"Tatort" aus Köln:Die Ballade vom traurigen Hund

Lesezeit: 2 min

Ermittler und Mitleidsonkel: Freddy Schenk (Dietmar Bär, Mitte), Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Norbert Jütte (Roland Riebeling, l.). (Foto: Thomas Kost/WDR/Bavaria Fiction)

Ein armer Tropf will reich werden - macht ihn das zum Opfer? Im Kölner "Tatort" sind sie inzwischen vielleicht einer großen gesellschaftlichen Erzählung auf der Spur.

Von Claudia Tieschky

Dieser Tatort aus Köln heißt "Pyramide" - eine Alternative wäre "Tu's nicht!". Das möchte man diesem Kerl ständig zurufen, der da zur Hölle fährt. André Stamm (Rouven Israel) heißt er, und er lässt sich mit Kinderkulleraugen als Verkäufer von einer Firma anwerben, die windige Investments unter die Leute bringt. Hier wird er reich, glaubt er. André Stamm hat Schulden, eine schwangere Ehefrau und möchte mit ihr "einfach mal leben". Deshalb lässt er sich mit schiefem Lächeln vom Boss und Unterboss der Firma als angeblich geborenes Verkaufsgenie feiern, deshalb fragt er nicht wirklich nach dem Risiko der Investments. Und deshalb labert er bei der Akquise am Telefon genau den Blödsinn, den man ihm selber in der Firma versprochen hat: "Sie haben doch sicher eine Frau. In einem halben Jahr leben Sie in einem exklusiven Penthouse und bringen sie mit einem Cabrio jeden Morgen zum Yoga." Überraschung: Es reicht dann nur zum traurigen statt zum herabschauenden Hund.

Bitte gut mitzählen - hier wird die Story durchnummeriert!

Es geht um Verführung der Verführbaren, der fiese "Concreta"-Chef Komann füttert Stamm mit Sushi, Instagram mit Botschaften vom Willen zum Erfolg und seine Verkaufsbubis mit Einpeitscher-Sprüchen, dass sie niemand aufhalten kann und so was. "Pyramide" von Regisseurin Charlotte Rolfes und den Autoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf zeigt eine Sonntagabendversion jenes Milieus, das von Produktionen wie Bad Banks oder King of Stonks schon mit viel mehr erzählerischem Raum und viel mehr Geld bespielt wurde, und natürlich sieht man den Unterschied ein bisschen. Die dumme Gläubigkeit von André Stamm schlägt dann irgendwann in Wut um, deshalb sitzt er am Anfang des Films in einem Verhörraum und verlangt, dass man ihm endlich zuhört. Die Idee, das in nummerierte Kapitel mit Unheil verkündenden Überschriften zu untergliedern, ist im Prinzip okay, aber sie verwirrt immer dann ordentlich, wenn es spannend war und man nicht richtig mitgezählt hat. Wo zum Teufel sind Block und Bleistift, wenn man sie beim Fernsehen braucht?

André Stamm (Rouven Israel) muss Investments verkaufen, um Provision zu bekommen, aber es klappt nicht so richtig. (Foto: Thomas Kost/WDR/Bavaria Fiction)

Wie schon der Kölner Vorweihnachts-Fall "Des anderen Last" ist "Pyramide" ein Lehrstück, Schenk (Dietmar Bär) und Ballauf (Klaus J. Behrendt) sind die Mitleidsonkel in einem modernen Sozialdrama. Das kann man machen, vielleicht sind sie da sogar einer großen gesellschaftlichen Erzählung auf der Spur in Köln. Als Zuschauer fragt man sich nur, ob Stamm wirklich Opfer ist, wenn er für seine Provision die Ersparnisse der Verwandtschaft verbrennt und auch sonst nicht kleinlich ist bei allem, was er dann noch so anrichtet. Oder geht es um Größeres? To-do auf den Block: darüber mal nachdenken, wenn man demnächst den Mann zum Yoga bringt.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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