Indien:Die andere Seite

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Aus indischer Sicht stellt dieser Mann keine Bedrohung dar: Premier Narendra Modi mit Wladimir Putin. (Foto: Manish Swarup/AP)

Die größte Demokratie der Welt steht wegen ihrer Russland-Geschäfte in der Kritik. Aber so eindeutig, wie es erscheint, ist die Schuld nicht verteilt.

Kommentar von David Pfeifer

Perspektivwechsel lohnen sich - vor allem, wenn man aus Europa die Welt zum Besseren belehren möchte. Beispielsweise sind von Delhi aus betrachtet nicht die Russen die drängendste Bedrohung für den Weltfrieden, sondern die Chinesen.

In Indien ist man stolz darauf, die größte Demokratie der Welt zu sein. Gerne weisen europäische Journalisten darauf hin, dass diese Demokratie leider ordentlich zerbeult wurde von der hindunationalistischen Politik der aktuellen Regierung unter Narendra Modi. Tatsächlich hat seine Bharatiya-Janata-Partei für Stimmengewinn eine Spaltung des Landes verschuldet, welche die Gründerväter Gandhi und Nehru traurig gestimmt hätte.

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Trotzdem bleibt Indien eine Demokratie, was in diesen Zeiten leider auch eine illiberale Herrschaft der Gewählten bedeuten kann. Diese populistische Auslegung der Macht des Volkes, die häufig mit Fremdenfeindlichkeit und dem Verächtlichmachen von Minderheiten einhergeht, hat sich nicht nur in Indien durchgesetzt. Die findet man ebenso in der EU, etwa in Ungarn, Polen, (zeitweise) Österreich, und der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien.

Fragen, die man wenigstens stellen darf

Wenn man also den indischen Außenminister Jaishankar auf die anhaltenden Geschäfte seines Landes mit Putins Russland oder auf die Hetze gegen Muslime anspricht, kann es sein, dass er grimmig darauf hinweist, dass man ihm diese Fragen wenigstens stellen dürfe. Wohingegen man der chinesischen Führung mit so etwas gar nicht zu kommen brauche. Dafür aber liefen die Geschäfte diverser EU-Staaten mit China ganz hervorragend, trotz Uiguren in Umerziehungslagern, Totalüberwachung und zunehmender Aggression Pekings gegenüber den asiatischen Nachbarn.

Mit dem Geld, das China auch dank guter Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland verdient hat, bedroht es nicht nur Taiwan, brüskiert die Philippinen im Südchinesischen Meer und unterstützt Pakistan, den indischen Erzfeind. Peking hat auch einen brandgefährlichen Grenzstreit mit Indien im Himalaja-Gebirge losgetreten, der seit zwei Jahren weitgehend unbemerkt, auf jeden Fall aber unangesprochen von EU-Politikern schwelt. Ist ja auch weit weg.

Der einzige Verbündete Indiens in diesen geopolitischen Machtfragen, die den gesamten asiatischen Raum und damit mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung betreffen, waren bislang die USA. Umso wichtiger sind die "2 + 2"-Gespräche der Außen- und Verteidigungsminister der beiden Mächte. Und so lässt sich auch die Bemerkung von Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar deuten, den es irritiert haben muss, mit welchem Rigorismus die indischen Treibstoff-Einkäufe in Russland kommentiert worden sind. "Wenn Sie sich mit Energiekäufen aus Russland befassen, würde ich vorschlagen, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Europa richten", sagte Jaishankar: "Wenn ich mir die Zahlen ansehe, vermute ich, dass unsere Gesamtbezüge für den Monat wahrscheinlich geringer sind als das, was Europa an einem Nachmittag einkauft."

US-Außenminister Blinken wiederum sprach die Lage der Menschenrechte in Indien an, vor allem im Hinblick auf die muslimische Minderheit. Eine engere Zusammenarbeit, auch in Sicherheits- und Rüstungsfragen, wurde trotzdem vereinbart. Und um die Sicherheit der Grenzen und der Energieversorgung geht es den Indern ebenso wie den Europäern. Und dass der Handel nicht allein eine Frage von Moral ist, sondern eine von Nachfrage und Angebot, sollte auch den Deutschen in den vergangenen Wochen klar geworden sein.

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