Es ist schwer, "irgendwo" anzufangen bei unserem Sohn Samuel, der nur 1540 Tage bei uns sein durfte, ehe er am 12. Mai 2014 starb.
Das war nach fast 40 Operationen, 80 bis 90 Intubationen, zahllosen Infekten und Komplikationen sowie unzähligen Klinikaufenthalten.
Es ist unfassbar, wie viel ein so kleiner Mensch aushalten kann und muss. Oft stand ich hilflos und verzweifelt an seinem Bettchen, konnte sein Schreien kaum noch aushalten - und hätte ihm gern alles abgenommen.
Jochen Blaich, 47, ist seit vielen Jahren Krankenpfleger und hat viel Erfahrung im Umgang mit chirurgischen und pädiatrischen Patienten. Als sein Sohn Samuel schwerkrank zur Welt kam, stand er plötzlich auf der anderen Seite.
Der Anfang
Samuels Grunderkrankung hieß Morbus Pfeiffer, und obwohl ich schon mehr als 20 Jahre Krankenpfleger bin, hatte ich von diesem Krankheitsbild noch nie etwas gehört. Samuels Schädelnähte waren schon im Mutterleib zusammengewachsen, dadurch entwickelte sich ein Wasserkopf und sein Gehirn wurde komprimiert. Die Kinder haben oft einen hohen Schädel, tiefliegende Ohren, ein flaches Mittelgesicht, hervortretende Augen und enge Atemwege. Kurz, sie sehen "anders" aus. Wie bei allen Krankheitsbildern und Syndromen gibt es die unterschiedlichsten Verlaufsformen. Samuel hatte eine sehr schwere. Durch die engen Atemwege beispielsweise entwickelte sich ein normaler Schnupfen schnell zur lebensbedrohlichen Lungenentzündung.
Wir wurden oft gefragt: "Hat man das nicht früher gewusst?" Die Aussage, die hinter diesem Satz steht, hat mich nachdenklich gemacht. Sind wir inzwischen so weit, dass wir uns für ein krank geborenes Kind rechtfertigen müssen?
Wir veröffentlichen an dieser Stelle in loser Folge Gesprächsprotokolle unter dem Label "ÜberLeben". Sie handeln von Brüchen, Schicksalen und wie Menschen aus Krisen wieder herausfinden. Alle Geschichten finden Sie hier. Wenn Sie selbst Ihre erzählen wollen, dann schreiben Sie eine E-Mail an: ueberleben@sz.de.
Nein, man hat es vor der Geburt nicht gewusst, man hat nur gesehen, dass sein Kopf "etwas" zu groß war. Aber es hätte für uns sowieso keine Konsequenzen gehabt. Samuel war gewollt und geliebt! Ich bin erschrocken, wie schnell uns eine Abtreibung zumindest als Möglichkeit angeboten wurde (obwohl noch nicht bekannt war, wie schwer krank Samuel sein würde).
Die Blicke, die man Samuel zuwarf, weil er anders aussah, waren manchmal schwer zu ertragen. Dabei hat ihn jeder, der ihn näher kennenlernte, schnell ins Herz geschlossen. Gilt nur das Perfekte und Schöne in unserer Gesellschaft?