Parlamentswahlen in Italien:Kandidatin der Furcht

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Giorgia Meloni redet sich öffentlich gerne in Rage - und macht sich damit sogar bei Nationalisten unbeliebt. (Foto: Alessandro Bremec/Imago/NurPhoto)

Die Postfaschistin Giorgia Meloni will Ministerpräsident Mario Draghi nachfolgen. Das löst selbst bei Nationalisten Unbehagen aus.

Von Oliver Meiler, Rom

Giorgia Meloni hat einen ausgeprägten Hang zur Selbstentblößung, zumal für eine aufstrebende Politikerin. Neulich sagte die Chefin der italienischen Postfaschisten zur Zeitschrift Sette, ihr Problem sei das Serotonin, das Hormon. "Ich habe viel zu wenig davon, und darum bin ich nie gelassen." Es komme ihr immer so vor, als sei sie nicht auf der Höhe der Situation. "Wie bei der Abiturprüfung fühle ich mich - ständig." Bei anderer Gelegenheit sagte sie, sie sei voller Ängste. Und zwinge sich dazu, ihre Ängste zu überwinden.

Ängstlich? So kommt sie selten rüber. Wenn sich Giorgia Meloni öffentlich in Rage redet, was recht oft passiert, im Parlament und an Wahlveranstaltungen, dann verzerrt sich ihr Gesicht, die tiefe Stimme übersteuert, und in einer reißenden Kaskade brechen Schimpftiraden aus ihr heraus: gegen die "Bürokraten aus Brüssel", gegen die "Masseninvasion von Migranten" natürlich, gegen die "Lobby der LGBT", gegen die "Islamisierung unserer christlichen Identität". "Okay, ich habe meinen Stil und meine Art", sagt sie. "Aber wer kann ernsthaft denken, dass ich eine Gefahr für die Demokratie bin?"

Meloni wäre die erste Ministerpräsidentin Italiens. Aber ausgerechnet sie?

Nun, die Sorge ist berechtigt, vielleicht ist sie sogar drängend. Glaubt man den Umfragen, schicken sich Giorgia Melonis Fratelli d'Italia und die gesamte Rechte an, die Parlamentswahlen am 25. September zu gewinnen. Sie persönlich zeigt Ambitionen, Ministerpräsidentin zu werden. Es wäre eine Premiere in der Geschichte Italiens: Nie zuvor schaffte es eine Frau an die Spitze der Regierung. Aber ausgerechnet "la Meloni"?, fragen auch rechte Intellektuelle. Mit ihrem Frausein hat das aber herzlich wenig zu tun, obschon ihre Partei das behauptet.

Meloni würde selbst auch nicht mit dem Geschlecht argumentieren, sie war nie Feministin. "Ich bin doch kein Panda", sagt sie über die Quotenregelung, als funktionierten Förderprogramme für Frauen wie Tierschutz. Das Problem sind ihre Ideen, ihre Sehnsucht nach einem Präsidialsystem, die Nähe zu Viktor Orbán und zur neofranquistischen Partei Vox in Spanien. Schwarze Schatten umwehen ihre Partei, immer noch, es sind die Schatten des Faschismus.

Meloni wuchs in Garbatella auf, einem linken Arbeiterviertel Roms. Mit 15 schloss sie sich dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano an, offenbar, weil sie es so ihrem kommunistischen Vater heimzahlen wollte, wie sie es in ihrer Autobiografie "Io sono Giorgia" andeutet. Der hatte die Familie verlassen, als sie noch klein war. Bald war sie Chefin der radikalen Jugendabteilung. Mit 29, als die Partei schon Alleanza Nazionale hieß, wurde sie Abgeordnete. Mit 31 machte Silvio Berlusconi sie zur Ministerin für die Jugend. Sie steht also schon eine Weile auf der Bühne. Dass sie mit 45 ganz vorne stehen würde, auf dem Sprung in die Geschichtsbücher, hätte aber wohl niemand für möglich gehalten.

Bei den Parlamentswahlen 2018 gewann Meloni etwas mehr als vier Prozent, eine Minikraft. Ihren schnellen Aufstieg verdankt sie einer taktischen Entscheidung: Ihre Brüder Italiens waren die einzige Partei, die in dieser Legislaturperiode nie an der Macht war. Für viele Italiener ist das ein Beleg für Kohärenz. Meloni schlägt aus allem Unmut Kapital: In den jüngsten Umfragen steht sie bei 25 Prozent.

Den größten Anteil davon hat sie Matteo Salvini weggenommen, ihrem Rivalen von der Lega. Der ist es dann auch, der sie als Premier verhindern will. Zusammen mit Berlusconi. Beide finden, Meloni sei ungeeignet für den Job, sie setze den Sieg der Rechten aufs Spiel, weil man sie im Ausland fürchte - in Brüssel vor allem. "Fuoco amico", sagen die Italiener, Eigenbeschuss. Meloni klagt aber lieber über das "Establishment", die "ausländische Presse", den "ganzen Schlamm gegen uns". Die Opferrolle, sie funktionierte schon immer gut in Italien. Auch wenn es denkbar grotesk ist, dass die Faschisten die Opfer geben.

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