Dem Geheimnis auf der Spur:Für immer verstummt

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In den Fünfzigerjahren fiel die Musikerin mit ihren poetisch-gewitzten Texten selbst in New York auf. (Foto: Wikipedia)

Sie war eine Vorläuferin von Bob Dylan, doch zu ihren Lebzeiten galt die Singer-Songwriterin Connie Converse als Ausnahmeerscheinung. Dann verschwand sie plötzlich.

Von Sofia Glasl

Die Szene klingt wie ein filmreifer Aufbruch in ein neues Leben: Anfang August 1974 packt die US-Musikerin Connie Converse vor ihrer Wohnung in Michigan Gitarre und Koffer in ihren VW Käfer und macht sich aus dem Staub. Man glaubt beinahe, die dunkelblond gewellten Haare im Fahrtwind wehen zu sehen, die Augen hinter der Schmetterlingsbrille entschlossen in die Zukunft gerichtet. Sie wolle noch mal neu anfangen, erklärt sie in den Abschiedsbriefen, die Familie und enge Freunde erst später erreichen. Rückblickend gleicht ihre Abfahrt allerdings eher einer Flucht. Bis heute, beinahe 50 Jahre nach ihrem Untertauchen, fehlt jede Spur von Connie Converse.

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Wie knapp die Frau mit dem heiter klingenden, aber bis heute unbekannten Namen zu diesem Zeitpunkt schon an einer großen Karriere im Musikgeschäft vorbeigeschrammt ist, wurde erst nachträglich deutlich. Connie Converse nämlich war zum Zeitpunkt ihrer Abreise gar keine klassische Ausreißerin, die ihr Glück in der großen Welt suchte. Ein paar Tage vor ihrem Verschwinden, am 3. August, hatte sie ihren 50. Geburtstag gefeiert. Es lag bereits ein halbes Leben hinter ihr, in dem sie versucht hatte, mit ihrer Musik Erfolg zu haben. Beinahe wären ihre Geschichte und ihre Musik gänzlich in Vergessenheit geraten - zu Unrecht, denn heute wird sie als verkannte Pionierin der Folk-Musik gehandelt.

Ihre Familie suchte sogar mit einem Privatdetektiv nach ihr

Eine unverhoffte Wiederentdeckung bescherte ihr ein Jugendfreund 30 Jahre später: Anlässlich der Veröffentlichung seiner Comic-Strip-Sammlung "The Cat on the Hot Thin Groove" trat der Grafiker Gene Deitch im Januar 2004 in einer Radiosendung auf, um seine Lieblingsmusik zu spielen - darunter auch "One by One" von Connie Converse. Die beiden Studenten Dan Dzula und David Herman hörten die Sendung und kontaktierten Deitch. Mit seiner Hilfe konnten sie 2009 das Album "How Sad, How Lovely" mit 17 Titeln von Connie Converse veröffentlichen.

Als der New Yorker Musiker Howard Fishman die Lieder im Radio hörte, wurde er auch neugierig und begann, Nachforschungen zu dieser Unbekannten der amerikanischen Musikgeschichte anzustellen. Ihre Familie hatte nach ihrem Verschwinden zwar einen Privatdetektiv angeheuert, aber auch der fand keine Spur. Ihr Bruder Phil, der Soziologe Philip E. Converse von der Universität Michigan, hatte scheinbar seinen Frieden mit Connies Verschwinden gemacht: "Es war ihre Entscheidung, zu gehen, und es wäre mir peinlich gewesen, an ihrer Türschwelle aufzutauchen und 'Hey, wie geht's?' zu sagen."

Connie hatte zwar viele persönliche Gegenstände zurückgelassen - Notizhefte, Fotoalben, Tagebücher und auch Demo-Aufnahmen. Phil lagerte jedoch alles in einer alten Kommode in seiner Garage ein und öffnete die Schubladen erst in den Neunzigerjahren wieder. Er digitalisierte ihre Tonbandaufnahmen und stellte unter dem Titel "Connie's Guitar Songs" ein Album zusammen. In seiner im Frühjahr 2023 erschienenen Biografie "To Anyone Who Ever Asks: The Live, Music and Mystery of Connie Converse" zitiert Fishman aus diesem Album sowie aus einem langen Briefwechsel mit Phil und aus Gesprächen mit Connies Weggefährten.

Sie war eine Vorläuferin von Bob Dylan und Joan Baez und ihrer Zeit weit voraus

In New Hampshire zwischen Portland und Boston in einer strengen Baptistenfamilie aufgewachsen, erhielt Connie als Klassenbeste der Highschool ein Stipendium, verließ die Uni jedoch 1944 nach nur zwei Jahren ohne Abschluss. Sie ging nach New York, arbeitete für das American Institute of Pacific Relations und begann in ihrer Freizeit, erste eigene Songs auf ihrer Gitarre zu schreiben. Damals hieß sie noch Elizabeth, den Spitznamen Connie nahm sie hier an. Sie lebte an der Upper Westside, verkehrte in Künstlerkreisen und spielte zu Hause für Freunde. In New York hatte sie ihre produktivste Phase, schickte monatlich neue Aufnahmen an ihren Bruder, schrieb nebenher Gedichte.

Hier freundete sie sich in den frühen Fünfzigerjahren mit Gene Deitch an, der auch für das Fernsehen arbeitete. Vermutlich war er es, der den Kontakt zum Sender CBS herstellte. Connie trat in der "Morning Show" auf, damals moderiert von der TV-Legende Walter Cronkite. Von der Sendung gibt es heute zwar keine Aufnahmen mehr, doch hat Converse in einem ihrer Fotoalben Bilder des Auftritts aufgehoben. "Mai oder Juni 1954" steht daneben handschriftlich vermerkt. Was für viele Künstlerinnen und Künstler ein Sprungbrett zu Plattenverträgen hätte sein können, entpuppte sich für Converse als einmaliges Ereignis. Es sind keine weiteren öffentlichen Auftritte von ihr bekannt. An Phil schrieb sie vor einem Vorspiel bei einer Plattenfirma, dass sich diese wie Zahnarzttermine anfühlten. "Reizend, aber nicht vermarktbar" seien ihre Songs, das höre sie immer wieder.

"In between two tall mountains, there's a place they call Lonesome" singt sie in "Talkin' Like You (Two Tall Mountains)" über die Einsamkeit. Womöglich sei Converse ihrer Zeit um ein knappes Jahrzehnt voraus gewesen, mutmaßt Fishman: Anfang der Fünfziger war sie als Singer-Songwriterin mit persönlich-poetischen und doch gewitzten Texten selbst in New York eine Ausnahmeerscheinung. Bob Dylan sollte erst 1961 hier aufschlagen und neben Joan Baez und Joni Mitchell zur musikalischen wie politischen Galionsfigur einer ganzen Generation werden. Da hatte Converse bereits aufgegeben, war zu Phil nach Ann Arbor in Michigan gezogen und arbeitete als Redakteurin für das Journal of Conflict Resolution, einer Zeitschrift der Universität.

Rückblickend fehlte ihr der lange Atem, um ihren Erfolg selbst noch mitzuerleben. Phil berichtet von depressiven Schüben und Alkoholsucht, die auch ein Sabbatical in Europa nicht verbessern konnte. 1974 war sie dann endgültig verschwunden. Fishman fand in ihren Unterlagen einen ungeöffneten Abschiedsbrief, adressiert an "alle, die jemals nach ihr fragen würden". Sie dankt darin ihrer Familie und bittet darum, sie gehen zu lassen.

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