Profil:Verpasste Chance

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Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet wird heftig kritisiert für ihr Schweigen beim Besuch in China. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet schweigt bei ihrem Besuch in China. Obwohl die Menschenrechtsverletzungen dort hinreichend dokumentiert sind.

Von Christoph Gurk

Als Michelle Bachelet vergangene Woche nach China aufbrach, gab es kaum offene Fragen. Das erste Mal seit fast zwei Jahrzehnten würde eine UN-Menschenrechtskommissarin in die Volksrepublik reisen, mit Stationen unter anderem in der nordwestchinesischen Region Xinjiang. Dort sind Hunderttausende muslimische Uiguren und Angehörige anderer Minderheiten in Lagern interniert, all das ist seit Jahren bekannt und umfassend belegt. Dass es Menschenrechtsverletzungen in China gibt, ist daher unstrittig. Die eigentliche Frage ist, weshalb Michelle Bachelet, die UN-Menschenrechtskommissarin, diese nicht explizit kritisiert hat - weiß sie doch aus eigener Erfahrung, was es heißt, in einem Land zu leben, in dem Menschen willkürlich verhaftet, gefoltert und ermordet werden.

70 Jahre alt ist Michelle Bachelet, und ihr Leben hat sie als Inhaftierte in Foltergefängnisse geführt ebenso wie in die Höhen der internationalen Politik.

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Seit 2018 ist Bachelet die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, davor wurde sie in ihrer Heimat Chile zweimal zur Präsidentin gewählt, als erste Frau überhaupt in diesem Amt. Sie war Gesundheits- und Verteidigungsministerin, auch das ein Meilenstein, stand sie doch Generälen vor, die teils schon in der blutigen Militärdiktatur von Augusto Pinochet gedient hatten. Mehrere Tausend Menschen fielen dieser zum Opfer, darunter Bachelets eigener Vater.

Michelle Bachelet stammt aus einer liberal-progressiven Familie. Die Mutter war Archäologin, der Vater General der Luftwaffe. Als Teile des chilenischen Militärs im September 1973 gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende putschten, stellte sich Bachelets Vater gegen die Junta. Er wurde festgenommen und gefoltert, ein Jahr später starb er in Haft an einem Herzinfarkt.

Michelle Bachelet ging von da an weitestgehend in den Untergrund. 1975 wurden sie und ihre Mutter von der Geheimpolizei verhaftet, inhaftiert, verhört und gefoltert. Dank alter Kontakte bekamen sie eine Ausreiseerlaubnis, Bachelet floh, erst nach Australien, dann in die DDR, wo sie an der Humboldt-Universität weiter Medizin studierte. Bachelet verliebte sich in einen ebenfalls im Exil lebenden Chilenen. Die beiden bekamen einen Sohn. Trotz aller Gefahren ging die Familie 1979 zurück in das noch immer von Pinochet beherrschte Chile.

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Weil Bachelet nicht frei als Ärztin arbeiten durfte, begann sie, sich bei verschiedenen Organisationen zu engagieren. Nach der Rückkehr des Landes zur Demokratie Ende der 80er-Jahre arbeitete sie im Gesundheitsministerium, dessen Führung sie im Jahr 2000 übernahm. Zwei Jahre später wurde sie Verteidigungsministerin, dann von ihrer Sozialistischen Partei 2005 als Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen nominiert, die sie 2006 gewann.

Michelle Bachelets Amtsantritt fiel in eine Zeit, in der die weltweiten Rohstoffpreise in immer neue Höhen kletterten. Linken Präsidenten in Lateinamerika bescherte das sprudelnde Einnahmen und enorme Beliebtheit. Bereits nach ihrer ersten Präsidentschaft begann Bachelet, bei den Vereinten Nationen zu arbeiten, 2018, nach dem Ende ihrer zweiten Amtsperiode, wurde sie zur UN-Menschenrechtskommissarin ernannt.

Ihre eigene Geschichte trug dabei lange zu ihrer Glaubwürdigkeit im Amt bei. Bachelet fand auch harte Worte, so im Falle Venezuelas, wo sie 2019 systematische Folter und außergerichtliche Hinrichtungen anprangerte.

Umso unverständlicher ist für viele, dass Bachelet in China kaum öffentliche Kritik geübt hat. Eine Erklärung mag sein, dass ihr Besuch von Anfang an nicht als "Untersuchung" geplant war, sondern als Möglichkeit zum Dialog. Dass China diesen weitestgehend bestimmen konnte, stößt bei vielen auf Unverständnis. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sagte, Bachelet sei "entweder unfähig oder nicht willens, die zweitmächtigste Regierung der Welt zur Verantwortung zu ziehen". Ihr Besuch in China sei eine verpasste Chance.

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