Schon in den frühesten Sagen und Legenden ist die Rede von Mischwesen aus Mensch und Tier. Der Minotauros - ein Wesen mit menschlichem Körper und Stierkopf - ist einer der bekanntesten Hybriden: eine Kreuzung aus verschiedenen Arten. Was wäre, wenn Mensch-Tier-Mischlinge nicht nur Mythen wären? Wenn man ein neues Wesen erschaffen könnte, halb Mensch, halb Affe?
Am 28. Februar 1927 um acht Uhr morgens sollte dieses Kunststück gelingen. Der russische Biologe Ilja Iwanowitsch Iwanow injizierte menschliches Sperma in die Vagina zweier Schimpansinnen. Er galt als eine der größten Autoritäten auf dem Gebiet künstlicher Befruchtung. Die bahnbrechenden Techniken des Professors am Moskauer Zoologischen Institut waren so erfolgreich, dass er bis zu 500 Stuten mit dem Samen eines einzigen Hengstes befruchten konnte. Auch kreuzte er Maus und Ratte, Maus und Meerschweinchen und eine Antilope und eine Kuh.
Für ihn war der Plan, ein Mischwesen aus Mensch und Affe zu erzeugen, wohl nur die logische Fortsetzung seiner Tierversuche. Erstmals referierte er darüber 1910 auf einer zoologischen Konferenz in Graz - und fand Gehör. Denn die Idee kursierte schon lange in der Forscher-Gemeinde. Sie versprach sich neue Erkenntnisse zur Herkunft des Menschen.
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Auf der Suche nach Sponsoren spielte Iwanow die antireligiöse Stimmung nach der Russischen Revolution 1917 in die Hände. Die bolschewistische Regierung wollte den Klerus abschaffen. Und so traf Iwanow den Nerv der Zeit, als er die Russische Akademie der Wissenschaften um Unterstützung bat. "Wenn er einen Affen und einen Menschen kreuzte und lebensfähige Nachkommen zeugte, würde das bedeuten, dass Darwin recht hatte, wie eng wir miteinander verwandt sind", erklärt Alexander Etkind. "Ein Affenmenschenbaby würde die biblische Lehre widerlegen, dass dem Menschen eine Sonderstellung in der göttlichen Schöpfung zustehe", sagt der russische Osteuropa-Experte an der Wiener Central European University (CEU).
In Westafrika führte er 1927 ein streng geheimes Experiment durch
Die politische Sprengkraft des Experiments soll auch den Sowjetdiktator Stalin begeistert haben. Er habe davon geträumt, Affenmenschen als willige Arbeiter oder Soldaten zu züchten, schwadronieren Verschwörungserzähler. Ihnen gilt Iwanow als "roter Frankenstein". Im Frühjahr 1926 reiste Iwanow nach Kindia, im damaligen Französisch-Guinea an der afrikanischen Westküste. Sieben Kilometer außerhalb der Stadt, im Busch, hatte das französische Institut Pasteur eine der ersten Primatenforschungsstationen weltweit eingerichtet - und bot Iwanow Versuchstiere an. Doch die gefangenen Schimpansen waren allesamt zu jung, um trächtig zu werden. Frustriert reiste der Forscher wieder ab.
Fast gleichzeitig machte Rosalía Abreu von sich reden - eine kubanische Jane Goodall. Der Philanthropin war in ihrem Privatzoo erstmals die Nachzucht von Schimpansen gelungen. "Finca de los monos" (Affensiedlung) nannten die Einheimischen den großen Park ihres Anwesens, bestückt mit Käfigen für bis zu 80 Affen. Abreu zeigte sich grundsätzlich interessiert. Doch sie lehnte die Kreuzung eines weiblichen Schimpansen mit einem Menschen ab. Mit der Kreuzung eines männlichen Schimpansen mit einem Homo sapiens aber sei sie einverstanden und bereit, Affensperma zu liefern.
Iwanows Ziel schien zum Greifen nah. Doch als er auf der Suche nach Geldgebern die "Amerikanische Gesellschaft zur Förderung des Atheismus" kontaktierte, wurde das Vorhaben publik. Die New York Times titelte am 17. Juni 1926: "Die Sowjets unterstützen den Plan, die Evolution zu testen". Protest kam von Kirchen - aber auch vom Ku-Klux-Klan: "Er soll Abreu gedroht haben, sie mache sich der 'Verunreinigung reinrassiger weißer Frauen' schuldig", sagt Historiker Etkind. Abreu zog ihre Zusage zurück.
Iwanow ließ nicht locker. Im November 1926 fuhr er durchs Hinterland von Guinea - und kaufte von Jägern Schimpansen. Der Gouverneur erlaubte das Experiment; allerdings müsse es streng geheim ausgeführt werden. Am 28. Februar 1927 schnürte er mit seinem Sohn im botanischen Garten von Conakry zwei Schimpansen-Weibchen in Netze ein und injizierte ihnen menschliches Sperma. Woher es stammte, lässt das Labortagebuch offen.
Das Orang-Utan-Männchen Tarzan sollte als Samenspender für Frauen dienen
Nach wenigen Wochen die Enttäuschung. Die Affen waren nicht trächtig. Doch Iwanow schmiedete schon einen neuen Plan: Frauen sollte Affensperma gespritzt werden. Für das bizarre Experiment fand er einen Verbündeten: den Leiter des Gesundheitsdienstes in Nola in der heutigen Zentralafrikanischen Republik. Er wollte dafür sorgen, dass die Insemination heimlich vorgenommen wurde. Ob es je dazu kam, ist ungeklärt. Am 1. Juli 1927 jedenfalls verließ Ivanov Französisch-Guinea mit 13 Schimpansen, die er nach Sochumi am Schwarzen Meer brachte. Dort befand sich die erste sowjetische Affenforschungsstation. Hier lebte auch das Orang-Utan-Männchen Tarzan. Es sollte als Samenspender dienen für Freiwillige, nach denen Iwanow öffentlich suchte. Angeblich meldeten sich einige "Heldinnen des Vaterlandes". Doch Tarzan starb im Sommer 1929 mit 26 Jahren.
Iwanow stand an einem Wendepunkt ebenso wie die Sowjetunion. Stalins "Kulturrevolution" begann. Bei den "Säuberungen" in der Wissenschaft wurden Tausende Forscher verhaftet - auch Iwanow. In der Nacht des 13. Dezember 1929 stand die gefürchtete Geheimpolizei Tscheka vor der Tür. Iwanow wurde wegen konterrevolutionärer Aktivitäten verurteilt und nach Kasachstan verbannt. Mutmaßlich starb er dort 1932. Einige Quellen verorten sein Grab in der Stadt Alma-Ata (dem heutigen Almaty). Dort soll er seine Experimente unter strengster Geheimhaltung fortgesetzt haben.
Kann man Mensch und Affe überhaupt kreuzen? "Nach allem, was man weiß, lässt sich nicht kategorisch ausschließen, dass es funktionieren könnte", sagt Rüdiger Behr vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. "Aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass es klappt."