Letizia Battaglia war oft die Erste am Tatort. Wenn das Blut noch warm war, die Polizei noch nicht da. Und die Männer schauten zu, wie diese Reporterin, wie es damals sonst keine gab auf Sizilien, mit ihrer Leica ganz nahe ranging, eine Zigarette im Mund, und fotografierte. Ohne Furcht, aber auch ohne Sensationslust. Sie war immer dabei, wenn Bosse von Cosa Nostra verhaftet und abgeführt wurden. Auch dann ging sie sehr nahe heran, so nahe, dass die Mafiosi, wie sie einmal sagte, ihr hätten ins Gesicht spucken können. Sie wollte ihren Blick festhalten, wenn der Triumph der vermeintlichen Straflosigkeit implodierte. Diese Bilder sollten der großen Insel, dieser schönen und zerschundenen Scholle im Mittelmeer, zur Revanche gereichen. Sizilien, sagen die Italiener oft, sei "martoriata", gemartert von der Mafia, sie hinterlässt nur Misere.
Mit ihren Fotos prägte Letizia Battaglia die Wahrnehmung dieser rohen Brutalität des Alltags in den Siebzigern und Achtzigern mit ihren Hunderten Toten, den ermordeten Richtern, Politikern, Journalisten, Beamten. Ihre Bilder brannten sich in das kollektive Erinnern, sie hatten eine Sprache, und die brach mit der pseudoromantischen Narration aus den amerikanischen Filmen über die Mafia.
Battaglia war Italiens größte Fotoreporterin, gefeiert und geehrt in der ganzen Welt mit Ausstellungen und Auszeichnungen für ihre Fotos in Schwarz-Weiß. Sie selbst war immer sehr bunt angezogen, die Haare färbte sie sich bis zuletzt auffällig rot, als äußeres Zeichen für ihre innere Freiheit. Sie starb nun mit 87 Jahren an Krebs in Palermo, ihrer Stadt, der Stadt, die "wie eine zweite Haut" an ihr klebte, wie der sizilianische Journalist Attilio Bolzoni schreibt, der Stadt, von der sie nie loskam, obschon sie es oft versucht hatte.
Zur Fotografie kam Battaglia erst spät. Sie hatte mit 16 Jahren schon geheiratet, einen reichen Kaffeehändler. Mit 17 wurde sie ein erstes Mal Mutter, dann noch zweimal, drei Töchter. Eine von ihnen, Shobha Battaglia, sollte selbst auch eine erfolgreiche Fotografin werden. Mit 34 Jahren fand Letizia Battaglia, es sei Zeit, etwas vom Geist von achtundsechzig auszuleben, den man in Sizilien vor allem aus der Ferne mitbekam, und ließ sich von L'Ora anstellen, einer linken sizilianischen Tageszeitung.
Sie hielt die Härte des Alltags fest, krud und schwarz-weiß, damit keiner vergaß
Sie wurde der "Cronaca nera" zugeteilt, der schwarzen Chronik, da fließt alles Böse zusammen. Kurz darauf verließ sie ihren Mann, zog mit den Kindern für ein paar Jahre nach Mailand, gründete dort mit ihrem neuen Partner eine Agentur, die sie "Informazione Fotografica" nannten, kehrte zurück nach Palermo und war nun immer mit der Kamera unterwegs. Sie wäre lieber Schriftstellerin geworden, nur fehlte ihr das Talent, wie sie sagte. So wurde sie Italiens erste Fotojournalistin überhaupt.
Am wichtigsten waren ihr Sujets mit Frauen und Mädchen aus schwierigen Verhältnissen, aufgenommen in den Straßen. Es gibt dieses berühmte Foto eines Mädchens mit einem Ball in der rechten Hand, den linken Arm über dem Kopf, vor einer zerkratzten Holztüre: Alles ist in den Augen, die erwachsene Härte des Lebens.
International bekannt wurde Battaglia aber mit einem Foto, das einem Zufall geschuldet war. 6. Januar 1980, Via Libertà, ein regnerischer Tag. Die Fotografin kam gerade von einem Kaffee mit Kollegen, da stand diese Dienstlimousine mitten auf der Straße, einige Menschen drum herum in Aufruhr, es sah aus wie ein Verkehrsunfall. Battaglia fotografierte durchs Fenster auf der Fahrerseite, wie ein junger, früh ergrauter Mann einen anderen aus dem Auto zerrt. Der junge Mann ist Sergio Mattarella, damals 39, Universitätsprofessor für Verfassungsrecht. In den Armen hält er seinen Bruder Piersanti, damals 42 und Präsident der sizilianischen Regionsverwaltung, von der Democrazia Cristiana. Gerade hatte ein Killer der Mafia auf ihn geschossen. Er lebte noch, als das Foto entstand, das um die Welt gehen würde. Wenig später starb er.
Piersanti Mattarella war eine seltene Hoffnungsfigur gewesen, ein charismatischer Mann mit Erneuerungsdrang. Das gefiel nicht allen, auch in seiner korrupten Partei nicht, die ja immer eng verhängt war mit Cosa Nostra. Sein Bruder Sergio, ein stiller Professor mit einem melancholischen Lächeln, hatte eigentlich nie vorgehabt, in die Politik zu gehen. Doch der Tod Piersantis drängte ihn dazu. Nun ist er Präsident der Republik, zum zweiten Mal schon, kein Politiker in Italien ist beliebter als er. Und wann immer seine Geschichte erzählt wird, zeigen die Zeitungen dieses Foto, das Drama in Schwarz-Weiß.
Die pompösen Beerdigungen der Mafia? Sie ging überall hin. Bis 1992
Battaglia ging auch auf Beerdigungen von Mafiabossen, die immer so pompös waren wie Staatsbegräbnisse. Sie fotografierte da weinende Witwen, junge Rekruten, die Picciotti, und die Onkel aus Amerika, die es in der neuen Welt zu Reichtum brachten und pendelten. Battaglia fotografierte, als Giulio Andreotti, siebenfacher Ministerpräsident Italiens, in Palermo war und sich da mit Figuren aus der Unterwelt traf. Und sie fotografierte die Bosse in den Käfigen des Ucciardone, des Gefängnisses von Palermo, wo in den Achtzigern in einer eigens dafür hergerichteten Aula der sogenannte "Maxiprocesso" stattfand, der große Prozess gegen Cosa Nostra. 1992, als die Corleonesi Richter Giovanni Falcone ermordet hatten, mit einer Bombe auf der Autobahn, beschloss Letizia Battaglia, nie mehr an Tatorte zu fahren.
Es war zu viel geworden. Sie fuhr nach Paris, nach Grönland, einfach weg. Und sie kam dann aber immer wieder zurück nach Palermo.
Ihren Titel "Fotografin der Mafia" wurde sie nie los. Er hatte ihr nie gefallen: "Wenn schon", sagte sie, "bin ich die Fotografin gegen die Mafia." Natürlich war das auch so gemeint. Aber Battaglia kämpfte nun mal immer um jedes Komma der Deutung. Man bot ihr eine Leibwache an, weil sie oft bedroht wurde. Aber das wollte sie nicht. Einige Jahre lang arbeitete sie im Team von Leoluca Orlando, dem fast schon ewigen, bald abtretenden Bürgermeister und Frühlingsmacher von Palermo. Orlando gab ihr ein Referat, das sich "Vivibilità urbana" nannte, also "städtische Lebensqualität". "Das bedeutete nichts und alles", sagte Letizia Battaglia einmal. "Aber es war die beste Zeit meines Lebens."