Dem Geheimnis auf der Spur:Stonehenge am Bodensee

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Die Erhebungen verlaufen auf einer Länge von zehn Kilometern parallel zum Seeufer. (Foto: Amt für Archäologie Thurgau)

Vor einigen Jahren fanden Forscher in dem Gewässer mysteriöse Steinhügel. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse, wozu diese seltsamen Formationen wohl dienten.

Von Florian Welle

Ein zugkräftiger Name war schnell gefunden, als das Institut für Seenforschung Langenargen im Jahr 2015 bei einer ausführlichen Tiefenvermessung des Bodensees auf Schweizer Seite ungefähr 200 bis 300 Meter vom Seeufer entfernt mysteriöse Steinstrukturen aufspürte: In Anspielung auf die wohl sagenumwobensten Steinkreise der Weltgeschichte machte in den Medien die Bezeichnung "Stonehenge im Bodensee" die Runde.

Fortan war den rund 170 Erhebungen, die zwischen Romanshorn und Altnau auf einer Länge von zehn Kilometer parallel zum Seeufer verlaufen, Aufmerksamkeit garantiert. Allerdings nicht immer zur Freude der Forschenden, wie noch im Jahr 2021 Urs Leuzinger und andere in der bislang umfassendsten Dokumentation des Funds im "Jahrbuch Archäologie Schweiz" schreiben: "Die große mediale Aufmerksamkeit war und ist zwar eine gelungene Werbung für die Archäologie, allerdings hatte die Berichterstattung während eines laufenden Verfahrens den Nachteil, dass manchmal (...) Hypothesen formuliert wurden, bevor eine fundierte wissenschaftliche Auswertung der Befunde vorlag."

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Trotzdem hat sich das Etikett etabliert, auch wenn gleichzeitig im schönsten Schwyzerdütsch immer wieder von den "Hügeli" gesprochen wird. Das zeigt eine Veranstaltung just Ende November in Arbon, bei der das Amt für Archäologie Thurgau aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu der spektakulären Entdeckung präsentiert. Ihr Titel: "Bodensee Stonehenge. Rätselhafte Steinschüttungen im Bodensee."

Auch wenn die Forschung seit 2015 einige Fragen tatsächlich beantworten konnte, geben die Steinstrukturen weiterhin Rätsel auf. Vor allem über die Funktion der in einer verblüffenden Regelmäßigkeit aufeinanderfolgenden Hügel von bis zu 30 Meter Durchmesser und einer Höhe von bis zu 1,5 Meter existieren die unterschiedlichsten Vermutungen.

Sind die Hügel Ablagerungen eines alten Gletschers?

Als die flachen Formationen aus gerundeten Steinen in drei bis fünf Meter Wassertiefe entdeckt wurden, war die erste Frage, ob sie natürlichen Ursprungs sind oder von Menschenhand geformt wurden. Hielt man es zunächst für durchaus möglich, dass hier wundersame Kräfte der Natur am Werk waren und es sich um eiszeitliche Ablagerungen des Bodenseegletschers vor 18 000 Jahren handeln könnte, stellte sich bei umfangreichen Untersuchungen das Gegenteil heraus.

Im Frühjahr 2018 fanden Georadar-Messungen unter der Leitung von Jens Hornung von der Technischen Universität Darmstadt statt. Die Auswertungen der Bilder, die mit einem von Hornung entworfenen wasserdichten Messschlitten aufgenommen wurden, lieferten einen klaren Befund. "Es ist offensichtlich", hieß es daraufhin in einer Mitteilung des Thurgauer Amtes für Archäologie, "dass die bis zu 40 Zentimeter großen Steine auf den nacheiszeitlichen, gebänderten Seeablagerungen und deutlich über der darunter verlaufenden Moräne aufliegen. Somit ist jetzt naturwissenschaftlich belegt, dass die ,Hügeli' nicht natürlich durch den Gletscher entstanden, sondern von Menschenhand aufgeschüttet worden sind."

Weitere Messungen schlossen sich an. Vor allem der sogenannte Hügel 5 vor Uttwil wurde von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen genauer untersucht. Unter anderem rückte ein Bagger an und führte einen Grabungsschnitt durch den Hügel aus. Dabei kamen zwischen den Steinen auch Hölzer zum Vorschein, deren Alter mithilfe von Radiokarbon-Analysen auf die Zeit zwischen dem 37. und dem 34. Jahrhundert vor Christus eingegrenzt werden konnte.

Für die Forscher um den Archäologen Urs Leuzinger legen die bisherigen Ergebnisse daher nahe, "dass die Bewohnerinnen und Bewohner der jungsteinzeitlichen Pfahlbausiedlungen am Südufer des Bodensees die regelmäßig verteilten Steinstrukturen angelegt haben". So kann man es in besagtem "Jahrbuch" als zumindest vorläufige Interpretation der Messungen lesen.

Alle Steinformationen zusammen wiegen circa 78 000 Tonnen

Doch aus welchem Grund haben sich die Menschen damals überhaupt die Mühe gemacht und die Steinhügel aufgeschüttet? Immerhin wiegt ein Stein ungefähr 1,3 Kilogramm. Daraus ergibt sich allein bei einer durchschnittlichen Schätzung ein Gewicht pro Hügel von 460 Tonnen. Das wären auf alle Hügel gerechnet mehr als 78 000 stolze Tonnen Gestein, die erst einmal bewegt werden wollten. Zumal auch noch nicht abschließend geklärt ist, ob die Steinsetzungen damals im Trockenen oder im Wasser lagen.

Es gibt viele Annahmen, welche Funktion die rund 5500 Jahre alten Hügel einst erfüllt haben. Die einen vermuten Alltägliches, die anderen tippen eher auf einen kultischen Zusammenhang. Genannt werden Wellenbrecher als eine Art früher Uferschutz, eine Wehranlage oder ein Transportweg. Sehr überzeugend ist das alles nicht.

Vier Hypothesen halten die Wissenschaftler immerhin für möglich, auch wenn sie gewichtige Gegenargumente ins Feld führen. So könnten die Hügel als Siedlungsinseln gedient haben, sogenannte Crannogs. Dagegen spricht jedoch, dass Dörfer zu der infrage kommenden Zeit ganz anders organisiert waren. Oder handelt es sich um Wallerhaufen zum Fischfang? Wenn ja, wäre es eine überaus aufwendige Methode gewesen, um Beute zu machen.

Gibt es vielleicht einen astronomischen Hintergrund? Auch wenn viele das gerne hätten, die sorgsam aneinandergereihten Steinhaufen waren auf die gesamte Länge gar nicht zu überblicken. Am ehesten hält Urs Leuzinger noch einen Totenkult für möglich: "Vorstellbar wären saisonal knapp aus dem Wasser ragende Plattformen als künstliche Inselchen entlang des Seeufers, auf denen rituelle Handlungen im Rahmen einer Bestattungszeremonie stattfanden." Man darf gespannt sein, ob die jüngsten Tauchgänge, die vor Kesswil stattfinden, weiteres Licht in das Geheimnis der Bodensee-Hügel bringen werden.

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