Außenpolitik:Altes Denken, neues Denken

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Nach dem Weckruf: Außenministerin Annalena Baerbock spricht am Freitag, 18. März, über neue Wege deutscher Sicherheitspolitik. (Foto: Pool/Getty Images)

Annalena Baerbocks Rede über neue Sicherheitsstrategien zeigt, wie schnell sich die Welt verändert hat - und dass die Zeit deutscher Behäbigkeit vorüber ist.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, hat angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine die beeindruckend ehrliche und politisch verheerende Diagnose gestellt, die Bundeswehr stehe "mehr oder weniger blank da". Gemünzt war das auf die Ausrüstung der kaputtgesparten Armee. Diese Mängel will die neue Bundesregierung nun mit 100 Milliarden Euro beheben. Endlich, kann man nur sagen. Es hat leider Putins Krieges bedurft, um aufzuwachen, obwohl es an Weckrufen nicht gefehlt hatte: die Krim, Syrien, ein US-Präsident, der die Nato für obsolet hielt ...

Was die Regierung sich aber auch mit dieser schwindelerregenden Summe nicht kaufen kann, ist eine tragfähige Sicherheitsstrategie. Eine Inventur der offiziellen sicherheitspolitischen Konzepte in Deutschland fällt nicht weniger vernichtend aus: Auch hier ist die Bundesrepublik blank. Im Wahlkampf, in den Koalitionsverhandlungen hatte Außen- und Sicherheitspolitik eine Nischenrolle gespielt, so wie zuvor jahrelang in der öffentlichen Debatte. Die Idee eines nationalen Sicherheitsrates wurde aus ideologischen und machtpolitischen Gründen verworfen.

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Wehrhaftigkeit sei ein Wort, das viele lange nicht in den Mund genommen hätten, gestand Außenministerin Annalena Baerbock freimütig ein in ihrer Grundsatzrede zum Vorhaben der Regierung, dem Land eine Sicherheitsstrategie zu verpassen, immerhin vereinbart vor Putins Einmarsch. Dass die Federführung dafür im Auswärtigen Amt liegt und nicht bei Bundeskanzler Olaf Scholz, dokumentiert noch die Prioritäten der Koalition vor der Zeitenwende. Von Schaden muss das nicht zwangsläufig sein, betrachtet man Baerbocks Aufriss für die Strategie.

Wo wird es zur nächsten "Zeitenwende" kommen - in der Straße von Taiwan?

Sie setzt nämlich darin die richtigen Punkte: Deutschland muss sein Verhältnis zu Russland grundlegend überdenken - es wird, solange Wladimir Putin an der Macht ist, von Gegnerschaft geprägt sein. Was China angeht, sollte die Bundesrepublik Lehren aus dem Ukrainekrieg ziehen, bevor die nächste Zeitenwende hereinbricht im Südchinesischen Meer oder in der Straße von Taiwan. Deutschland muss sich ehrlich machen und seine Interessen definieren. Das bedeutet auch: Landes- und Bündnisverteidigung sollten zusammengedacht werden mit Krisenmanagement in anderen Teilen der Welt. Die Bewältigung des Klimawandels wird dabei eine der größten Herausforderungen. Cyberbedrohungen zwingen dazu, die hergebrachten Trennlinien zwischen innerer und äußerer Sicherheit zu überdenken.

Deutschland muss in Europa seiner Verantwortung gerecht werden und die von denkfauler Selbstzufriedenheit und Ignoranz genährten Abwehrreflexe ablegen. Etwas freundlicher als Wunsch nach einer "Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik" formuliert hat das der damalige Bundespräsident Joachim Gauck schon 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz, noch bevor Putin das erste Mal die Ukraine überfiel, auf der Krim. Viel Zeit bleibt der Bundesregierung nicht, um diese Nachholarbeit zu leisten. Die EU und die Nato entwerfen bis zum Sommer jeweils ihre eigene Sicherheitsdoktrin. Deutschland sollte sich einbringen als Anker der transatlantischen Allianz, als Partner der osteuropäischen Staaten, als konstruktiv führende und vermittelnde Kraft in der EU. Der Wert sicherheitspolitischer Strategien aber erweist sich erst in ihrer konsequenten Umsetzung - auch das bisher keine Stärke deutscher Politik.

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