"Polizeiruf 110" aus Rostock:Vergangenheit, die nie vergeht

Lesezeit: 2 min

Ein Cold Case nimmt im neuen "Polizeiruf 110" neue Fahrt auf: Ermittlerin Melly Böwe (Lina Beckmann, rechts) mit der Mutter einer lange Totgeglaubten (Judith Engel, links). (Foto: Christine Schroeder/dpa/NDR/ARD)

"Nur Gespenster" ist Kriminalfall, Familientragödie, Rachedrama. Viel Stoff für die unübertroffen raue Ermittlerin Katrin König.

Von Holger Gertz

Ein Arzt ist gefoltert und ermordet worden, als Beifang finden sich am Tatort Haare der seit 15 Jahren vermissten Jessica Sonntag. Ein Cold Case bekommt hier offenbar eine neue Wendung: Der Familie könnte eine unerwartete Wiederbegegnung mit der tot geglaubten jungen Frau bevorstehen, diese Perspektive ruft bei allen - vordergründig - unterschiedliche Reaktionen hervor. Die Mutter sieht ihre tiefste Sehnsucht erfüllt, sie hat immer daran geglaubt, dass die Tochter noch lebt. Der Vater hatte sich längst in der Vorstellung eingerichtet, dass es wenigstens "schnell ging, dass sie nicht lange leiden musste" - er fürchtet, dass das Hoffen und Enttäuschtwerden jetzt neu anfängt. Der Bruder lässt sich, in umständlichen Telefongesprächen mit der Mama, auf den neuesten Stand bringen. Aber die stille Euphorie der Mutter, die Irritation des Vaters, die Ratlosigkeit des Bruders sind keine dauerhaften und belastbaren Emotionen, im Lauf des Falls sortiert sich in dieser Familienaufstellung alles neu.

Katrin König rät, nicht so viel zu kiffen, "das macht 'n bisschen blöde im Kopp"

Der Rostocker Polizeiruf "Nur Gespenster" entwickelt sich zur Familientragödie, zum Rachedrama sogar, wie in alter Tatort-Zeit die berühmte Episode "Drei Schlingen". Mit den Gespenstern der Vergangenheit bekommt es die Familie Sonntag zu tun, allerdings auch Ermittlerin Katrin König (Anneke Kim Sarnau), der jemand einen kleinen Plastikindianer in den Briefkasten legt, als Symbolfigur dafür, dass Vergangenheit nie vergeht. Frau König ist außerdem immer noch in der Eingewöhnungsphase mit der recht neuen Kollegin Melly Böwe (Lina Beckmann), da ist auch jenseits des Verbrechens eine Menge zu bewältigen. Regisseur Andreas Herzog und Autorin Astrid Ströher bleiben allerdings gut auf den Fall fokussiert, und auch wenn die Vergangenheit eine so tragende Rolle spielt, verlieren sie sich nicht im Gewirr verschiedener Erzählebenen.

Und obwohl die in ihrer eigenen Zwischenwelt lebende Mutter Sonntag (Judith Engel) auf die Dauer ziemlich anstrengend ätherisch durchs Panorama schwebt, sorgt das raue Rostocker Klima auch hier für das entsprechende Gegengewicht und die notwendige Erdung. Dass das Leben eben kein Ponyhof ist, wird sauber illustriert, und auch beim Recherchieren in der Kiffer-Szene bleibt Katrin König, Heldin aller Gestrandeten, ganz bei sich und gibt den Anwesenden den gut gemeinten Rat, doch bitte nicht ganz so viel zu kiffen, "das macht 'n bisschen blöde im Kopp".

Die Sequenz in der versifften Wohngemeinschaft gehört bei aller Schwere zu den leichten Höhepunkten dieses Krimis, weil ein Bewohner das Dosenbier schön stilecht aufreißt und den anderen nach Art des Hauses zuprostet. In Rostock sagt man: "Cheers, nä."

Polizeiruf 110, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste.

Weitere Serienempfehlungen finden Sie hier .

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSerienfinale von "The Crown"
:Liebesbrief an eine Königin

Sechzig Folgen, ein halbes Serienjahrhundert lang, blickte "The Crown" durch die Schlüssellöcher der Windsors. Ende gut, alles gut?

Von Claudia Fromme

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: