer, einfacher Kaktus blieb zurück."

Die Kakteenblüte war damals offenbar ein Event, dass Massen anzog. Knapp 70 Jahre später prangt der Schriftzug Kakteen-Kaiser noch immer an der Villa in der Savoyenstraße. Die Frage ist, wie lange noch. Ein Investor, die HWN GmbH & Co. KG, hat das Grundstück gekauft, will das Haus abreißen und neu bauen. Ein Bauantrag für ein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen und einer Tiefgarage sei im vergangenen Oktober eingereicht worden und werde zurzeit bearbeitet, bestätigt ein Sprecher des Planungsreferates. Im Dezember kam das Vorhaben im Bezirksausschuss zur Sprache. Interessierte Bürger fingen daraufhin an zu recherchieren - und reagierten alarmiert. Sollte eine so schöne und gut erhaltene Villa wirklich einfach verschwinden?

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Als "Minischlösschen im Bonsaiformat" bezeichnet der Kunsthistoriker Michael Borio das Wohn- und Geschäftshaus, das Heinrich Kaiser Mitte der 1920er-Jahre errichten ließ. In unmittelbarer Nähe zum wenige Jahre zuvor eröffneten Botanischen Garten erfüllte er sich damit einen Traum: Er züchtete Kakteen. Die seien zu der Zeit unglaublich beliebt gewesen und von ihren Liebhabern leidenschaftlich gesammelt worden, weiß Borio.

Man finde die Stachelpflanzen in vielen Gemälden von Künstlern der Neuen Sachlichkeit. Alexander Kanoldt etwa habe in München "kaum ein Stillleben ohne einen Kaktus oder Gummibaum" gemalt. Die Comedian Harmonists komponierten ihren größten Hit: "Mein kleiner grüner Kaktus". Und Heinrich Kaiser, der erfand in seiner Villa in Nymphenburg eine Dose mit Lüftung zur Samenzucht: die sogenannte Calumor-Dose. "Tragisch" findet es Borio, "dass dieses Idyll nun bedroht ist". Wieder solle ein Stück München verschwinden, "um Platz zu machen für eine gewinnorientierte Bebauung, ohne Rücksicht auf den Kunst- und Kulturverlust". Neuhausen-Nymphenburg würde damit um eine Geschichte ärmer werden.

Die Villa stelle ein Paradebeispiel für die Architektur zwischen den Kriegen dar, so Borio: "einfach, schlicht, unaufdringlich und trotzdem, oder besser gerade deshalb, elegant-nobel und modern". Alles sei bestens erhalten, die Fensterläden, die Kastenfenster, selbst Putzfassade und Anstrich seien makellos. Auf die Haupteingangstür seien Kakteen geschnitzt. Einst habe es um das Haus einen tropisch anmutenden Garten mit gläsernem Gewächshaus gegeben.

"Wir waren alle überrascht, dass so ein schönes Haus wegfallen soll", sagt Anna Hanusch, die Vorsitzende des Bezirksausschusses Neuhausen-Nymphenburg und selbst Architektin. Bei der Gebäudegröße brauche es keine Abrissgenehmigung; sobald die Baugenehmigung vorliegt, könnten Bagger anrollen. Im Unterausschuss Bau an diesem Mittwoch wolle man nun überlegen, wie man weiter vorgehen könne, um das Haus zu retten. "Ich bin aber nur verhalten optimistisch." Vielleicht könne die Tatsache, dass der Kakteen-Kaiser mit seiner Pflanzenforschung für die Stadtgeschichte von Bedeutung war, noch etwas bewirken.

Viele Möglichkeiten bleiben nicht, so scheint es. Denn unter Denkmalschutz steht die Villa nicht. Das Landesamt für Denkmalpflege hatte sich mit dieser Frage schon im Frühjahr 2018 auseinandergesetzt. Nach erneuter Prüfung und nach einer Besichtigung habe man festgestellt, dass das Haus kein Einzeldenkmal sei und "trotz der Gefährdungslage" auch keines werde. Diese Auskunft bekam Elke Wendrich, die im Denkmalnetz Bayern aktiv ist und sich an das Bürgerportal des Landesamtes gewandt hatte. Der Grund: Gebäudekubatur und Fassadengliederung seien "auf den ersten Blick zwar ansprechend, im Vergleich mit anderen Bauten dieser Zeit aber von eher durchschnittlicher architektonischer Qualität".

Der Architekt Josef Dürr sei hinter der Architekturentwicklung seiner Zeit geblieben. Als "besonders schwerwiegend" werde aber der Verlust des Pflanzenhauses gewertet, teilte die Behörde mit. Dies sei "umso bedauerlicher, als dass das Haus selber mit seinem Gewächshaus als Werbeträger genutzt wurde, was zeitgenössische Annoncen der Kakteenhandlung deutlich machen". Die Haustür mit ihren Kakteenblütenschnitzereien solle nun in das Bauteilarchiv des Landesamtes für Denkmalpflege in Thierhaupten gebracht werden. Für Elke Wendrich ist das nicht einmal ein schwacher Trost. Sie will die Villa nicht aufgeben und sucht weitere Mitstreiter für ihr Anliegen.

Heinrich Kaiser starb 1961, einen Tag vor seinem 86. Geburtstag. "Dass Kaiser sich um die Verbreitung der Kakteenliebhaberei in Deutschland sehr verdient gemacht hat, ist unbestreitbar", hieß es damals in einem Nachruf. München habe sich auch dank ihm zu einer Kakteen-Hochburg entwickelt, und Kaisers Name sei in den Jahren zwischen den Kriegen "allen Kakteenfreunden Deutschlands und darüber hinaus" geläufig gewesen. Man werde den "alten Kaiser" in München sicher immer in dankbarer Erinnerung behalten.

© SZ vom 15.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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