Dem Geheimnis auf der Spur:Der unbekannte Heiland

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Obwohl Jesus in dem Hollywood-Klassiker von 1959 eine zentrale Figur ist, erkennt man nie das Gesicht des Schauspielers, sein Name taucht nicht einmal im Abspann auf. (Foto: Imago images/Everett Collection)

Im Monumentalklassiker "Ben Hur" ist Jesus immer nur von hinten zu sehen. Aber wieso? Über ein rätselhaftes Detail der Filmgeschichte.

Von Fritz Göttler

Es gab eine Zeit, da war das Kino nicht zu bremsen. "Alle Legenden", schrieb im Jahr 1927 Abel Gance, einer der großen enthusiastischen Stummfilmregisseure, die vor nichts zurückschreckten, "alle Legenden, alle Mythologien und alle Mythen, alle Religionsstifter, ja alle Religionen ... warten auf ihre belichtete Auferstehung, und die Heroen drängen sich an die Pforten." Natürlich war auch Jesus in diesem Getümmel dabei, das in den folgenden Jahrzehnten kaum schwächer wurde - und jedes Jahrzehnt suchte sich dann seinen eigenen Jesus-Darsteller. Ende der Fünfziger war das Claude Heater, der intensive Erinnerungen hat an seine Jesus-Zeit - man musste ihm wohl glauben, wenn er 1992 dem Marin Independent Journal von seinen Erlebnissen beim Dreh erzählte: "Es gab Leute auf dem Set, die, wenn sie mich sahen, auf die Knie sanken und das Kreuzzeichen machten."

Nur wenige werden mit dem Namen Claude Heater etwas anfangen können, er taucht in den Credits des Films, in dem er Jesus verkörperte, gar nicht auf: "Ben Hur", 1959, einer der erfolgreichsten Hollywoodfilme der Geschichte, den Millionen Zuschauer in aller Welt sahen. Dass Christus hier eine große Rolle spielt, wird leicht vergessen, in Erinnerung bleiben die spektakulären Momente, das legendäre Wagenrennen, der erbarmungslose römische Imperialismus, der verzweifelte Konflikt zwischen den Jugendfreunden Ben Hur und Messala. Aber: Der Roman, auf dem der Film basiert, von Lew Wallace, der einer der ganz großen Bucherfolge in Amerika wurde, hat einen vertrackten Untertitel: "Ben-Hur - A Tale of the Christ".

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Der Produktionsleiter war begeistert vom Darsteller: tolle Stimme, wundervolles durchgeistigtes Gesicht

Claude Heaters Jesus-Gesicht bekommt man im ganzen Film nie zu sehen, Jesus wird immer nur von hinten oder aus der Ferne in weiten Panoramaaufnahmen gefilmt. Oder sein Gesicht wird verdeckt von Wänden oder vom Kreuz, das er nach Golgatha schleppt. Es war seine einzige Rolle im Kino, seine Karriere hat Claude Heater auf den Opernbühnen der Welt gemacht, sie hat ihn auch nach Bayreuth geführt. Ein Christus, der zum Tristan wurde.

"Christus porträtieren, das ist ein wenig tricky und gruselig", erklärte William Wyler, der Regisseur von "Ben Hur", "er dürfte ja der bekannteste Mensch sein, der je gelebt hat." Wylers Vorstellungen waren ein wenig abgehoben für einen Blockbuster, man sollte Jesus "sehen" in den Reaktionen der anderen Menschen auf ihn. Eine Phantomfigur. "Man meinte, man hätte ihn gesehen, seine Stimme gehört, aber nicht wirklich."

Er war auf vielen Opernbühnen erfolgreich: Claude Heater. (Foto: Songartisticendeavor/CC BY-SA 4)

Claude Heater sang in den Fünfzigern auch auf den Bühnen Italiens, und dort sah ihn Henry Hennigson, Produktionsleiter von "Ben Hur" - der Film wurde in Cinecittà in Rom gedreht. Hennigson war fasziniert und erzählte Wyler von der Entdeckung: tolle Stimme, wundervolles durchgeistigtes Gesicht.

"Vor allem", erinnert sich Claude Heater, "waren sie an den Händen interessiert. Sie wollten starke, aber empfindsame Hände." In der schönsten Szene des Films kommen diese Hände voll zum Einsatz. Da zieht Judah Ben-Hur (Charlton Heston) mit dem Trupp der Galeerensklaven durch Nazareth. Die Einwohner eilen herbei und versorgen die vom Marsch durch die Wüste erschöpften Männer mit Wasser. Der da nicht, raunzt ein Zenturio einen Mann an, der auch Judah Wasser reichen will; er greift nach dem Gefäß, trinkt selbst vor Judahs Augen, spuckt den Rest aus. Judah sinkt zu Boden, in grimmiger Verzweiflung: Gott, hilf mir. Zwei Hände mit einem Trinkgefäß kommen ins Bild, es ist Jesus, der das kühlende Wasser über Judahs Gesicht streicht. Er lässt ihn trinken, Judah schaut hoch.

Man hat Claude Heater in diversen Filmgeschichten immer wieder verspottet

Jesus rührt sanft mit den Fingerspitzen an die Judahs - das erinnert an die berühmte Szene Michelangelos von der Erschaffung des Menschen, sie ist zu sehen unter dem Vorspann des Films. "Ich hab doch gesagt ...", dröhnt der Zenturio, aber da richtet Jesus sich auf - Claude Heater ist über 1,90 Meter groß - und schaut ihn an, der Zenturio stockt. Es ist wie im Western, wenn der fiese feige Schurke durch den Blick des Helden gelähmt wird. Die filmische Erzählung bricht auf, der Gegenschuss auf das Gesicht Jesu bleibt aus. Der Trupp zieht wieder los, Jesus steht in der Landschaft und blickt ihm nach. Ein mächtiges Mannsbild, ein ungewohnt viriler Heiland, kein Leidender wie bei den Christus-Darstellern Henry Warner, Jeffrey Hunter, Max von Sydow und James Caviezel.

Claude Heater wurde geboren am 25. Oktober 1927 in Oakland, Kalifornien, gestorben ist er am 28. Mai 2020. Er war Mormone, wirkte in seiner Jugend als Missionar, wurde dann 1945 Soldat bei den Marines. Er stand seiner Religion durchaus kritisch gegenüber, schrieb 2007 das Buch "Fatal Flaws of the Most Correct Book on Earth". 1950 ging er nach New York, spielte am Broadway, später ging er zur Stimmausbildung nach Italien, sang neben Montserrat Caballé. Karajan holte ihn 1959 für zwei Jahre an die Wiener Staatsoper.

Anfang der Sechziger schulte Claude Heater seine Stimme von Bariton um auf Tenor, sang dann von 1964 bis 1968 an der Bayerischen Staatsoper in München. Er spielte in vielen Wagner-Opern, natürlich auch in Bayreuth, wo er von Wieland Wagner sehr geschätzt wurde. Nach dem Rückzug von der Bühne leitete er über dreißig Jahre ein Studio in San Francisco, wo junge Sänger ihre Stimme entwickelten.

Man hat Claude Heater in diversen Filmgeschichten immer wieder verspottet, als ambitionierten Kerl, der ans große Make-believe glaubte, aber von den Hollywoodianern ausgetrickst wurde. Ein Unsichtbarer der Kinogeschichte wider Willen. Der Jesus ist gewiss eine Nebenrolle, aber die Figur Claude Heater ist ungewöhnlich komplex - und wie ihre beiden konträren Momente, die Innerlichkeit von Jesus und das Bühnenpathos eines Heldentenors, zusammengehen, das bleibt eins der unerklärlichen kreativen Phänomene.

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