Dem Geheimnis auf der Spur:Unanständig morbide

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Superstar Gloria Swanson war die Produzentin und Hauptdarstellerin des Films. (Foto: The Legacy Collection/imago/Cinema Publishers Collecti)

Der letzte große Hollywood-Stummfilm "Queen Kelly" zerstörte gleich mehrere Karrieren.

Von Fritz Göttler

Königin für eine Nacht sein, ein schillernder Traum für eine junge Frau. Für Kitty Kelly scheint er in Erfüllung zu gehen, als der junge Prinz Wolfram sie in den Palast holt und mit Champagner beglückt, in perlender Fröhlichkeit, so dass sie gleich hintüberkippt. Der Ort ist Kronberg, Hauptstadt eines jener imaginären europäischen Kleinstaaten, wie Hollywood sie dutzendfach schuf für seine Romanzen. Für diese Nacht, sinniert Wolfram, bist du Queen Kelly.

Leider ist der Prinz berüchtigt für seine nächtlichen Ausschweifungen, und für den nächsten Morgen ist eigentlich seine Hochzeit mit der richtigen Königin angesetzt, Queen Regina V., ein fieses, sadistisches Luder, das Boccaccios "Decamerone" auf ihrem Nachttisch hat und eine Zigarre im Aschenbecher - sie peitscht Kelly, als sie in die Liebesszene platzt, brutal aus dem Palast hinaus.

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"Queen Kelly" von 1929 ist der letzte große Hollywoodfilm von Erich von Stroheim, der mit jedem seiner Auftritte seinen Ruf als "the man you love to hate" ganz lässig bestätigte. Viele Filme des Regisseurs - "Foolish Wives", "Greed" - gelten als maudit, als unselig belastet, sie wurden abgebrochen, zensiert, verstümmelt. Immer wieder hat er seine Filme mit provokanten Details gespickt und die Produktionskosten in irre Höhen getrieben mit seiner Lust am Detail. Auch "Queen Kelly" wurde nie fertig gedreht, sondern nur zurechtgeflickt ins Kino gebracht. Hat die Produzenten der Mut verlassen, hat Stroheim sie über seine aggressiven Absichten nicht aufgeklärt, wie hat man ihm überhaupt ein so gewagtes Großprojekt anvertrauen können? (Ein Punkt für Stroheim: Leider war seine "Merry Widow" einer der ganz großen Erfolge der Stummfilmzeit.)

Wenn man von den Lippen der Schauspieler las, wurde es sehr viel deftiger

Am Anfang von "Queen Kelly" stand der Superstar Gloria Swanson. Wie andere erfolgreiche Frauen der Zwanziger - Mary Pickford, die mit ihrem Mann Douglas Fairbanks, Charles Chaplin und David W. Griffith die United Artists gründete, Mae West, die für den Broadway ihre eigenen Stücke schrieb - hatte auch Swanson Ambitionen. Sie war unzufrieden mit dem romantischen Allerlei, zu dem das Studio sie verpflichtete, und wollte selbst ihr Image bestimmen - und einer ihrer ersten Versuche als Produzentin war sehr erfolgreich, "Sadie Thompson" nach W. Somerset Maughams "Rain". Miss Swanson ist Sadie, eine Prostituierte, robust und offen, die es mit einem bigotten Missionar zu tun kriegt. In den Zwischentiteln waren die Dialoge ein wenig entschärft, wenn man sich darauf einließ, von den Lippen der Schauspieler zu lesen, wurde es sehr viel deftiger - ein "cuss-word puzzle" hat es ein Filmhistoriker genannt.

Romantisch Gewagtes hatte auch Stroheim Anfang 1928 Swanson vorgeschlagen, der Prinz und Kelly begegnen einander, als eine Schar Klosterschülerinnen und eine Patrouille Soldaten zu Pferd sich auf einer Landstraße treffen. Kelly verliert ihr Höschen, die Männer prusten los, sie schmeißt erzürnt und auch kokett das dumme Textil auf den Prinzen. Er entführt sie nachts aus dem Konvent in den Palast, sie schaut bezaubernd aus, schmales Gesicht und große Augen, den Mantel des Prinzen über den Schultern, kein leichtsinniges Mädel, sondern eine junge Frau, die gern erfahren würde, was Liebe ist. "With my head upon your heart hold me close and never wake me ... sing me dead and kiss me dead, heart and soul and body - take me." Nur Stroheim kann eine Szene so filmen, erotisch und zauberhaft, gar nicht zuckersüß - mit seiner "Empfindlichkeit für scheinbar nicht Greifbares, nicht Darstellbares", schreibt die Kritikerin Frieda Grafe, "für Gefühle, die vergangen sind, ehe man sie wahrnimmt, für alles, was nur einen Moment lang das Auge trifft".

Der Vater von John F. Kennedy wurde Gloria Swansons Liebhaber

Swanson und Stroheim, man spürt eine Verbindung zwischen ihnen, über die Liebe zum Filmemachen. Leider war noch ein Dritter bei dem Deal dabei, Joseph P. Kennedy, der Vater von John F. und Robert. Er hatte Millionen an der Börse gemacht und wollte nun auch in das neue überraschend profitable Geschäft rein, das Kino, Hollywood. Er war auch - nicht allzu lange - Gloria Swansons Liebhaber.

Mit der Romanze zwischen Kelly und dem Prinzen allein war es für Stroheim, der auch das Drehbuch zu "Queen Kelly" schrieb, nicht getan. Kelly geht nach der Attacke der verrückten Königin zu ihrer Tante nach Afrika, sie heiratet einen senilen, verkommenen Kolonialisten-Knacker. Die Tante stirbt, und Kelly erbt ihr Etablissement, das weniger eine Tanzhalle ist als ein veritables Bordell. Das malträtierte Mädchen residiert hier in Prunk und Gloria wie eine richtige Queen Kelly.

Es kam dann in der Drehzeit einiges zusammen. Swanson fand die Afrika-Geschichte extrem morbide und unanständig, Stroheim wurde vor Ende des Drehs gefeuert, seine Karriere als Regisseur war ruiniert, Kennedy betrog Gloria, sie trennten sich. Und: 1927 kam der erste Tonfilm ins Kino, der erfolgreiche "Jazz Singer", der Stummfilm war am Ende. Swanson ließ "Queen Kelly" liegen, erst 1932 möbelte ihn die Produzentin mit Toneffekten auf und brachte ihn in Europa und Südamerika heraus: Die fiese Queen triumphiert, Kelly springt verzweifelt ins Wasser, der Prinz steht erschüttert an ihrer Leiche. Afrika war gestrichen.

Die amerikanischen Zuschauer kriegten erst 1950 was von "Queen Kelly" zu sehen, als Billy Wilders "Sunset Boulevard" in die Kinos kam. Dort verkörpert Swanson eine alte Stummfilmdiva, die von einem Comeback träumt und sich zu Hause immer ihre alten Filme anschaut, darunter eben auch "Queen Kelly". Ergeben steht ihr zur Seite ihr Chauffeur, Butler und ehemaliger Regisseur (auch zuständig für die Beerdigung ihres verstorbenen Hausaffen), verkörpert von: Erich von Stroheim. Es steckt eine Menge Masochismus in dessen Leben und Karriere. In ganz Hollywood.

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