Eurovision Song Contest:Italienisch, aber anders

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"Måneskin" haben als Straßenmusiker in Rom angefangen. Von links: Gitarrist Ethan Torchio, Bassistin Victoria De Angelis, Sänger Damiano David und Gitarrist Thomas Raggi. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Die römische Band mit dem dänischen Namen "Måneskin" ist in ihrer Heimat eine große Nummer. Steht ihr ESC-Sieg für die neue Zeit nach der Pandemie?

Von Oliver Meiler

Italien, aber anders, gegen und wider die Klischees, so gar nicht Canzoncine und Mandoline. Schon der Name: Måneskin, das ist Dänisch für Mondlicht. Als die Italiener vor fünf Jahren zum ersten Mal von dieser Rockband gehört haben, die nun am Wochenende in Rotterdam den Eurovision Song Contest gewonnen hat, war da zunächst dieser kuriose Name mit dem Sonderzeichen auf dem "a", das viele Zeitungen auf den Tastaturen ihrer Computer vergeblich suchten. Der Name war offenbar die Frucht eines kurzen Brainstormings, wie man es als Teenager so abhält. Die Bassistin Victoria De Angelis, halb Dänin und halb Italienerin, fand, dass Måneskin nett klang, auch wenn es den Italienern vielleicht nicht ganz so einfach im Mund liegen würde. Aber wer konnte schon ahnen, dass das überhaupt etwas werden würde mit dem Mondlicht.

Nun, nach dem furiosen Sieg im Finale gegen die Schweiz und Frankreich fragt sich inzwischen ganz Europa, wie vier Römer auf die Idee kommen, sich einen solchen Namen zu geben. Der deutsche Beitrag dagegen spielte eine eher marginale Rolle bei dem Wettbewerb, der vor 3500 getesteten Zuschauern in der Rotterdamer Ahoy Arena ausgetragen wurde: Der 26-jährige Jendrik kam trotz Glitzer-Ukulele mit "I Don't Feel Hate" am Ende nur auf dem vorletzten Platz vor Großbritannien.

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Måneskin also. In Italien selber rätseln sie schon lange nicht mehr über den Namen, er hat sich sozusagen eingebürgert. Die Band entstand 2016 an einem römischen Gymnasium aus der Freundschaft dieser halben Dänin mit dem Sänger und Songwriter Damiano David, dem Frontmann der Band, Romano e Romanista, Römer und Anhänger des AS Rom. Der junge Mann an der Gitarre wiederum ist ein Freund der Bassistin, den Schlagzeuger fanden sie mit einem Appell auf Facebook. Sie traten in den Straßen Roms auf. Es zirkuliert jetzt wieder dieses Bild, das sie an der Via del Corso zeigt - ein Foto in Schwarz-Weiß, als wär's prähistorisch, das Futter der Gitarrenhülle diente als Münzhalter. Sie posten es nach jedem Erfolg.

Zunächst nahmen sie an einem Schulwettbewerb teil und gewannen. 2017 traten sie dann in der italienischen Version von X-Factor auf, noch etwas spätpubertär, mit wunderbar unfertigen Gesichtern. Sie schlugen sofort ein. Natürlich lag das vor allem am hageren, geschminkten Frontmann mit der rauen und lauten Stimme, den verrückten Klamotten und hohen Absätzen, der sich da mit einer Rockerattitüde auf der großen Bühne bewegte, als wäre sie eine Verlängerung der Via del Corso. Seine Präsenz war so magnetisch, seine Energie so ansteckend, dass man sich während der ganzen Staffel beim Making-of eines Stars wähnte. Selbstironie konnte er auch, römisch durch und durch, obschon alles an ihm nach dem großen Statement dröhnte: rebellisch und kommerziell verwertbar. Am Ende waren alle überrascht, dass Måneskin nur Zweite wurden, hinter einem Poptenor, von dem man bald nichts mehr hören sollte.

Im Netz wurden sie beschimpft, als "Schwuchteln", "Abschaum", "Clowns"

Vor Spielen des AS Rom wurden nun im Olympiastadion ab und an auch Stücke der Band gespielt. In der Südkurve, wo die Ultras stehen, fanden das nicht alle lustig. Auch im Netz, so erzählten die Musiker einmal, wurden sie beschimpft: als "Schwuchteln", als "Abschaum", als "Clowns", das alte Lied. Ihre Konzerte aber waren alle ausverkauft. Måneskins Platten verkauften sich so gut, Platinum um Platinum, dass sie dem Unterholz im Netz schnell entwuchsen. In diesem Frühling haben sie nun am Musikfestival in Sanremo teilgenommen, ein weiterer Beweis dafür, dass dieses seiner alten Haut als Schlagerfestival längst entwachsen ist, es war ja eigentlich ohnehin nie nur das gewesen. Måneskin gewann Sanremo mit dem Song "Zitti e buoni", mit dem sie auch beim ESC siegten. Völlig erwartbar und ohne Konzessionen.

Leserdiskussion
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Måneskin aus Italien gewinnt beim diesjährigen Eurovision Song Contest. Deutschland liegt vor Schlusslicht England. Das Ergebnis zeige, dass ESC-Europa endlich mit langweiligem Glitzerpop abrechnet, kommentiert SZ-Autorin Marlene Knobloch.

Früher hieß es immer, die Rai, Italiens öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, wolle gar nicht, dass Italien den europäischen Wettbewerb gewinne. Es sei viel zu teuer, den Anlass im eigenen Land auszutragen. Vielleicht war das nur eine Legende, doch vor der Band mit dem dänischen Namen gewann Italien erst zwei Mal, zuletzt vor 31 Jahren und ziemlich konventionell: Toto Cutugno gab damals "Insieme", 1990. Italien, ganz italienisch.

Natürlich ist es immer etwas abenteuerlich, Episodisches zu irgendwie allgemeingültigen Metaphern für das Große und Ganze hochzuziehen - ein gewonnenes Fußballspiel, der Sieg an einem Songcontest in Pailletten, mit bombastischen Bühnenbildern, Spezialeffekten, Feuerwerk und Flammen. Aber richtig falsch ist es diesmal vielleicht auch nicht. Die Zeitung La Repubblica schreibt, der Triumph von Måneskin trage eine klare Botschaft in sich: "Nichts kann mehr sein wie vor der Pandemie." Da habe sich eine Generation zu Wort gemeldet, die "Next Gen", unangepasst und mit Persönlichkeit, die auf ganz natürliche Weise europäisch sei und ihren Platz am Tisch beanspruche. Die Lockdowns und Shutdowns von Träumen - sie waren ja auch und gerade für diese Generation eine Prüfung.

Die italienische Jugend leidet an der Herrschaft der Betagteren

Zitti e buoni? Still und brav? Auf Spotify haben sie ein E zum Titel gestellt, das steht für "Explicit" - der Text sucht also keine Umwege, er lehnt sich nicht an den Kanon des öffentlich Sagbaren. Nach dem Sieg kam der Verdacht auf, Damiano David habe womöglich vor laufenden Kameras Drogen konsumiert - eine Linie Kokain live vor Millionen? Die Band gab sich empört. Man versuche, sie schlechtzumachen, sie seien gegen Drogen, sie hätten nie Kokain genommen. "Wir sind bereit, uns testen zu lassen, wir haben nichts zu verbergen." Und dann noch: "Rock 'n' Roll never dies. We love you."

In Italien ist man auch stolz, dass sich Måneskin in Interviews in zumeist einwandfreiem Englisch ausdrücken, weltgewandter jedenfalls, als es manche prominente Politiker im Land jemals sein werden. In der Überhöhung wird nun auch wieder daran erinnert, dass die italienische Jugend an den Verkrustungen ihres Landes leidet, an der Herrschaft der Betagteren, an der Perspektivlosigkeit. Viele verlassen das Land, weil sie keine Arbeit finden, die ordentlich bezahlt wäre und einen Weg in die Autonomie zeigte. Und dann kommt Måneskin, laut und selbstsicher. Italienisch, aber anders.

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