Minderheiten:Brücken der Hoffnung über die Drau

Lesezeit: 3 min

Die Drau, hier bei Maribor, verbindet und trennt Österreich und Slowenien. 100 Jahre, nachdem sich Südkärnten in einer Volksabstimmung gegen eine Angliederung an Slowenien entschieden hat, ist auch der Fluss Schauplatz von Feierlichkeiten. (Foto: dpa)

Eine europäische Geschichte: Österreich und Italien haben es ihrer slowenischen Minderheit nie leicht gemacht - nun gibt es Grund zu feiern.

Kolumne von Karl-Markus Gauß

Im 85. Heft der Fackel hat Karl Kraus im November 1901 kommentarlos eine "Namensliste von Wortführern des Alldeutschthums" sowie des völkisch orientierten "Slovenenthums" in der Untersteiermark veröffentlicht. Während die Vorkämpfer Germaniens in dieser seit ewigen Zeiten von mehreren Nationalitäten bewohnten Region auf Namen wie Kokoschinegg, Jessenko, Kovatschitsch, Mravlag oder Besgorschak hörten, waren umgekehrt die slowenischen Recken mit urslawischen Namen wie Fischer, Mayer, Plapper, Kaisersberg und Jahn angetreten, ihrerseits den Kampf um die Reinheit des Slowenentums zu führen.

Der Wechsel der Nationalität war in der Donaumonarchie nichts Außergewöhnliches und hing im Einzelfall mit wirtschaftlichen Interessen, politischen Veränderungen, kulturellen Vorlieben und biografischen Zufällen zusammen. Prekär war dieser Vorgang im mittel- und südosteuropäischen Raum jedoch, wenn er, rigoros vollzogen, mit einer aggressiven Form von familiärer Amnesie einherging, sodass er sogleich neue Nationalisten hervorbrachte, die nur eben das Objekt ihrer patriotischen Liebe getauscht hatten. So wollten sich die von Kraus erwähnten politischen Aktivisten beider Seiten ja keineswegs als verbindende Persönlichkeiten zwischen den Nationalitäten bewähren; sie stürzten sich vielmehr in einen Volkstumskampf, der gerade im gemeinsamen Siedlungsgebiet von Österreichern, Slowenen, Italienern mit kleinlicher, unnachsichtiger Verbissenheit geführt wurde.

SZ PlusGenua
:Wie eine heilende Wunde

43 Menschen kamen ums Leben, als vor zwei Jahren eine Autobahnbrücke in Genua einstürzte. Die Einweihung der neuen Brücke ist ein Symbol mitten in der Corona-Krise: Für den schnellen Wiederaufbau in einem Land, in dem selten etwas schnell geht.

Von Oliver Meiler

Wer öfter in Italien unterwegs war, wird sich erinnern, schon einmal durch eine Via Oberdan gegangen zu sein oder auf einer Piazza gleichen Namens einen Espresso getrunken zu haben. Jede zweite Stadt erinnert an den nationalen Märtyrer Oberdan, der im Alter von 24 Jahren für Ruhm und Ehre des italienischen Vaterlandes den Kaiser Franz Joseph in die Luft sprengen wollte. Dilettantisch, wie er die Sache anging, wurde er noch vor dem Besuch des Kaisers in Triest verhaftet und nach kurzem Prozess gehenkt. Guglielmo Oberdan, der italienische Held, war allerdings der Sohn einer slowenischen Magd, hieß ursprünglich Viljem Oberdank und wurde auf dem Gymnasium als slawischer Bauerntölpel verlacht. Damals wuchs in ihm die Sehnsucht, nicht der verachteten, sondern der in dieser Region herrschenden Nation anzugehören und sich am besten gleich für sie zu opfern.

Während die italienischen Faschisten ein halbes Jahrhundert später einen martialischen Kult um ihn betrieben, haben sie auf ihrem Staatsgebiet slowenische Kulturhäuser gesprengt, Verlage und Schulen geschlossen, den öffentlichen Gebrauch der slowenischen Sprache verboten, Hunderte slowenische Kulturschaffende verhaftet, deportiert, ermordet. Von all dem erzählt der bedeutende Romancier Boris Pahor in seinem Roman "Piazza Oberdan". Er ist selbst an diesem Platz in Triest aufgewachsen und lebt und schreibt im Alter von 107 Jahren immer noch in seiner Geburtsstadt. Ich hatte Schwierigkeiten, seinen schnellen Trippelschritten und den in einem bezaubernden Deutsch formulierten Erklärungen zu folgen, als er mich durch sein, durch das slowenische Triest führte; damals war er freilich noch nicht alt, sondern erst juvenile 98!

Der Künstler aus Kärnten heißt Blazej, der Slowene trägt den Namen Frühauf

Wie aus einem slowenischen Bauernburschen ein italienischer Märtyrer werden konnte, wurde umgekehrt mancher Abkömmling einer deutsch-österreichischen Familie zum slowenischen Nationalhelden. Nach dem Ersten Weltkrieg tobte im Süden des heutigen Österreich ein Krieg zwischen Truppen des gerade erst gegründeten Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen auf der einen und dem Kärntner Abwehrbund auf der anderen Seite. Die größten Gebietsgewinne bis herauf nach Klagenfurt erreichten die jugoslawischen Truppen unter dem General Rudolf Maister, der einer deutschen Familie aus Marburg, dem heutigen Maribor, entstammte.

Um den Konflikt zu lösen, wurde unter internationaler Aufsicht im Oktober 1920 eine Volksabstimmung in 51 Gemeinden im Süden Kärntens durchgeführt, deren Bewohner sich mehrheitlich für den Verbleib bei Österreich entschieden. Und das, obwohl rund 70 Prozent der Bevölkerung Slowenen waren. Zahlreiche Slowenen zogen es vor, statt in einem südslawischen Königreich in der Republik Österreich mit ihrer starken Arbeiterbewegung zu leben, sie entschieden also nicht nach ethnischer Zugehörigkeit, sondern aus politischen und sozialen Motiven. Ihnen ist es zu verdanken, dass der Süden Kärntens noch heute ein Teil Österreichs ist.

Das war vor 100 Jahren, und des Ereignisses wird heuer in ganz Kärnten mit zahlreichen Veranstaltungen gedacht. Bisher hatte Österreich es den Slowenen beschämend schlecht gedankt, dass Kärnten ungeteilt blieb. Allzu viele Deutschkärntner schlossen sich den Nationalsozialisten an, kehrten in den Volkstumskampf zurück und wirkten an der Umsiedelung und Deportation ihrer slowenischen Nachbarn mit. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Slowenen in Kärnten als innere Feinde missachtet und lange um ihre - im österreichischen Staatsvertrag von 1955 verbrieften - Rechte betrogen.

Abgemildert hat sich das erst in den letzten dreißig Jahren, und heute ist das Verhältnis der beiden Volksgruppen zueinander wohl so gut wie nie. Dieser Ausgleich war längst überfällig, hat aber den Schönheitsfehler, dass sich zur slowenischen Volksgruppe, die um 1900 noch mindestens ein Drittel der Kärntner Bevölkerung stellte, bei der letzten Volkszählung vor 20 Jahren nur mehr 12 500 Menschen bekannten, dass Wohlwollen und Wertschätzung also einer Minderheit gelten, die um ihren Bestand fürchten muss.

Ein originelles Kunstprojekt, das für das Jubiläumsjahr ersonnen wurde, umfasst zwölf Brücken über und drei Wasserkraftwerke an der Drau und ist zweisprachig mit "Brücken bauen - Gradimo mostove" betitelt. An der Fußgänger- und Radfahrerbrücke bei Dravograd, die die Republiken Slowenien und Österreich verbindet, sind temporär die Werke zweier Bildender Künstler ausgestellt. Der eine heißt Blažej, der andere Frühauf, und wie es sich für eine Region mit so verschlungener Geschichte gehört, ist Blažej der Österreicher und Frühauf der Slowene.

© SZ vom 21.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: