USA:Düstere politische Ödnis

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Joe Bidens Demokraten beweisen seit eineinhalb Jahren, dass sie in Teilen nicht regierungsfähig sind. Fünf Monate vor der Kongresswahl gibt es nur ein Problem: Die Alternative ist noch schauriger.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Wenn Joe Biden darauf gesetzt haben sollte, dass sich die Lage an der Preisfront rechtzeitig vor den Kongresswahlen im November entspannt, dann weiß er jetzt, dass er auch diesen Hoffnungswert vergessen kann: Die Inflationsrate sinkt nicht etwa, sie steigt sogar wieder. Manche Lebensmittel sind für Geringverdiener kaum noch bezahlbar, Benzin ist teurer als jemals zuvor in der Geschichte der USA - und Bidens Beliebtheitswerte haben einen Tiefpunkt erreicht, wie ihn nicht einmal der unselige Donald Trump zu diesem Zeitpunkt seiner Präsidentschaft verkraften musste. Es ist ein völliges Desaster.

Statt jedoch zusammenzurücken und zu überlegen, was noch zu retten ist, wirken die Demokraten und ihr Vorturner im Weißen Haus wie gelähmt. Zwar mangelt es nicht an großen Worten und eilig zurechtgezimmerten PR-Kampagnen. Im Kern jedoch unternimmt der Präsident kaum mehr, als mit dem Finger auf Putin, den Kongress und die Notenbank zu verweisen und wenig wirksame Erlasse zu unterzeichnen.

Zugleich setzen die Parteiflügel ihren internen Streit darüber fort, ob nun "Progressive" oder "Gemäßigte" daran schuld sind, dass sich nichts bewegt im Land. Was aber sollen die Menschen von einer Partei halten, deren Protagonisten sich gegenseitig als "korrupt", "selbstsüchtig" oder "linksextrem" beschimpfen, statt Kompromisse zu schmieden und Gesetze zu beschließen.

Wie wenig lernbereit viele Demokraten sind, zeigt die harsche Kritik an Joe Manchin, dem Rechtsausleger der Partei. Er hatte fast im Alleingang Bidens gigantisches Sozial-, Familien- und Energiewendeprogramm verhindert, weil er mit einzelnen Punkten nicht einverstanden war und zudem die Kosten von bis zu 3,5 Billionen Dollar für viel zu hoch und inflationstreibend hielt. Nun gibt es gute Gründe, dem Senator und Kohle-Lobbyisten alles Mögliche an den Hals zu wünschen. In Wahrheit aber muss Biden dem Sturkopf aus West Virginia sogar dankbar sein, denn hätte die Regierung tatsächlich allein dieses Jahr zusätzlich Hunderte Milliarden Dollar über dem Land ausgeschüttet, läge die Inflationsrate heute statt bei 8,6 wohl bei über zehn Prozent.

Zu beklagen ist ein oft führungsschwacher, viel zu passiver Präsident, der kaum eins seiner Wahlversprechen durchgesetzt hat

Nein, nicht Joe Manchin ist schuld am beklagenswerten Zustand seiner Partei, zumindest nicht allein. Schuld ist ein oft führungsschwacher, viel zu passiver Präsident, der den chaotischen Abzug der US-Armee aus Afghanistan zu verantworten und kaum eins seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Wahlversprechen durchgesetzt hat. Und schuld sind regierungsunfähige Mandatsträger von rechts wie links, die Partikularinteressen über das Allgemeinwohl stellen oder mit ihren gigantischen Wünsch-dir-was-Paketen lieber fünfmal vor die Wand laufen als das umzusetzen, was mehrheitsfähig ist.

Sollten die Demokraten im November eine Klatsche kassieren, müsste man also eigentlich mit den Achseln zucken und sagen: Selbst schuld, dann sollen es halt die anderen versuchen. Das Drama ist nur, dass sich "die anderen" noch mehr als die derzeit Regierenden von jeder konstruktiven Arbeit verabschiedet haben und stattdessen weiter mehrheitlich dem Sirenengesang eines eitlen, tumben Demokratieverächters lauschen, der sie mit Lügen und nationalistischen Schnulzen betört. Fünf Monaten vor der Wahl haben Bidens Demokraten und Trumps Republikaner den Menschen im Land nichts anderes zu bieten als düstere politische Ödnis.

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