Fernsehen:Der Schüler verfilmt den Meister

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Helene Weigel (Adele Neuhauser) und Bertolt Brecht (Burghart Klaußner) in Heinrich Breloers Doku-Drama. (Foto: Bernd Spauke/WDR)

Heinrich Breloer hat ein Dokudrama über sein Idol Bertolt Brecht gedreht. Der Filmemacher verfällt dem Autor dabei voll und ganz - auf sehr sehenswerte Weise.

Von Claudia Tieschky

Der Mann hängt an der Leine und muss jetzt zuhören. Du hast mir die Sterne gezeigt, hebt Ruth Berlau fast zärtlich an, aber der Mann reagiert nicht. Er kann ja gar nichts sagen, denn es ist nur sein Bild, das sie in der Dunkelkammer aus dem Entwicklerbad gehoben und mit einem "Hallo" begrüßt hat, so als sei er, der Brecht, wirklich da. Dann hat sie ihn sich auf Augenhöhe mit Wäscheklammern fixiert und schaut ihm ins Gesicht. Sie rechnet ab, die Geliebte, zur Mitarbeit am Theater noch gut und sonst vernachlässigt: "Nun siehst du mich nicht mehr und mein Schoß wird kalt von unten." Sie nimmt einen Schluck Wodka und speit ihn damit an, der Alkohol zerstört das noch nicht fixierte Foto. Weg mit ihm.

Das Besondere an dieser Szene ist nun eher nicht, dass Bertolt Brecht in seiner Theater-Factory viele Frauen geliebt und unglücklich gemacht und doch nicht fortlassen hat, genau so wie die Berlau, die in Heinrich Breloers großem zweiteiligen Dokudrama von der wunderbaren Trine Dyrholm gespielt wird. Das ist ausreichend bekannt und der erste Filmteil ist nicht zufällig "Die Liebe dauert oder dauert nicht" überschrieben. Man sieht in rascher Folge die Augsburger Bürgerstochter Paula Banholzer (Mala Emde), die Schauspielerin Marianne Zoff (Friederike Becht), die lebenslange Gefährtin Helene Weigel (phänomenal: Adele Neuhauser), Elisabeth Hauptmann (Leonie Benesch), die Berlau, später Isolt Kilian (Laura de Boer) und noch andere, manchmal nebeneinander oder gegeneinander hergeliebt. Und während man bei der Filmvorführung in Hamburg unwillkürlich denkt, warum haben die das mit sich machen lassen, und dann Heinrich Breloer fragt, warum es seiner Meinung nach keine Frau gegeben hat, die so viel Macht über Brecht hatte wie Brecht über die Frauen um ihn, dann sagt er einfach: "Weil es auch keinen Mann gegeben hat, der Macht über ihn hatte." Achtung also, es geht hier um den Klassiker Brecht, bei dem das Erotomane seiner allgemeinen Außergewöhnlichkeit zugeordnet sein muss, also etwas Größerem, und nicht einfach nur romantisch geglotzt werden kann.

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Brechts Gedichte waren für den jungen Breloer wie ein Dietrich, "der mir Türen aufschloss"

Um auf die Dunkelkammer zurückzukommen - das Besondere an dieser Szene ist nicht Liebesraserei, sondern ein Detail, in dem für einen Moment die Trennung zwischen Film und Wirklichkeit so verblüffend aufgelöst scheint, dass man den Atem anhält. Das Foto auf der Leine zeigt nicht Burghart Klaußner, den Brecht-Darsteller, sondern es zeigt den echten Brecht. Und der sieht auf diesem Bild einem anderen unerhört ähnlich: Heinrich Breloer. War ihm das bewusst, dass er, der Erklärer und Biograf, dank seiner Ähnlichkeit einen Auftritt in dem Film hat? Breloer weist das weit von sich.

Es hätte aber so sein können und er hätte es verdient. Bertolt Brecht, geboren 1898, ist Lebensthema geworden für Heinrich Breloer, geboren 1942, und zwar "durch die Zufälle meines Lebens". Er bekam "unter diesem engen erpresserischen katholischen Himmel" im Internat Brechts Gedichtsammlung Die Hauspostille. Das sei ein Tonfall gewesen, wie er vorher nicht in seiner Welt erklungen war: "Ich hatte dieses Büchlein wie einen Dietrich bei mir, der mir Türen aufschloss." Und den gab er nicht mehr her. 1978 drehte er den Dokumentarfilm Bi und Bidi in Augsburg - Bidi war der Spitzname vom Brecht, und Bi, das war die Banholzer, die Breloer damals als verschmitzte ältere Dame zu einem langen Interview treffen konnte. Er bemerkte bei dieser Gelegenheit, wie er sagt, "dass man nicht nur diese Bücher lesen muss, sondern in das Leben von Dichtern hineinfahren und sie im Spiegel ihrer Zeitgenossen betrachten kann". Ein ganz anderes produktives Erlebnis sei das, sagt Breloer und fügt wahrheitsgemäß an: "Das habe ich ja dann öfter gemacht." In gewisser Weise geht sein weiteres Schaffen unmittelbar davon aus, denn er erforschte in Dokudramen anschließend die Welt von Thomas Mann und später die von Albert Speer. Die Methode Dokudrama, die Breloer zusammen mit Horst Königstein entwickelte, hat auch viel vom Abstandhalten im epischen Theater. Spielszenen schaffen Nähe, dokumentarische Passagen bremsen sie. Amtlich beglaubigt ist das von Volker Herres, Programmdirektor des Ersten, im Begleitschreiben zu Brecht, wo er überdies den Satz formuliert, Breloer habe "vielfach das nationale Narrativ beeinflusst". Schwer zu sagen, was genau dieses nationale Narrativ ist, aber es klingt, als wäre es der Nobelpreis, verliehen von der ARD.

Jetzt also Brecht, der Schüler verfilmt den Meister - wie ist das? Zunächst einmal: unbedingt sehenswert, hintergründig - und absolut nicht baalisch. Breloers Brecht hat weder jung (dargestellt von Tom Schilling) noch später (Burghart Klaußner) etwas von dem radikalen Genusstier Baal, das keinen Gedanken an Selbstoptimierung verschwendet. Die Interpretation, die Breloer bietet, ist die eines weichen Menschen, der sich Härte anerzieht und Aufstieg verordnet, der Rollenbilder von sich entwickelt, jede Menge davon, die mächtig rumprotzen (Ledermantel, Zigarre, Autos), aber wenig über den Menschen aussagen, der sich so gibt. Die Schauspielerin Regine Lutz, die seit etwa 1950 mit Brecht arbeitete, sagt im Film den Schlüsselsatz dazu: "Mich kannte er sehr gut, ihn konnte man nicht kennen."

Paula (Mala Emde) und Brecht (Tom Schilling) mit ihrem Sohn Frank. Um das nichteheliche Kind zu verbergen, schickt ihre Familie Paula aufs Land. (Foto: Stefan Falke/WDR)

Insofern ist es womöglich Absicht, wie Tom Schilling den jungen Brecht spielt, nämlich fast bübchenhaft nichtssagend. Schilling modelt gewissermaßen den Brecht, der um die widerspenstige Paula Banholzer wirbt, den Gitarre spielenden Oberschüler, den Dachkammerbewohner in der Bleichstraße; von all dem gibt es ja Fotos. Schilling zieht seine Klamotten an und geht seine Wege, aber eine scharfgestellte Person ergibt das nicht, eher eine Leerstelle. Er war eigentlich ganz anders, sagt dieser Auftritt. Im zweiten Teil, der mit Brechts berühmter Aussage vor dem McCarthy-Ausschuss und der Rückkehr aus dem Exil beginnt, übernimmt Burghart Klaußner den Part auf ganz andere Weise. Klaußner entwickelt eine schauspielerische Interpretation von Brecht, er spielt ihn von Szene zu Szene, er macht ihn sogar mimisch nach, hält aber diesen Deut Abstand und erzeugt nie die Illusion, er sei wirklich Brecht. Das unterscheidet ihn von Armin Mueller-Stahl, der bei Breloer fast zum Wiedergänger Thomas Manns wurde.

Zwei Teile Brecht also, seine Jugend und die Ost-Berliner Jahre, mit den Schülern und ehemaligen Regieassistenten B.K. Tragelehen, Peter Voigt und Egon Monk als Zeitzeugen. Das Berliner Ensemble beschreibt Breloer im Gespräch als "Schutzraum", als "Insel zwischen Ost und West, ein befreites Land. Später sah man, dass es eine Festung war." Das Exil fehlt weitgehend, kein Geld da für einen dritten Teil. Dafür gibt es ein Buch Brecht - Roman seines Lebens und eine Doku; in beidem setzt Breloer mehr seine Filmszenen ein als historische Bilder. Das mag mit Rechtefragen zusammenhängen, aber man kann Breloers Brecht-Projekt auch ohne das verstehen als eine Aneignung. Natürlich ist er ihm verfallen wie all die anderen Frauen.

Am Schluss lässt Helene Weigel alle Totenmasken von Brecht einsammeln und zerschlagen. Du sollst dir kein Gleichnis von Gott machen, heißt es in der Bibel. Breloer hat es von seinem trotzdem gemacht. Soviel Baal musste sein.

Brecht , Teil eins "Die Liebe dauert oder dauert nicht" und Teil zwei "Das Einfache, das schwer zu machen ist", Arte, Freitag, 20.15 Uhr und 21.45 Uhr. Um 23.30 Uhr folgt die Doku Brecht und das Berliner Ensemble . Die ARD sendet beide Teile als Themenabend am 27. März um 20.15 und 21.45 Uhr, gefolgt von der Doku um 23.45 Uhr. Heinrich Breloers Buch Brecht - Roman seines Lebens ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, 528 Seiten, 26 Euro.

© SZ vom 21.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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