Klimawandel:Erntedank? Fällt 2022 aus

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Naturschönheit: Der Ammersee in Bayern - ihm entspricht die Fläche, die jährlich im Freistaat versiegelt und zugebaut wird. (Foto: imago stock/imago stock&people)

Die Natur darbt, das Getreide mickert und die Flüsse vertrocknen. Es braucht eine Rückbesinnung auf den Wert des Wassers. Es ist noch viel wichtiger als Gas.

Von Heribert Prantl

Das Herbstgedicht von Rainer Maria Rilke beginnt, fast wie ein Gebet, mit der Zeile "Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß." Rilke hat das im Jahr 1902 geschrieben. Im Jahr 2022 muss man es umschreiben: "Der Sommer war sehr dürr." Die Trockenheit, die seit 2018 währt, erreichte 2022 einen Höhepunkt. Dieser Sommer war elendig trocken; weniger Wasser als in diesem Jahr war selten. Wir erleben, so sagen die Wissenschaftler, die größte Dürre in Europa seit 250 Jahren. Rhein und Donau, die großen Ströme, sind schmächtig geworden, viele Flüsse Rinnsale.

Der Trockenstress macht die Bäume anfällig für den Borkenkäfer und den Baumpilz. Der Fichte geht es miserabel, der Buche elend; nur ein Fünftel der Bäume im Wald hat noch eine gesunde Krone. Von oben betrachtet sind viele Wälder nicht mehr grün, sondern schon im Sommer rotbraun. Und die Ähren auf den Feldern? Sie haben viel Hülle und wenig Kern. Der Mais verdörrt am Halm, der Hopfen mickert. Die Preise für die Feldfrüchte werden stark steigen. Auf vielen Feldern sind die Kartoffeln so klein, dass sie bei der Ernte durch die Siebkette fallen. Erntedank? Das Fest fällt in diesem Jahr aus.

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Die Böden sind so hart geworden, dass sie das Wasser, wenn es denn einmal regnet, kaum noch aufnehmen können; das führt dann zu Überflutungen. Der innere Frieden der Natur ist, man sieht und spürt es, schwer gestört. Vor bald vierzig Jahren gab die Post eine Sonderbriefmarke heraus, auf der "Rettet den Wald" stand. Auf der Briefmarke war eine Uhr zu sehen, die vier vor zwölf zeigte. Dahinter sah man ein erbarmungswürdiges Gehölz; ein paar Nadelbäume, dazwischen dürre Baumskelette: das Waldsterben!

Bäume sind eine Bremse gegen die Erderwärmung

Es war damals eines der drängendsten Umweltthemen. Die Politik reagierte mit drastischen Gesetzen zur Reinhaltung der Luft und gegen den sauren Regen. 2003 konnte die Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast das Ende des Waldsterbens verkünden. Es hat von Neuem begonnen; diesmal nicht wegen des sauren, sondern wegen des ausbleibenden Regens.

Bäume sind eine Bremse gegen die Erderwärmung; sie binden CO₂ und verringern den Treibhauseffekt. Die Bremse funktioniert aber nicht mehr gut. Wir erleben ein Waldsterben 2.0. Man kann die alten Sondermarken neu auflegen und viele neue drucken, mit vielen neuen Motiven: Rettet die Wälder! Rettet das Wasser! Wasser ist Leben - auch im Wald! Rettet das Wild! Rettet die Flüsse! ! Rettet das Klima!

Wasser ist die wichtigste Essenz der Welt. Aber: "Die Erfindung des Wasserhahns und der Mineralwasserflasche hat uns vergessen lassen, dass das Wasser, bevor es aus dem Hahn fließt oder in Flaschen verkauft wird, ein Geschenk der Natur ist": So sagt es die indische Umweltschützerin Vandana Shiva. Der Umgang vieler Menschen und Gesellschaften mit diesem Geschenk verdient die Bezeichnung "grober Undank". So kann man es auch nennen, wenn in den Ländern der reichen Welt Millionen Liter besten Trinkwassers dafür genutzt werden, die Fäkalien in den Toiletten wegzuspülen. Für zwei Drittel des im Haushalt verbrauchten Wassers könnte Regenwasser eingesetzt werden.

Die Natur widerruft ihre Schenkung

Grober Undank: So bezeichnen es die Juristen, wenn der Beschenkte, in diesem Fall sind es die Menschen, sich einer schweren Verfehlung gegenüber dem Schenkenden, also der Natur, schuldig gemacht hat. Nach den rechtlichen Regeln kann der Schenker dann die Schenkung widerrufen. Die Natur als die Schenkerin ist dabei, dies zu tun; an und in der Oder hat man das soeben erst beobachten können.

Ein Widerrufsrecht des Schenkers besteht zumal dann, wenn der Beschenkte den Schenker misshandelt. Die Misshandlungen der Natur liegen nicht nur in der Vergangenheit; sie liegen in der Gegenwart. Die Vergiftung der Umwelt ist nach wie vor nicht gestoppt, die Erderwärmung auch nicht; die höheren Temperaturen unten am Boden führen dazu, dass noch mehr Wasser verdunstet. Und die Versiegelung des Landes schreitet voran. Allein in Bayern verschwindet jedes Jahr eine Fläche von der Größe des Ammersees unter Beton. Wiesen und Ackerland werden von immer mehr Gewerbegebieten und Neubausiedlungen aufgefressen - in Bayern zehn Hektar täglich. Das Gesetz schreibt eigentlich vor, dass Ausgleichsflächen angelegt werden müssen, Streuobstwiesen zum Beispiel. Dieses Gesetz wird kaum beachtet; und es gibt ja auch bald keine Ausgleichsflächen mehr. Der Flächenfraß muss aufhören.

Es ist gut, wenn in den Städten Regenwasser gesammelt wird, wenn in Wohngebieten Teiche angelegt werden, wenn Sickermulden das Grundwasser der Städte speisen. "Schwammstadt-Projekte" nennen das die Experten. Der Grundwasserspiegel soll nicht noch weiter sinken. Es ist auch gut, wenn auf dem Land trockengelegte Moore wieder vernässt und wenn die Bäche und Flüsse renaturiert werden. Es ist gut, wenn das Brauchwasser aus den Wohnungen aufbereitet und wiederverwertet wird. Es ist gut, wenn es eine Rückbesinnung auf den Wert des Wassers gibt. Wasser ist Leben.

"Bist du des Lebens nicht mehr froh, stürze dich in H₂O."

Ich bin in einem Städtchen in der Oberpfalz aufgewachsen, an einem schönen Fluss, der Regen heißt. Am Rand des Städtchens, am Hochufer des Flusses, stand mein Gymnasium. Der Chemielehrer dort hatte an besonders heißen Tagen den Spruch auf Lager: "Bist du des Lebens nicht mehr froh, stürze dich in H₂O". Der Zustand des Wassers und der Umgang damit machen einen nicht froh. Es ist Zeit für ein SOS.

Deutschland hat in den vergangenen Monaten viel über den Gasmangel geklagt und wie wild nach Alternativen zum Gas gesucht. Das war und ist gewiss notwendig. Aber: Gas ist eine ersetzbare Ressource; Wasser nicht. Wenn das Wasser fehlt, hat das viel größere Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem als dann, wenn Gas fehlt. Wasser ist der absolut elementarste Rohstoff. Es zu sichern und zu schützen verlangt elementarste Anstrengungen. Es ist Zeit. Der Sommer war sehr dürr.

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