"Freiheit nicht antasten", lautet die Überschrift eines Textes, wie man ihn in einer deutschen Zeitung eher selten sieht. In einer "Stellungnahme in eigener Sache", unterzeichnet von der Redaktion der Frankfurter Rundschau, ist die gesammelte Fassungslosigkeit nachzulesen über das Veröffentlichungsverbot der Rechercheergebnisse im eigenen Verlag, der Ippen-Mediengruppe. Es geht um Enthüllungen, die einmal mehr das Fehlverhalten offenlegen sollten, das den Bild -Chefredakteur Julian Reichelt gerade seinen Posten gekostet hat. Um Enthüllungen, die nie vollständig veröffentlicht worden sind.
"Verleger Dirk Ippen untersagte dem Investigativ-Team die Veröffentlichung", steht nun in der FR, die wie zahlreiche andere regionale Tageszeitungen von Münchner Merkur bis Kreiszeitung Syke oder tz zum Zeitungskonglomerat Ippens gehört. In einigen der Redaktionen ist der Ärger über das Veto von Verleger Dirk Ippen ähnlich groß wie beim Investigativ-Team selbst. Hauptautorin Juliane Löffler hat in der NDR-Mediensendung "Zapp" ihre Enttäuschung deutlich gemacht. Die Frankfurter Rundschau teilt mit, sie "hätte den Text gern gedruckt und würde dies auch weiter tun".
Dirk Ippen, 81, ließ am Montag recht unbefriedigend mitteilen, als Mediengruppe, die im direkten Wettbewerb mit Bild stehe, "müssen wir sehr genau darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, wir wollten einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden".
In dem gestoppten Artikel, der eigentlich am Sonntag bei Ippen erscheinen sollte, hat das Team offenbar die Geschichten von einigen Frauen anonymisiert erzählt, die Julian Reichelt Machtmissbrauch, Fehlverhalten und eine Vermischung von Privatem und Beruflichem vorwerfen. Näheres ist zu Inhalt und Qualität der Recherche bislang nicht bekannt. Reichelt hat Machtmissbrauch stets bestritten, sich aber nach einem Compliance-Verfahren entschuldigt, dass er "Menschen, für die ich verantwortlich bin, verletzt habe". Ein Teil der gestoppten Recherche ist am Montagabend im Spiegel erschienen, mit den Ippen-Journalistinnen und Spiegel-Redakteuren in der Autorenzeile.
Nun prüft Ippen nach der Fremdveröffentlichung seines Autorenteams, großem öffentlichen Protest und lauter Kritik - darunter auch vom Deutschen Journalistenverband, der die Einmischung des Verlags in redaktionelle Entscheidungen rügt - doch noch eine Veröffentlichung. Nur zerbröselt in der Zwischenzeit offenbar die ursprüngliche Recherche: Auf Anfrage der SZ sagt Ippen-Sprecher Johannes Lenz, man müsse derzeit herausfinden, welche Ergebnisse überhaupt noch veröffentlicht werden können, "da sich in der Dynamik des Geschehens Betroffene und Informanten zurückgezogen haben".
Frauen, die sich mit intimen Erlebnissen den Rechercheurinnen von Ippen anvertraut haben, wollen unter anderem wegen der kurzfristigen Absage dort laut Ippen-Team nun nicht mehr vorkommen. Heißt: Ippen hat seine Mitarbeiter und womöglich auch wichtige Quellen vor den Kopf gestoßen - und so eine Recherche beschädigt.
Springer-Vorstand Mathias Döpfner hat am Mittwoch in einem Video-Statement in schlecht ausgeleuchteter Nahaufnahme auf die Presseberichte und die Freistellung Reichelts reagiert. Der Bild-Chef habe auch nach dem Compliance-Verfahren "nichts gelernt" und "nicht die Wahrheit gesagt". Das Kulturproblem der Bild sei kein Problem des "ganzen Springer-Verlages". Das Video richtet sich offiziell an die Springer-Belegschaft, ist aber ein großes Plädoyer für Diversität, Respekt, Inklusion und so weiter - ein Wink an die US-Investoren von KKR, die die Vorgänge mit wenig Begeisterung verfolgen dürften.
Zu den Branchengerüchten, er selbst habe das Investigativstück über die Bild bei Ippen verhindern wollen, sagt er: einen solchen Versuch habe es "nie gegeben".
Fraglich ist, welche arbeitsrechtlichen Folgen das Reporter-Team zu erwarten hat, nachdem es mit den im Hause Ippen angestellten Recherchen zur Konkurrenz vom Spiegel gegangen ist. Die Reporterin Juliane Löffler sagte im Interview mit "Zapp", sie nehme "alle Konsequenzen, die das möglicherweise nach sich zieht", in Kauf. Bisher kommunizierte der Verlag, man wolle die Arbeit mit den Journalistinnen und Journalisten weiter fortsetzen.
Markus Knall, der Chefredakteur von Ippen-Digital, wandte sich am Mittwoch im Münchner Merkur in eigener Sache an die Leserschaft und "bittet die Betroffenen um Entschuldigung" - gemeint sind die Frauen, die ihre Erfahrungen mit Reichelt offengelegt haben. Dem Vertrauen von zahlreichen Menschen, die sich zum Fall Julian Reichelt an die Redaktion gewandt hätten, sei man nicht gerecht geworden. "Wir haben zugesagt, unter Wahrung der Anonymität, über ihre persönlichen Schicksale zu berichten. Dieses Versprechen konnten wir nicht einlösen. Das bedauere ich zutiefst." Das Team von Ippen Investigativ wollte sich auf SZ-Anfrage mit dem Hinweis auf laufende Verhandlungen nicht äußern.
In der Frankfurter Rundschau heißt es: "Wir fordern unseren Verleger auf, die redaktionelle Unabhängigkeit nicht anzutasten." Das Vertrauen auf diesen in Medienunternehmen so wichtigen Grundsatz hat Ippen in seinem eigenen Haus offenbar zerstört.
Sein Verlag hatte das Rechercheteam von Buzzfeed News im Sommer 2020 zugekauft und in "Ippen Investigativ" umbenannt. Ein schickes Aushängeschild für investigativen, digitalen Journalismus unter seiner Marke. Nun bleibt das Bild eines Verlegers, der sich mit Investigation schmücken, aber sie nicht aushalten wollte.