TV-Dokumentation:Muskeltraining und Mord

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Am 19.12.2016 tötete Anis Amri erst einen Lkw-Fahrer, dann raste er mit dem Fahrzeug in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz - es war der bislang schlimmste Anschlag des IS in Deutschland. (Foto: Michael Kappeler/picture alliance/dpa)

War Anis Amri wirklich Einzeltäter? Fünf Jahre nach dem Attentat vom Berliner Breitscheidplatz präsentiert eine Dokumentation der ARD einen möglichen Hintermann - der immer noch gefährlich sein könnte.

Von Moritz Baumstieger

Sieht man hier das gezielte Training für einen Massenmord - oder zeigen die verwackelten Aufnahmen einer Handykamera schlicht die sprichwörtliche Banalität des Bösen? Bilder der Dokumentation "Weihnachtsmarkt. Anschlag - Das Netzwerk der Islamisten" jedenfalls zeigen Anis Amri bei dem, was nicht wenige in seinem Alter tun, die zu viel Zeit und zu viel Energie haben: Er grölt mit anderen jungen Männern in einem Kellerraum herum, er stemmt Gewichte auf einer Hantelbank. Aufhorchen lässt aus heutiger Perspektive jedoch der Ausruf, den er jedem geschafften Push hinterherschickt: "Allahu akbar", brüllt Amri, "Gott ist größer".

Die heutige Perspektive auf den Massenmord am Berliner Breitscheidplatz vor fünf Jahren könnte die Dokumentation durchaus noch einmal ändern, die an diesem Montag nach den Tagesthemen in der ARD zu sehen ist, am Dienstag um 20.15 Uhr beim RBB und in einer ausführlichen, dreiteiligen Fassung in den Mediatheken. Und zwar nicht, weil es den Autoren Sascha Adamek, Jo Goll und Norbert Siegmund gelungen ist, Bilder von Amris Muskeltraining zu besorgen, aufgenommen mutmaßlich in einem Nebenraum der Fussilet-Moschee in Berlin-Moabit, die bis zu ihrer Schließung als Relaisstation des Terrornetzwerks IS in Deutschland galt. Neben solchen Bildern, die eher voyeuristische Interessen befriedigen, und neben einem wichtigen Fokus auf die Langzeitfolgen des Anschlages für Überlebende und Angehörige stellt die Dokumentation eine bis heute offene Frage: Handelte der junge Tunesier wirklich als "einsamer Wolf", als er in Berlin erst einen Kraftfahrer ermordete und dann mit dessen Lkw friedlich feiernde Menschen überrollte?

Wer war dieser Anis Amri wirklich? Die RBB-Journalisten fragen auch bei ehemaligen Weggefährten im Gefängnis nach. (Foto: rbb/Manfred Hagbeck)

Adamek, Goll und Siegmund sind einer Spur nachgegangen und präsentieren nun neben einem Namen auch ein Foto eines möglichen Hintermannes: Bereits am Silvestermorgen 2016, wenige Tage nach dem Anschlag, bekam ein BND-Mitarbeiter einen Tipp von einer "ausgesprochen zuverlässigen NDV", Geheimdienstdeutsch für "nachrichtendienstlichen Verbindung": Ein circa 45-Jähriger namens Ali Hazim Aziz, Kampfname Abu Bara'a al-Iraqi, soll als rechte Hand des damaligen IS-Kommandanten für Auslandsoperationen die Aktivitäten der Terrormiliz in Deutschland koordiniert und auch mit Amri in Kontakt gestanden haben. Die deutschen Ermittler, so berichtet es ein Mitglied eines späteren Untersuchungsausschusses des Bundestags zum Anschlag, hätten den Mann zwar gegoogelt, die Spur sei dann aber "versandet". Die Dokumentation des RBB legt nun nahe, dem Hinweis vielleicht noch einmal mit mehr Engagement nachzugehen: Denn nach Angaben eines kurdischen Politikers ist der Mann keineswegs bei Kämpfen umgekommen, sondern immer noch einer der meistgesuchten Terroristen im Irak.

Weihnachtsmarkt. Anschlag - Das Netzwerk der Islamisten. Montag, 13.12., 22.50 Uhr ARD; 14.12., 20.15 Uhr RBB. Eine dreiteilige Langfassung in der ARD-Mediathek.

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