Als die frisch gekürte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sich am späten Montagabend nach ihrem "Tagesthemen"-Auftritt höflich von Caren Miosga verabschiedete, hatte sie eine beeindruckende Fernsehtour hinter sich. Nach 45 Minuten Interview beim Privatsender Pro Sieben wurde sie im "Heute-Journal" von Claus Kleber befragt, der letzte Medientermin am Tag ihrer Kandidatenkür fand dann in der späten Nachrichtensendung der ARD statt. Dreimal Baerbock innerhalb von drei Stunden. Es war ein Abend, der viele aufschlussreiche Einblicke gewährte - aber weniger ins Wahlprogramm der Grünen als in den politisch-medialen Betrieb.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik tritt eine vergleichsweise sehr junge Frau an, um Kanzlerin zu werden, und dass sie Chancen auf dieses Amt hat, bestreiten vermutlich nicht einmal die politischen Gegner. Es war deshalb fast schon ein bisschen drollig, am Montagabend im deutschen Fernsehen zu beobachten, wie schwer der Umgang mit einer Figur wie Baerbock offenbar fällt: Während die beiden Interviewer bei Pro Sieben zärtlich mit der Grünen-Kandidatin scherzten und am Ende tatsächlich applaudierten, attestierte ihr Claus Kleber beinahe väterlich, "wie ein alter Profi" zu agieren, was lustig ist, denn Annalena Baerbock sitzt immerhin seit acht Jahren im Bundestag und ist seit drei Jahren Parteivorsitzende.
Wie viele Kinder hat Armin Laschet gleich wieder?
So richtig hart nachfragen mochte er danach aber trotzdem nicht mehr, obwohl es durchaus Anlass gegeben hätte, das tat dann Caren Miosga umso vehementer, um sich auch ja keinem Kuschelvorwurf aussetzen zu müssen, und ließ ihre Interviewpartnerin kaum einen Satz zu Ende sprechen. Aber mal ehrlich: Hätte man das als Zuschauer auch als unhöflich empfunden, wenn da "ein alter Profi" interviewt worden wäre? In den öffentlich-rechtlichen TV-Beiträgen sah man die Kanzlerkandidatin beim Trampolinturnen, und natürlich fehlte nirgends der Hinweis auf ihre zwei Kinder (wie viele Kinder hat noch einmal Armin Laschet?).
Nein, es ist nicht schlimm, wenn bei einer Frau über ihre Kinder gesprochen wird, sie selbst tritt ja mit der Maßgabe an, aus der Mitte der Gesellschaft zu kommen. Dass sie ein Leben neben der Politik hat, gehört zu ihren Verkaufsargumenten. Genauso unstrittig ist aber, dass an eine Frau Fragen gestellt werden, die einem Mann nie gestellt würden (wer kümmert sich eigentlich um die Kinder von Markus Söder?). Es ist ja kein Zufall, dass ihre Fürsprecher stets ihre detailtiefe Sachkenntnis betonen. Botschaft: Sie ist nicht nur gut in soft power. Wie sehr ihr Alter, ihr Geschlecht, ihr Auftreten, ihre Unerfahrenheit in einem Regierungsamt die Bewertungsparameter verschieben in einem Land, in dem Charisma in der Politik immer auch als irgendwie verdächtig gilt, ist zumindest bemerkenswert.
Und jetzt? Wäre es gut, wenn alle möglichst schnell über den ersten Schreck oder die erste Begeisterung hinwegkämen und man sich mit den politischen Inhalten der Grünen und ihrer Kanzlerkandidatin auseinandersetzt. Mit all den "Angeboten", von denen Baerbock gestern in drei Sendern gesprochen hat und die sie den deutschen Wählern nun machen möchte. Und all den konkreten inhaltlichen Fragen, die sich im Anschluss an Baerbocks Angebote automatisch stellen - und die an Tag eins ihrer Kandidatur im Fernsehen aber kaum gestellt wurden.