Fernsehfilm "Das Unwort":In Wirklichkeit tut es weh

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Lehrerin Annika Richter (Anna Brüggemann) meint es gut und richtet ein kleines Büffet mit Israel-Flaggen an. Mal sehen, wie das der jüdische Mitbürger findet... (Foto: Conny Klein/ZDF)

Das ZDF traut sich eine Komödie über Antisemitismus und sendet sie am 9. November. Ist Deutschland reif dafür?

Von Claudia Tieschky

Die besten Komödien schicken ihr Personal in Konstellationen, die eigentlich gar nicht zum Lachen sind, und für diesen ZDF-Film hatte jemand die erstaunliche Idee, diese Regel mit solcher Konsequenz auf eines der ungemütlichsten Themen der Gegenwart anzuwenden, dass man erst Luft holt: Das Unwort ist eine Komödie über Antisemitismus.

Ort der Handlung ist ein Berliner Gymnasium: Max, jüdisch, hat Karim, Sohn von Palästinensern, das Ohrläppchen abgebissen und dem iranisch-deutschen Reza die Nase gebrochen. Um über einen Schulverweis zu entscheiden, kommen einige Erwachsene zusammen.

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Max' Vater Simon Berlinger ist Kind von Holocaust-Überlebenden, und fühlt sich, sagt Max (der Erzähler im Film), überall fremd. "Am liebsten fremd fühlt er sich in Berlin". Für den Vater ist das Ohrläppchen "ein Präventivschlag": "Max ist kein Opfer."

Außerdem dabei ist die Lehrerin Frau Ritter, die koscheres Essen besorgt und liebevoll israelische Fähnchen draufgesetzt hat. Auf Berlingers barschen Hinweis "Wir sind keine Israelis" muss sie fast weinen. Dass Max gemobbt wurde, weil er jüdisch ist, steht nicht in ihrem Bericht. Schuldirektor Stede sagt: "Ja, ich gebe zu, Max wurde Jude genannt. Ist das schon Antisemitismus? Jude ist doch mittlerweile ein gängiges Wort auf Berliner Schulhöfen." Stede scheint aus Lächelplastik gemacht und könnte auch von Eiscreme reden, wenn er sagt, dass bald wieder ein "toller Überlebender aus Sachsenhausen" in die Schule kommt.

Außerdem versammelt: Max' Mutter Valerie, die zum Judentum konvertiert ist; Dr. Nüssen-Winkelmann von der Schulaufsicht; Rezas Mutter, eine Businessfrau im rasanten Outfit, die Papa Simon durchaus gefällt, solange er nicht weiß, wer sie ist. Und schließlich der Hausmeister mit dem bekannten deutschen Namen Eichmann.

Warum ist das lustig? Ungefähr aus dem gleichen Grund, warum man lacht, wenn Buster Keaton die Treppe runterfällt, obwohl das wehtut in Wirklichkeit. Der 1973 in Moskau geborene Leo Khasin (Buch und Regie) verhandelt sein Thema nach Art einer Katastrophenkomödie. Alle verunglücken verbal ständig beim Versuch, mit dem Problem, wegen dem sie zusammensitzen, umzugehen - geraten in antisemitische, antimuslimische oder einfach allgemein bescheuerte Ressentiments und offenbaren unfreiwillig, was sie wirklich denken. Über die haarsträubenden Peinlichkeiten kann man im Schutz der Komödie lachen, selbst wenn man sich ertappt fühlt oder merkt, dass man manche Sätze besser verkraften kann als andere.

Khasins Drehbuch teilt aggressiv und locker gegen alle aus. Verhandelt wird auf Ebene der Erwachsenen (alle wunderbar: Ursina Lardi, Anna Brüggemann, Devid Striesow, Thomas Sarbach, Neda Rahmanian, Iris Berben) ihre Empfindlichkeit und Ignoranz - und die daraus resultierende Sicht auf die Vorfälle bis zum Ohrenbiss. Da erinnert die Versammlung an Yasmina Rezas Theaterstück "Der Gott des Gemetzels". Das Unwort ist eine Komödie wie ein Pointenfaustkampf und endet dank einer überraschenden Verbrüderung glimpflich. Keine Ahnung, ob Deutschland reif für so was ist, aber der 9. November hat als Gedenktag mit diesem Film jedenfalls ein unheimlich heutiges Fernsehprogramm.

Das Unwort, ZDF, 20.15 Uhr; danach folgt die Doku "Hey, ich bin Jude! - Jung. Jüdisch. Deutsch", 21.40 Uhr.

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