Familie:Elternzeit als Gewissensfrage

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Freiburg (dpa/tmn) - Wenige Wochen nach der Geburt ihres ersten Kindes saß Wera Burkhardt wieder in Vorlesungen und bereitete sich auf das Staatsexamen vor. Sie stand unter dem Druck, ihr zweites Studium schnell zu beenden.

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Freiburg (dpa/tmn) - Wenige Wochen nach der Geburt ihres ersten Kindes saß Wera Burkhardt wieder in Vorlesungen und bereitete sich auf das Staatsexamen vor. Sie stand unter dem Druck, ihr zweites Studium schnell zu beenden.

„Ich habe damit gehadert, dass ich schon 31 war und noch keinen Beruf hatte“, erzählt die Freiburgerin. Wie bei vielen Frauen in diesem Alter kam alles zusammen: Der Wunsch, eine Familie zu gründen und der Druck, beruflich weiterzukommen.

Das Thema Elternzeit ist für viele junge Familien zentral. Dabei spielen finanzielle, karrieretechnische und pädagogische Erwägungen eine Rolle. Auch die eigenen Kindheitserfahrungen haben Einfluss.

Bei Wera Burkhardt dominierte der Impuls, es anders zu machen. Sie selbst ist mit vier Geschwistern auf dem Land in Süddeutschland aufgewachsen, die Mutter blieb zu Hause. Sie wollte eine gleichberechtigte Arbeitsteilung mit ihrem Mann, einen Job und finanzielle Unabhängigkeit.

Zwei Wochen nach der Geburt begann ihr Sohn mit der Eingewöhnung bei der Tagesmutter, fünf Wochen später fing das Semester wieder an. „Ich kannte niemanden, der das so gemacht hat wie ich“, sagt Burkhardt. Obwohl ihre Eltern und Geschwister traditionelle Modelle lebten, hätten sie sich mit Kritik zurückgehalten. Schuldgefühle habe sie trotzdem gehabt. „Ich habe mein Kind immer schrecklich vermisst.“

Die Psychologie-Professorin Fabienne Becker-Stoll rät davon ab, Kinder im ersten Lebensjahr außerfamiliär betreuen zu lassen. Babys brauchten so viel Zuwendung, dass dies selbst von einer feinfühligen Kita schwer zu gewährleisten sei, erklärt die Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik (IFP) in München.

Im Alter zwischen einem und zwei Jahren kommt es dagegen auf das Kind an. Eltern könnten zum Beispiel auf dem Spielplatz beobachten, ob die Kleinen Kontakt zu Gleichaltrigen suchen oder sich lieber verstecken. Die Frage sei immer, was zu einem bestimmten Zeitpunkt am besten zum Kind und seinen Eltern passt.

Eine ausgedehnte Eingewöhnungsphase hält sie in jedem Fall für unerlässlich. Viele Jahre zu Hause zu bleiben, wie es früher üblich war, sei jedoch nicht notwendig, betont die Diplom-Psychologin. Im Gegenteil: „Ab zwei bis zweieinhalb Jahren profitieren alle Kinder vom Besuch einer Krippe.“

Angela Dovifat von der Berliner Goldnetz gGmbH weiß, dass die Länge der Elternzeit ein schwieriges Thema ist. Sie ist Projektleiterin der Infothek beruflicher Wiedereinstieg und berät Menschen, die wieder in ihren Job einsteigen wollen. Zum größten Teil sind das Mütter. „Die Gewissensfrage ist da“, stellt die studierte Betriebswirtin und systemische Beraterin fest.

Aber es spielten auch andere Faktoren eine Rolle. „Ich glaube, das ist eine Generations- und Schichtfrage“, sagt Dovifat. Nur wenn ein Partner gut verdient, könne der andere mehrere Jahre zu Hause bleiben. Auch zwischen Stadt und Land gebe es sicherlich Unterschiede. In einer Großstadt wie Berlin stünden Frauen oft unter dem Druck, möglichst bald wieder in den Beruf einzusteigen.

Den Druck kennt auch Wera Burkhardt. Die frühe Trennung von ihrem Sohn wirke sich bis heute aus. „Ich konnte ihn auch später nicht so loslassen wie andere Mütter.“ Aufgrund ihrer Erfahrung hat sie beschlossen, nach der Geburt ihrer Tochter ein Jahr lang zu Hause zu bleiben. Inzwischen ist das möglich, da sie eine feste Stelle als Lehrerin hat.

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