Kollektive Verantwortung:Wer trägt die Schuld?

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Die EU hat entschieden, russischen Staatsbürgern die Einreise zu erschweren. Wird hier ein ganzes Volk für den Krieg seines Herrschers zu Unrecht in Haftung genommen? Über besonders deutsche Verantwortungsfragen.

Kolumne von Norbert Frei

Viele waren fassungslos, viele schämten sich, aber viele blockten auch gleich ab, als man ihnen die Verbrechen vor Augen führte: Davon haben wir nichts gewusst, das ist nicht unsere Schuld! Konfrontiert mit den Aufnahmen von Verfolgten und Geschundenen, von ausgemergelten Häftlingen und von Leichenbergen in den Lagern, flüchtete sich ein Großteil der Deutschen nach der historischen Schrecksekunde des Frühjahrs 1945 in eine Logik der Schuldumkehr. Die trickreiche Doppelformel dafür war flugs gefunden: Zum einen stilisierte man sich zu Hitlers eigentlichen Opfern, zum anderen erfand man die sogenannte Kollektivschuldthese. Demnach hatten die Besatzer den Besetzten bei Kriegsende vorgeworfen, die Verbrechen der NS-Zeit kollektiv gewollt und unterstützt zu haben - und sich damit, wie es nun hieß, der "barbarischen" Unterstellung einer Kollektivschuld bedient. (Um keine Missverständnisse zu produzieren: Ja, es gab in den zerstörten deutschen Städten alliierte Plakate mit KZ-Fotos und der Aufschrift: "Diese Schandtaten: Eure Schuld!" Und nein, es gab kein offizielles Besatzungsdokument, das eine Kollektivschuld konstatierte.)

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